Выбрать главу

»Woher weißt du das, du bist doch ans Morsum-Kliff beordert.«

»Nein, bin ich nicht«, widersprach Asmus und wunderte sich über das plötzliche Du. »Es gibt zwei Naturschutzgebiete auf Sylt, und ich bin zuerst zum Schutzgebiet in den Dünen bei List gefahren. Das heißt, da wollte ich hin. Vorher entdeckte ich jedoch den Diebstahl des Schmuggelguts.«

»Ich werde deine Meldung notieren, wenn du darauf bestehst«, meinte Jung gönnerhaft. »Für deine Zukunft hier auf Sylt wäre es besser, das Maul zu halten und so schnell wie möglich zu den Dünen zurückzukehren. Du hast die Wahl. Eine Minute.«

»Vielen Dank für Ihre Großzügigkeit«, spottete Asmus hintergründig, für den in diesem Augenblick die Fronten geklärt waren. »Ich ziehe Korrektheit vor.«

»Mir scheint, du bist noch nicht ausreichend belehrt, was die politischen Ziele in diesem Land sind.« Jung grinste schief, schlug eine neue Seite im Journal auf und begann zu schreiben. »Ich glaube nicht, dass du zu uns passt. Du wirst es selber noch merken.«

Asmus verzog verächtlich die Lippen. »Die Ziele der gegenwärtigen Republik sind gewiss nicht, Alkoholschmugglern und anderen Gaunern freie Fahrt zu verschaffen. Könnte es sein, dass Sie etwas verwechseln?«

»Was denn?«

»Persönlichen Gewinn auf Kosten der Allgemeinheit mit dienstlichem Auftrag«, sagte Asmus in sanftem Ton.

Jungs Gesicht wurde violettrot wie der Pavianhintern, den Asmus einmal im Berliner Zoo gesehen hatte. »Sie!«, stammelte er. »Du …«

»Ja, bitte …« Asmus wartete auf den Vorwurf.

»Glaub nicht, dass ich bereit bin, Sinkwitz diese hochverräterische Anklage zu verschweigen!«, gauzte Jung. »Und auch nicht einer kleinen, aber feinen politischen Gruppierung gegenüber, die vielleicht einmal die große Politik in diesem Land bestimmen wird.«

»Ach? Spielen Sie schon vorsorglich bei den Faszisten mit?«, fragte Asmus anzüglich und verließ die Wache.

Am Nachmittag legte Asmus wieder den weiten Weg nach List zurück, wo er erstmals durch die Dünen wanderte, die er noch nie gesehen hatte. Manche waren ohne jeden Bewuchs, und Sand wehte ihm bei jedem Schritt um die Beine, andere waren bewachsen. Gräser mit sehr scharfen Spitzen machten solchen Platz, die bläuliche, silberne oder rote Blätter hatten, dann sah er distelartige Geschöpfe, deren Rosetten sich flach auf den Sand legten. Eine unendliche Vielfalt von Pflanzen, die er nicht kannte, aber vor den gierigen Händen von Badegästen oder womöglich vor irgendwelchen Gewohnheitsrechten der Einheimischen schützen sollte. Wenn man sich erst einmal damit befasste, war es atemberaubend schön. Er wunderte sich, dass irgendwer es geschafft hatte, in dieser turbulenten Zeit erfolgreich ein Naturschutzgesetz durch die allzeit auf Krawall eingestellten Parteien zu schleusen.

Schon nach wenigen Stunden seiner Wanderung auf die Westseite der Insel und zurück wurde Asmus klar, dass ihm die Überwachung von Naturschutzgebieten mit derart geringen Kenntnissen von der Natur nicht möglich war. Zu wissen, dass sie schön war, reichte nicht, und eine Scheintätigkeit würde er nicht abliefern, dazu war er sich zu gut.

Abends holte er sich wieder bei Hans Christian Bahnsen Rat.

»Ja, unsere Insel ist ein kleines Wunderwerk des Herrn«, meinte Bahnsen zustimmend, als Asmus ihm von seinen atemberaubenden Beobachtungen erzählt hatte.

»Eben. Aber es ist sicherer, dem Herrn dabei zu helfen, das Wunderwerk zu schützen. Stell dir vor, Hans Christian, dass diese Nackedeis aus Kampen plötzlich die Dünen besetzen. Jedem Pärchen sein Tälchen.«

Bahnsen lachte schallend und klatschte sich auf die Knie. »Das wäre ein Werbespruch, mit dem man noch mehr Leute herbeilocken könnte. Kennst du den, der ist allerdings schon alt: ›Was der Leuchtturm für die Küste, ist Hautana für die Brüste‹?«

Asmus schüttelte mit düsterer Miene den Kopf. »Er ist geschmacklos. Allerdings passend für die fremden Nackedeis, von denen ich vermute, dass sie die Gräser kaputtmachen würden, die den Sand halten, heißen Tee vergießen, drauf pinkeln, rauszupfen, sich wälzen … Wer weiß, was noch.«

»Oh, da könnte auch ich mir noch eine Menge vorstellen.« Bahnsens Tabakspfeife machte gurgelnde Geräusche, während er sich die Zukunft ausmalte. »Die Gastwirte aus Westerland schicken Ponywagen in die Dünen, beladen mit Butter- und Schmalzbroten, geräuchertem Aal, Matjes und Austern, Bier und Fliederbeerlimonade. Am Ende könnten sie dort sogar kleine Petroleumöfen installieren, auf denen sie die mitgebrachten Speisen heiß machen.«

»Und genau das wollen wir nicht.«

»Nein, das wollen wir nicht«, bestätigte der Werftbesitzer, plötzlich ernst geworden.

»Ich muss deshalb einen Lehrmeister finden, der mich lehren kann, was zu schützen ist, worauf ich achten muss und so weiter.«

»Ja, das ist mir klar.«

»Ich will nicht von Sinkwitz als Spielfigur zu einer Tätigkeit beordert werden, von der er zu wissen glaubt, dass ich sie nicht erfüllen kann. Wahrscheinlich hofft er, dass ich so erfolglos sein werde wie die Wache im Hinblick auf den Alkoholschmuggel.« Ganz zu schweigen von den beiden seiner Meinung nach nicht aufgeklärten Todesfällen.

Bahnsen zögerte, klopfte seine Pfeife aus, stopfte sie neu und dachte nach.

Asmus wartete geduldig. Er merkte, dass Bahnsen sich mit etwas herumschlug. Er verschob die Schirmmütze, ohne die er nie zu sehen war, und kratzte sich in seinem stoppeligen grauen Haar.

Schließlich entschloss Bahnsen sich. »Ja, gut. Du musst nach Kampen fahren. Mitten in das Nest, in dem die Nackedeis hausen.«

»Was?«

»Ja, es ist so«, bekräftigte Bahnsen und zuckte die Schultern. »Leider wissen meine Landsleute nicht die Schätze zu schützen, die ihnen der Herrgott gegeben hat. Da mussten Fremde kommen, die uns darauf aufmerksam machen. Natürlich wurden sie erst einmal wegen ihrer wirren Vorstellungen verspottet, aber gelegentlich, ganz gelegentlich, stellen auch Einheimische fest, wie recht sie haben. Junge Leute, die älteren nicht.«

»Tatsächlich«, murmelte Asmus und wusste vor Überraschung noch immer nichts zu sagen. Denn ohne sich ein abschließendes Urteil über diese Künstler, Maler und Schriftsteller anzumaßen, hatte er sie doch heimlich als Störenfriede auf Sylt empfunden. Und nun entpuppten sie sich als Bewahrer dessen, was die Friesen möglicherweise aus Unachtsamkeit und Gleichgültigkeit zu zerstören imstande waren?

»Geh zur Villa Uhlenkamp in Kampen. Du findest sie leicht, sie ist im Unterschied zu unseren alten dörflichen Häusern zweistöckig und in Fachwerk gebaut. Im Sommer wohnt dort Ferdinand Avenarius. Der schreibt und gibt eine Zeitschrift heraus. Er wird dir weiterhelfen können.«

»Hat er die Kenntnisse, die ich mir aneignen will?«

»Das weiß ich nicht. Er dürfte sowieso zu alt sein, um dich durch deine Schutzgebiete zu führen. Er soll auch krank sein. Aber raten wird er dir. Sylt ist seine Leidenschaft geworden.«

»Gut, das mache ich. Aber jetzt gehe ich erst einmal in die Koje. Wanderungen machen müde.« Asmus stand auf und streckte sich.

Bahnsen sah zu ihm hoch und grinste. »Typisch für Männer der See. Ich würde nach Hörnum auch nur segeln, statt eine Bahnfahrkarte zu lösen und am Ende noch meine Füße abnutzen zu müssen.«

»So geht es mir auch«, stimmte Asmus zu. »Gute Nacht.«

»Ach übrigens, Niklas«, warf Bahnsen hinter ihm her. »An der Villa Uhlenkamp halte dich nicht lange mit Klopfen an der Tür auf. Geh in den Flur und brülle durchs Haus nach Herrn Avenarius. Er liegt bei sonnigem Wetter immer nackt in seiner Badewanne auf dem Dach und hört kein Klopfen.«

Lautes Brüllen erwies sich als überflüssig, als Asmus am nächsten Vormittag in Kampen vor der Villa stand. Ein Herr mit Jackett und akkurat gebundenem Halstuch, sichtlich einer begüterten Gesellschaftsschicht angehörend, saß auf einer Bank vor einem Tisch am Haus und schrieb konzentriert. Die Sonne brannte, aber das schien ihn nicht zu stören.