Выбрать главу

»Sie halten ihn für schuldig?«, erkundigte sich Poirot.

»Sie nicht?«, fragte Spence.

»Ich wüsste gern, was Sie gegen ihn in der Hand haben«, gab der Belgier zurück.

»Indizien meinen Sie, die einer gerichtlichen Untersuchung standhalten?«

Poirot nickte.

»Das Feuerzeug zum Beispiel.«

»Wo wurde es gefunden?«

»Unter dem Toten.«

»Fingerabdrücke.«

»Keine.«

»Ah«, machte Poirot.

»Ja, das gefällt mir auch nicht«, gestand Spence.

»Außerdem war die Uhr des Toten um zehn Minuten nach neun stehen geblieben. Das stimmt mit den Aussagen der Ärzte hinsichtlich der Todeszeit überein. Dazu kommt Rowley Cloades Erklärung, Arden habe noch Besuch erwartet.«

Poirot nickte.

»Ja, es fügt sich alles sehr schön zueinander.«

»Was mir nicht aus dem Kopf will, Monsieur Poirot, ist, dass Hunter – und seine Schwester – die einzigen sind, die ein Motiv haben. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat David Hunter diesen Underhay ermordet, oder die Tat ist von jemandem begangen worden, der ihm hierher gefolgt ist und ihm auflauerte aus einem Grund, von dem wir nichts ahnen. Aber diese zweite Möglichkeit erscheint mir sehr weit hergeholt.«

»Das ist auch meine Meinung.«

»Wer in Warmsley Vale sollte irgendeinen Groll gegen Robert Underhay hegen? Nur David Hunter und seine Schwester kannten ihn überhaupt. Es sei denn, es gibt jemanden in der Nachbarschaft, der mit Underhay in Verbindung stand. Das wäre ein Zufall, und völlig darf man auch Zufälle nicht ausschließen. Doch bis jetzt hat sich nicht die kleinste Andeutung für das Bestehen solcher Beziehungen entdecken lassen. Für die Familie Cloade musste dieser Underhay ein mit aller erdenklicher Rücksicht zu behandelnder Zeuge sein. Der lebende Underhay bedeutete für die Cloades ein Riesenvermögen.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, mon ami«, versicherte Poirot. »Die Familie Cloade braucht Robert Underhay, den lebenden Robert Underhay.«

»Was die Aussage von Beatrice Lippincott betrifft, so kann man sich, meiner Meinung nach, darauf verlassen«, fuhr der Inspektor fort. »Sie hat vermutlich dieses und jenes dazugedichtet, aber im Großen und Ganzen wird die Unterhaltung zwischen den beiden Männern so verlaufen sein, wie sie es gehört zu haben behauptet. Schließlich wusste sie doch von den erwähnten Dingen nichts. Wie soll sie sich das alles ausgedacht haben? Nein, ich traue eher ihrer Aussage als der David Hunters.«

»Auch in diesem Punkt gebe ich Ihnen Recht.«

»Außerdem haben wir eine Bestätigung für Beatrice Lippincotts Behauptung. Was meinen Sie, weshalb Hunter und seine Schwester so schnell nach London fuhren, nachdem der Fremde im Dorf aufgetaucht war?«

»Das ist eine der Fragen, die mich am meisten interessieren.«

»Die finanzielle Lage Mrs Cloades ist so, dass sie das Kapital ihres verstorbenen Mannes nicht anrühren darf, nur die Nutznießung steht ihr zu, darüber hinaus höchstens tausend Pfund oder so. Aber sie hat viel wertvollen Schmuck. Und das Erste, was sie nach ihrer Ankunft in London tat, war, in die Bond Street laufen und ihre Juwelen verkaufen. Sie brauchte also schnell eine größere Summe Geld. Anders gesagt: Sie musste einem Erpresser den Mund stopfen.«

»Und Sie betrachten diese Tatsache als Beweis?«, fragte Poirot.

»Natürlich. Sie etwa nicht?«

»Nein.« Poirot schüttelte den Kopf. »Eine Erpressung lag offensichtlich vor. Den Beweis dafür sehe ich als erbracht an. Aber der Vorsatz, einen Mord zu begehen? Nein, mon ami. Sie können entweder das eine annehmen oder das andere. Beides zusammen widerspricht sich. Entweder war der junge Mann bereit, dem Erpresser das verlangte Geld zu zahlen, oder er fasste den Entschluss, den Mann unschädlich zu machen. Ihre Nachforschungen haben den Beweis dafür geliefert, dass er zu zahlen bereit war.«

»Das stimmt, aber vielleicht hat er seine Absicht geändert.«

Poirot zuckte zweifelnd die Achseln.

»Sie nehmen großes Interesse an diesem Fall, Monsieur Poirot«, meinte der Inspektor. »Darf ich fragen, wieso?«

»Ehrlich gesagt – « Poirot streckte seine Arme in einer etwas pathetischen Geste aus – »weiß ich das selbst nicht so genau. Sie erinnern sich, dass ich Ihnen erzählte, wie ich in einem Club zufällig anwesend war, als Major Porter die Cloades und diesen Robert Underhay erwähnte?«

Spence nickte.

»Damals dachte ich: eine interessante Situation. Wer weiß, ob daraus nicht eines Tages etwas entsteht.«

»Und das Unerwartete ist eingetroffen, wie?«, fügte der Inspektor hinzu.

»Nein, das Erwartete«, verbesserte Poirot ihn.

»Haben Sie denn einen Mord erwartet?«, forschte Spence ungläubig.

»Nein, nein, natürlich keinen Mord«, wehrte Poirot ab. »Aber nehmen Sie die Tatsachen: Eine Frau heiratet zum zweiten Mal. Die Möglichkeit besteht, dass der erste Mann noch lebt. Und voilà – er lebt. Die Möglichkeit besteht, dass er. eines Tages auftaucht. Voilà – er taucht auf. Die Möglichkeit besteht, dass eine Erpressung versucht wird. Voilà – die Erpressung findet statt. Die Möglichkeit besteht, dass man den Erpresser zum Schweigen bringen möchte. Und voilà – er wird umgebracht.«

»Tja«, meinte Spence zweifelnd. »Das sieht doch alles nach dem Schema-F-Mordfall aus. Erpressung, aus der sich ein Mord ergibt.«

»Und Sie finden das nicht interessant?«, erkundigte sich Poirot. »Solange es sich wirklich nur um den gewöhnlichen Schema-F-Mordfall handelt, haben Sie Recht. Aber in diesem Fall liegen die Dinge anders, und das macht die Sache so überaus interessant. Nichts stimmt bei diesem Mord.«

»Nichts stimmt? Was meinen Sie damit?«

»Wie soll ich mich ausdrücken?« Poirot suchte nach Worten. »Das Muster ist falsch, es ist verzerrt.«

»Das müssen Sie mir erklären«, sagte Spence geradeheraus. »Da komme ich nicht mit.«

»Nun, nehmen wir einmal den Toten. Es fängt schon mit ihm an, denn mit ihm stimmt etwas nicht.«

Spence machte ein zweifelndes Gesicht.

»Haben Sie denn nicht auch das Gefühl, dass mit dem Mann etwas nicht in Ordnung war?«, fragte Poirot. »Aber machen wir weiter. Möglich, dass ich die Dinge in einem eigenen Licht sehe. Underhay taucht im ›Hirschen‹ auf. Er schreibt einen Brief an Hunter. Hunter erhält diesen Brief am nächsten Morgen beim Frühstück. Und was ist seine unmittelbare Reaktion? Er schickt seine Schwester Hals über Kopf nach London.«

»Dabei kann ich nichts weiter finden«, meinte Spence. »Hunter schickte seine Schwester weg, um sie aus dem Weg zu haben und allein mit Underhay verhandeln zu können.«

»Schön, lassen wir sein Motiv für dieses plötzliche Wegschicken der Schwester aus dem Spiel. Hunter sucht Enoch Arden auf, und aus dem Bericht Beatrice Lippincotts über das belauschte Gespräch wissen wir eindeutig, dass David Hunter nicht sicher war, ob der Mann, mit dem er sprach, Robert Underhay war oder nicht. Er vermutete es, wusste es aber nicht.«

»Sie finden es sonderbar«, hakte Inspektor Spence ein, »dass dieser Enoch Arden nicht rundheraus sagte: ›Ich bin Robert Underhay‹, ja? Aber auch das lässt sich erklären. Wenn anständige Leute sich dazu verleiten lassen, ein krummes Ding zu drehen, verzichten sie gern darauf, ihren richtigen Namen zu nennen. Das ist die menschliche Natur.«

»Die menschliche Natur, jawohl«, wiederholte Poirot. »Das ist wahrscheinlich die beste Antwort auf die Frage, was mich an diesem Fall so interessiert. Ich habe mir während der Verhandlung die Anwesenden in Ruhe betrachtet. Nehmen wir zum Beispiel die Cloades. Da saßen sie alle beisammen, eine Familie, verbunden durch die gleichen Interessen und doch so grundverschieden in ihren Charakteren, Gedanken und Lebensauffassungen. Und sie alle verließen sich jahraus, jahrein auf den starken Mann, auf Gordon Cloade. Sie klammerten sich an ihn. Und was geschieht, Inspektor Spence, wenn die Eiche, um die sich der Efeu gerankt hat, plötzlich gefällt wird?«