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»Aha. Ich danke Ihnen, Inspektor.«

Hercule Poirot erhob sich und schritt zur Tür.

»Halt«, rief ihm der Inspektor nach. »Wie steht es mit der versprochenen Antwort?«

»Gedulden Sie sich noch ein wenig«, bat Poirot höflich. »Ich erwarte noch einen Brief, einen wichtigen Brief. Wenn ich ihn habe, fügt sich das letzte Glied in die Kette. Dann stehe ich Ihnen für alle Auskünfte zur Verfügung.« 

32

Lynn trat aus dem Haus und schaute zum Himmel empor. Die Sonne ging eben unter; der Himmel war von einem glasigen Leuchten überzogen. Eine bedrückende Ruhe lag über der Landschaft. Es war die Ruhe vor einem Sturm.

Sie durfte ihren Entschluss nicht mehr länger hinausschieben. Sie musste Rowley reinen Wein einschenken. Ihm zu schreiben, wäre feige gewesen. Sie war ihm eine offene Aussprache schuldig.

Dies bedeutet den Abschied von meinem bisherigen Leben, sagte Lynn zu sich selbst. Denn das Leben mit David würde einem Spiel gleichen. Sie hatte ihre Wahl getroffen und war doch nicht froh darüber. David heiraten, hieß einem Abenteuer entgegengehen. Und das Abenteuer konnte ebenso gut glücklich wie traurig enden. Vor wenigen Stunden hatte David sie angerufen.

»Ich dachte, ich dürfte dich nicht an mich ketten, Lynn. Aber ich war ein Narr. Ich bringe es nicht über mich, von dir wegzugehen. Wir fahren nach London, besorgen uns eine Lizenz und heiraten auf der Stelle. Und Rowley teilen wir die Neuigkeit erst mit, wenn du Mrs David Hunter bist.«

Aber damit war sie nicht einverstanden gewesen. Sie wollte selbst mit Rowley sprechen, und nun war sie auf dem Weg zu ihm.

Rowley öffnete ihr die Tür und trat erstaunt einen Schritt zurück.

»Lynn! Warum hast du nicht vorher angerufen und gesagt, dass du kommst. Um ein Haar hättest du mich nicht angetroffen.«

»Ich muss mit dir reden, Rowley. Ich werde David Hunter heiraten.«

Sie hatte empörten Protest, Wut, jede nur denkbare heftige Reaktion erwartet, nur nicht die, die sie jetzt erlebte.

Rowley sah sie einen Augenblick stumm an. Dann drehte er sich um und stocherte mit dem Schürhaken die Glut im Kamin auf. Erst dann wandte er sich wieder ihr zu.

»Du heiratest David Hunter? Und warum?«

»Weil ich ihn liebe.«

»Das ist nicht wahr. Du liebst mich.«

»Ich habe dich geliebt, Rowley, bevor ich wegging. Aber vier Jahre sind eine lange Zeit. Und ich habe mich geändert. Nicht nur ich, auch du hast dich geändert.«

»Nein, ich habe mich nicht geändert. Ich bin hier geblieben, habe tagaus, tagein das gleiche Leben geführt. Ein schönes, sicheres Leben ohne Gefahren, wie?«

Die Adern an seiner Stirn schwollen. Langsam stieg ihm das Blut ins Gesicht, und in seine Augen trat ein Ausdruck zügellosen Zorns.

»Rowley – «

»Sei ruhig. Jetzt rede zur Abwechslung einmal ich. Ich bin um alles gekommen, was mir zugestanden hätte. Ich habe nicht für mein Vaterland kämpfen dürfen; ich habe meinen besten Freund im Krieg verloren, und ich habe mein Mädchen, meine Braut, in der Uniform umherstolzieren sehen, während ich der Tölpel war, der auf seiner Scholle hockte und in dumpfer Ergebenheit seinen Acker pflügte. Mein Leben war die Hölle, Lynn. Und seit du zurück bist, ist es schlimmer als die Hölle, Lynn. Seit ich an jenem Abend bei Tante Kathie euch zwei beobachtet habe, David und dich, wie ihr euch angeschaut habt. Aber merk dir eins: Er soll dich nicht haben. Wenn ich dich nicht haben kann, soll niemand dich haben.«

»Rowley – «

Lynn hatte sich erhoben und ging langsam, Schritt um Schritt, rückwärts zur Tür. Dieser Mann war nicht länger Rowley Cloade. Er war wie ein wildes Tier.

Rowley war neben ihr. Seine Hände schlossen sich um ihre Kehle.

»Ich habe zwei Menschen ermordet«, klang es an ihr Ohr. »Glaubst du, ich werde davor zurückschrecken, einen dritten Mord auf mein Gewissen zu laden?«

Seine Hände umschlossen ihre Kehle fester. Es flimmerte vor Lynns Augen, dann wurde alles schwarz, sie war dem Ersticken nahe…

Und da, plötzlich, hustete jemand leise. Ein kurzes, gekünsteltes Husten.

In der Tür stand Hercule Poirot, ein um Entschuldigung bittendes Lächeln spielte um seine Lippen.

»Ich hoffe, ich störe nicht?«, sagte er höflich.

Einen Augenblick schien die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt. Dann sagte Rowley mit müder Stimme:

»Sie sind im richtigen Augenblick gekommen. Es stand auf Messers Schneide.« 

33

Hercule Poirot zog ein sauberes Taschentuch hervor, tränkte es mit kaltem Wasser und reichte es zusammen mit einer Sicherheitsnadel Lynn.

»Legen Sie sich das um den Hals, Mademoiselle. Es wird den Schmerz gleich lindern.«

Er geleitete sie behutsam zu einem Stuhl.

»Sie haben kochendes Wasser?«, fragte er dann Rowley, auf den dampfenden Kessel auf dem Herd deutend. »Ein starker Kaffee täte gut.«

Mechanisch brühte Rowley Kaffee auf.

»Ich glaube, Sie haben nicht begriffen«, sagte er dann langsam. »Ich habe versucht, Lynn zu erwürgen.«

»Tz… tz… tz…«, machte Poirot, als sei er betrübt darüber, Rowley bei einer Geschmacklosigkeit zu ertappen.

Stumm wartete er, bis Rowley mit den Tassen zum Tisch trat. Lynn nippte an ihrem Kaffee. Die Wärme tat gut. Der Schmerz ließ nach.

»Und nun können wir reden. Wenn ich das sage, meine ich: Ich werde reden.«

Hercule Poirot reckte sich zu voller Höhe auf.

»Wie viel wissen Sie?«, fragte Rowley. »Wissen Sie, dass ich Charles Trenton getötet habe?«

»Das ist mir seit einiger Zeit bekannt«, gab Poirot zu.

Die Tür wurde aufgerissen. David Hunter stürzte in die Küche. Beim Anblick der drei Menschen blieb er abrupt stehen und sah verdutzt von einem zum andern.

»Was ist mit deinem Hals los, Lynn?«

»Noch eine Tasse«, befahl Hercule Poirot.:

Rowley reichte ihm eine. Poirot nahm sie, schenkte Kaffee ein und drückte sie dann dem fassungslosen David in die Hand.

»Setzen Sie sich. Wir werden jetzt gemeinsam Kaffee trinken, und Sie drei werden zuhören, wie Hercule Poirot Ihnen einen Vortrag über Verbrechen hält.

Ich will von den Cloades sprechen. Es ist nur einer von ihnen anwesend, also brauche ich kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Die Cloades hatten nie die Möglichkeit, sich über ihre eigene Stärke oder Schwäche klar zu werden. Bis zu dem Tag, da sie plötzlich auf sich selbst gestellt waren. Über Nacht zwang das Schicksal sie, mit ihren Schwierigkeiten allein fertig zu werden. Ohne auch nur im geringsten darauf vorbereitet zu sein, befanden sie sich in einer unsicheren Situation. Zwischen sie und ihr gewohntes, sicheres Leben, garantiert durch Gordon Cloades großes Vermögen, war Rosaleen Cloade getreten. Rosaleen Cloade war an allem schuld. Rosaleen Cloade war der Schlüssel zu allen Schwierigkeiten, und ich bin überzeugt, dass jeder Einzelne von den Cloades einmal den Gedanken hegte: ›Wenn Rosaleen doch tot wäre…«‹

Ein Schauer überlief Lynn.

»Haben Sie daran gedacht, Rosaleen Cloade zu töten?«, fragte Poirot Rowley, ohne den Ton der Stimme zu verändern.

»Ja«, gab Rowley leise zu. »An dem Tag, als sie mich hier auf der Farm besuchte. Es ging mir durch den Kopf, dass ich sie leicht töten, könnte. Ja, der Gedanke kam mir, als ich ihr mit ihrem Feuerzeug Feuer gab für ihre Zigarette.«

»Sie vergaß das Feuerzeug hier, nehme ich an.«

Rowley nickte. »Ich weiß selbst nicht, wieso ich den Gedanken nicht in die Tat umsetzte«, sagte er nachdenklich.

»Es war nicht die Art Verbrechen, zu der Sie fähig sind. Das ist die Antwort«, entgegnete Poirot. »Den Mann, den Sie ermordeten, töteten Sie in einem Anfall blinder Wut, und Sie hatten nicht die Absicht, ihn zu töten.«