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Er hatte den Kopf gesenkt und das zusammengefaltete Stück Papier in ihre ausgestreckte Hand gelegt.

Nach einer Weile schweigenden Beisammenstehens sagte Jeremy nur: »Ich wünschte, ich könnte dir helfen, meine Liebe.« Und sie antwortete mit fester, tränenloser Stimme: »Es ist für dich ebenso schlimm.«

»Ja«, hatte er erwidert, »ja.« Und mit steifen Schritten, plötzlich gealtert, zur Türe gehend, fügte er müde hinzu: »Was ist da zu sagen… was ist da zu sagen…«

Ein überströmendes Gefühl der Dankbarkeit war in ihr aufgestiegen. Dankbarkeit für sein wortkarges Verständnis und Mitleid mit ihm, der ohne Übergang zum alten Mann geworden schien, hatte ihr Herz erfüllt. Mit ihr selbst war nach dem Tod ihres Sohnes eine Veränderung vor sich gegangen. Ihre im Allgemeinen freundliche Art erstarb gleichsam, ein Panzer schloss sich um ihre Empfindungen, und es war, als verstärke sich der energische Zug in ihrem Wesen. Sie wurde noch tüchtiger und sachlicher – die Leute erschraken jetzt manchmal vor ihrer etwas barschen Art.

Zögernd strich Jeremy Cloade mit dem Finger über die Lippen, und schon klang es durch den Raum:

»Was gibt’s, Jeremy?«

»Wie meinst du?« Jeremy schrak zusammen.

»Was es gibt, habe ich gefragt«, wiederholte seine Frau ungeduldig.

»Was soll es geben, Frances?«

»Mir wäre es lieber, du würdest mir’s erzählen, anstatt mich raten zu lassen«, kam umgehend die Antwort.

»Nichts, Frances, es gibt nichts«, erklärte Jeremy wenig überzeugend.

Frances ersparte sich die Antwort auf ihres Mannes letzte Bemerkung. Sie schob sie als nicht zur Kenntnis genommen beiseite und schaute Jeremy eindringlich an. Er erwiderte ihren Blick unsicher.

Und für den Bruchteil einer Sekunde verflog die Stumpfheit in seinen Augen und machte einem erschreckenden Ausdruck abgrundtiefer Verzweiflung Platz. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber Frances gab sich keiner Täuschung hin.

»Sag mir lieber, was dich bedrückt«, forderte sie ihren Mann auf, und ihre Stimme klang ruhig und sachlich wie immer, obwohl der plötzliche Wechsel in seinem Ausdruck eben ihr beinahe einen Schrei entlockt hätte.

Jeremy stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Du musst es schließlich doch erfahren, früher oder später«, meinte er.

Und er fügte – zu Frances’ Erstaunen – hinzu:

»Ich fürchte, du hast mit mir ein schlechtes Geschäft gemacht.«

Frances fragte ohne lange Umschweife:

»Was ist los? Geld?«

Sie wusste selbst nicht, wieso ihr als Erstes diese Möglichkeit in den Sinn kam. Es lagen keinerlei Anzeichen finanzieller Schwierigkeiten vor. In der Kanzlei gab es mehr Arbeit, als der kleine Mitarbeiterstab bewältigen konnte. Doch Mangel an Arbeitskräften herrschte überall, und einige Angestellte aus Jeremys Büro waren sogar kürzlich aus der Armee entlassen worden und in ihre alten Stellungen zurückgekehrt. Eher wäre zu vermuten gewesen, es sei eine heimliche Krankheit, die Jeremy bedrückte. Er sah seit einigen Wochen schlecht aus, und die frische Farbe war aus seinen Wangen gewichen. Aber Frances ließ sich von ihrem Instinkt leiten, der auf finanzielle Sorgen tippte, und allem Anschein nach hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen.

Jeremy nickte.

»Aha.«

Frances blieb einen Augenblick stumm. Sie dachte nach. Ihr selbst lag wenig an Geld, aber das zu begreifen war Jeremy nicht möglich. Für ihn bedeutete Geld das Vorhandensein einer um ihn fest gefügten Welt mit Sicherheit und Zufluchtsmöglichkeiten, mit einem festen, angestammten Platz von eherner Unverrückbarkeit.

Für Frances hingegen bedeutete Geld etwas, womit man spielte, das einem in den Schoß fiel, um sich damit zu vergnügen. Sie war in einer Umgebung finanzieller Unsicherheit aufgewachsen. Hatten die Rennpferde die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt, war alles in Hülle und Fülle vorhanden; dann wieder gab es Zeiten, wo die Händler sich weigerten, weiter auf Kredit zu liefern, und Lord Edward alle möglichen Tricks anwenden musste, um die Geldeintreiber von der Schwelle zu verscheuchen. Hatte man kein Geld, dann borgte man sich eben bei Bekannten was oder lebte ein Weilchen bei Verwandten oder verzog sich nach Europa.

Doch ein Blick auf ihres Gatten Gesicht belehrte Frances, dass es in der Welt Jeremys keinen dieser Auswege gab. Dort lebte man nicht auf Pump oder nistete sich ein Weilchen bei guten Freunden ein. Umgekehrt erwartete man auch nicht, um Geld angegangen zu werden oder Bekannte, die sich gerade in Nöten befanden, bei sich aufnehmen zu müssen.

Frances hatte Mitleid mit Jeremy und konnte ein Gefühl der Schuld nicht ganz unterdrücken, weil ihr das alles überhaupt nicht nahe ging. Sie rettete sich ins Praktische.

»Müssen wir alles hier verkaufen? Ist die Firma am Ende?«

Jeremy Cloade zuckte zusammen, und zu spät kam es Frances zu Bewusstsein, dass sie schonungslos gesprochen hatte.

»Lass mich nicht länger im Dunkel tappen, Jeremy«, sagte sie etwas weicher. »Schenk mir reinen Wein ein.«

Jeremy nahm sich zusammen.

»Du weißt, dass vor zwei Jahren die Affäre mit dem jungen Williams uns ziemlich zu schaffen machte«, hub er weitschweifig an. »Dann kam die veränderte Situation im Fernen Osten dazu. Es war nicht so einfach, nach Singapore – «

»Ach, Jeremy«, unterbrach sie ihn. »Spar dir die Erklärungen, warum und wieso es so ist, das ist doch nicht wichtig. Du bist in eine Sackgasse geraten und kannst dich nicht daraus befreien, ja?«

»Ich habe mich auf Gordon verlassen. Gordon hätte alles in Ordnung gebracht.«

Frances konnte einen leisen Seufzer der Ungeduld nicht unterdrücken.

»Nichts liegt mir ferner, als Gordon einen Vorwurf daraus machen zu wollen, dass er sich in eine hübsche junge Frau verliebt hat. Das ist schließlich nur menschlich. Und warum hätte er nicht noch mal heiraten sollen? Aber dass er bei dem Luftangriff umkam, bevor er noch ein Testament machen oder überhaupt nach dem Rechten sehen konnte, das ist ein schlimmer Schlag. Abgesehen von dem Verlust, den Gordons Tod für mich bedeutet«, fuhr Jeremy fort, »ist die Katastrophe ausgerechnet in einem Augenblick über mich hereingebrochen – « Er sprach nicht weiter.

»Sind wir bankrott?«, erkundigte sich Frances unerschüttert.

Jeremy betrachtete seine Frau mit einem an Verzweiflung grenzenden Blick. So unbegreiflich Frances dies auch gewesen wäre, hätte Jeremy Cloade es doch viel besser verstanden, einer in Tränen aufgelösten Frau Rede und Antwort zu stehen als der sachlichen Frances.

»Bankrott? Es ist schlimmer als das«, erklärte er heiser.

Er beobachtete sie, wie sie stumm diese Erklärung aufnahm. Es nützte nichts. Gleich würde er es ihr sagen müssen. Gleich würde sie erkennen, was für ein Mensch er war. Wer weiß, vielleicht glaubte sie es ihm nicht einmal.

Frances Cloade richtete sich in ihrem Lehnstuhl auf.

»Ach so. Ich verstehe. Eine Veruntreuung, ja? Eine Unterschlagung? So etwas Ähnliches, wie es damals der junge Williams angestellt hat?«

»Ja, aber diesmal bin ich der Verantwortliche. Ich habe Gelder, die uns anvertraut waren, für eigene Zwecke benutzt. Bis jetzt ist es mir gelungen, alles zu vertuschen, aber – «

»Aber jetzt kommt es heraus?«, forschte Frances interessiert. »Wenn ich nicht schnell Geld auftreiben kann, ja.«

Schlimmer als alles war die Scham. Wie würde sie dieses Geständnis aufnehmen?

Frances saß, die Wange auf die Hand gestützt, da und dachte mit gerunzelter Stirn nach.

»Zu dumm, dass ich kein eigenes Geld besitze«, sagte sie endlich.

»Du hast natürlich deine Mitgift«, bemerkte Jeremy steif, doch Frances unterbrach ihn geistesabwesend:

»Aber die wird auch weg sein, nehme ich an.«

Es fiel Jeremy schwer weiterzusprechen.

»Es tut mir Leid, Frances. Es tut mir sehr Leid, mehr als ich dir sagen kann. Du hast ein schlechtes Geschäft gemacht.«