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»Auf der Hut? Wovor?«

»Ach, vor allem. Davor, sich durch ihren Akzent lächerlich zu machen, davor, bei Tisch das falsche Messer zu nehmen, davor, sich in einem Gespräch zu blamieren.«

»Ist sie wirklich völlig ungebildet?«

Rowley schmunzelte.

»Der Prototyp einer Dame ist sie bestimmt nicht, wenn du das damit sagen willst. Sie hat hübsche Augen, sehr schöne Haut und ist – sehr schlicht. Ich denke mir, dass gerade ihre Einfachheit Gordon den Kopf verdreht hat. Ob sie sich diese Schlichtheit nur zugelegt hat, weiß man natürlich nicht. Aber ich glaube nicht. Man kann es nicht recht beurteilen. Sie steht im Allgemeinen nur da und lässt sich von David dirigieren.«

»David?«

»Ja, das ist ihr Bruder. Er ist bedeutend weniger unverfälscht als sie. Ich traue ihm jede Gerissenheit zu, die man sich denken kann. Uns liebt er nicht besonders.«

»Das kann man ihm nicht übel nehmen«, entfuhr es Lynn, und als Rowley sie erstaunt ansah, fügte sie hinzu: »Ihr könnt ihn doch auch nicht leiden.«

»Ich bestimmt nicht, und dir wird es nicht anders gehen. Er gehört nicht zu den Leuten, die uns liegen.«

»Wie willst du wissen, wer mir liegt und wer nicht, Rowley? Mein Horizont hat sich in den letzten Jahren erweitert.«

»Du hast mehr von der Welt zu sehen bekommen als ich, das ist wahr.«

Rowleys Stimme klang ruhig, aber Lynn sah trotzdem prüfend zu ihm hinüber. Die Bemerkung war nicht so bedeutungslos gewesen, wie sie sich angehört hatte. Lynn spürte den Unterton. Doch Rowley wich ihrem prüfenden Blick nicht aus. Es war nie einfach gewesen, die Gedanken hinter Rowleys glatter Stirn zu lesen, dachte Lynn. Was für eine verrückte Welt das doch war. In früheren Zeiten pflegten die Männer in den Krieg zu ziehen und die Frauen daheim zu bleiben.

Von den beiden jungen Männern, die die Farm bewirtschafteten, Rowley und Johnnie, hatte notgedrungen einer daheim bleiben müssen. Sie hatten gelost, und Johnnie hatte das Los getroffen. Kurz nachdem er ausgezogen war, fiel er. In Norwegen. Und Rowley war auf der Farm geblieben und während all der Kriegsjahre höchstens eine Meile weit gekommen. Sie, Lynn, hingegen hatte Ägypten, Sizilien und Nordafrika gesehen und mehr als eine gefährliche Situation durchgestanden.

Ob Rowley wohl mit dem Schicksal haderte, das sie beide auf solcherart verdrehte Posten gestellt hatte? Sie stieß ein nervöses kurzes Lachen aus.

»Ist es dir sehr schwer gefallen, Rowley, dass Johnnie… ich meine, dass er – «

»Lass Johnnie aus dem Spiel«, unterbrach Rowley sie barsch. »Der Krieg ist vorbei. Ich habe Glück gehabt.«

»Du meinst, du hast Glück gehabt, dass du nicht zu gehen brauchtest?«

»Ist das kein Glück?« Seine Stimme klang ruhig wie immer, und doch war der schneidende Unterton nicht zu überhören. »Für euch Mädchen, die ihr aus dem Krieg kommt, wird es schwer sein, sich wieder an die heimatliche Scholle zu gewöhnen.«

»Ach, red doch keinen Unsinn, Rowley.«

Sie reagierte unerklärlich gereizt. Warum? Vielleicht, weil ein Körnchen Wahrheit in Rowleys Bemerkung steckte?

»Findest du denn, dass ich mich verändert habe?«, fragte sie, schon nicht mehr so selbstsicher.

»Nicht gerade verändert…«

»Vielleicht bist du anderen Sinnes geworden.«

»Ich bin, wie ich war. Auf der Farm hat sich nicht das Geringste verändert.«

»Umso besser«, entgegnete Lynn, der Spannung, die plötzlich zwischen ihnen bestand, gewahr werdend. »Dann lass uns bald heiraten. Wann es dir passt.«

»Ich denke im Juni irgendwann, ja?«

»Ja.«

Sie verfielen in Schweigen. So war es also abgemacht. Lynn kämpfte vergebens gegen ein Gefühl der Unlust an. Rowley war Rowley, wie er immer gewesen. Freundlich, nicht aus der Ruhe zu bringen und von peinlicher Genauigkeit in allem.

Sie liebten einander, hatten sich immer geliebt. Von Gefühlen war nie viel die Rede gewesen zwischen ihnen. Wozu jetzt davon anfangen?

Sie würden im Juni heiraten und dann in Long Willows leben. Ein hübscher Name für eine Farm, das hatte sie schon immer gefunden. Sie würde in Long Willows leben, und sie würde nicht mehr weggehen von dort. Weggehen in dem Sinne, wie sie es jetzt seit dem Krieg verstand. Brummende Flugzeugmotoren, rasselnde Ankerketten, an Deck stehen und hinüberschauen zum Land, das langsam aus ungewissen Schatten feste Formen annahm; Leben und Treiben fremder Städte und Länder, fremde Sprachen, fremde Sitten, Packen und Auspacken, prickelnde Ungewissheit, was als Nächstes kam – alles vorbei.

Das lag hinter ihr. Der Krieg war aus. Lynn Marchmont war heimgekehrt – aber es war nicht die gleiche Lynn, die vor drei Jahren ausgezogen war. Mit unvermittelter Klarheit wurde sie sich dessen bewußt.

Sie schrak aus ihren Gedanken auf und schaute zu Rowley hinüber. Rowley beobachtete sie.

5

Tante Kathies Gesellschaften verliefen stets gleich. Die etwas atemlose, sprunghafte Art der Gastgeberin übertrug sich auf die Gäste und erfüllte die Atmosphäre mit Unruhe. Dr. Cloade gab sich die äußerste Mühe, von der allgemeinen Nervosität nicht angesteckt zu werden, und war betont höflich zu seinen Gästen, aber es entging niemandem, welche Anstrengung dies für ihn bedeutete.

Rein äußerlich war Lionel Cloade seinem Bruder Jeremy nicht ganz unähnlich, doch fehlte ihm des Rechtsanwalts Ausgeglichenheit. Lionel war kurz angebunden und sehr ungeduldig; seine brüske, leicht gereizte Art hatte schon manchen seiner Patienten vor den Kopf gestoßen und für die außerordentliche Tüchtigkeit und die unter der Schroffheit verborgene Gutmütigkeit des Arztes blind gemacht. Dr. Cloades eigentliches Terrain war die Forschungsarbeit und sein Lieblingsgebiet der Gebrauch medizinischer Kräuter im Laufe der Jahrhunderte.

Während Lynn und Rowley die Frau ihres Onkels Jeremy stets »Frances«, nannten, wurde Onkel Lionels Gattin von ihnen nie anders als »Tante Kathie« gerufen.

Die heutige Gesellschaft, veranstaltet zu Ehren von Lynns Heimkehr, war eine reine Familienfeier. Tante Kathie begrüßte ihre Nichte sehr herzlich.

»Hübsch siehst du aus, Lynn, so braun gebrannt! Die Farbe hast du dir sicher in Ägypten geholt. Hast du das Buch über die Geheimnisse der Pyramiden gelesen, das ich dir geschickt habe? Sehr interessant! Es erklärt alles, findest du nicht? Alles!«

Zum Glück wurde Lynn durch den Eintritt Mrs Gordon Cloades und ihres Bruders einer Antwort auf Tante Kathies überschwängliche Frage enthoben.

»Das ist meine Nichte Lynn Marchmont, Rosaleen.«

Lynn betrachtete Gordon Cloades Witwe mit höflich versteckter Neugier.

Diese Rosaleen, die Gordon Cloade nur seinem vielen Geld zuliebe geheiratet hatte, war hübsch. Das ließ sich nicht leugnen. Und was Rowley behauptet hatte, nämlich, dass etwas Unschuldiges von ihr ausging, stimmte. Das schwarze Haar fiel in lockeren Wellen, die irischen blauen Augen, halb offene Lippen – unbedingt reizvoll.

Der Rest war Aufmachung. Kostspielige Aufmachung. Ein teures Kleid, darüber ein elegantes Pelzcape, Schmuck, gepflegte Hände. Eine gute Figur, unbestreitbar; aber – ging es Lynn durch den Kopf – sie versteht es nicht, die teuren Sachen richtig zu tragen.

»Es freut mich«, sagte Rosaleen Cloade, drehte sich dann zögernd zu ihrem Bruder um und fuhr fort: »Das… das ist mein Bruder.«

»Freut mich«, sagte David Hunter.

Er war ein magerer junger Mensch mit dunklen Haaren und dunklen Augen. Er wirkte nicht sehr glücklich und machte einen eher trotzigen und leicht anmaßenden Eindruck.

Lynn begriff sofort, warum die gesamte Familie Cloade diesen David Hunter nicht leiden konnte. Sie hatte diesen Typ junger Männer in den letzten Jahren manchmal getroffen. Draufgänger, nicht ganz ungefährlich, die weder Gott noch Teufel fürchteten; Männer, auf die man sich nicht verlassen konnte, die skrupellos ihre eigenen Gesetze schufen und sich um nichts scherten; Männer, die an der Front nicht mit Gold aufzuwiegen waren und im normalen Leben eine stete Gefahr bildeten.