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»Herr Avenarius?«, fragte Asmus behutsam, um ihn nicht zu erschrecken.

Der ältere Herr mit wirrem Haar und krausem Bart sah hoch. Missbilligend musterte er Asmus vom Tschako bis zu den Stiefeln. »Ja. Was ist denn nun schon wieder?«, fragte er ungehalten. »Ich habe nichts getan, worüber Sie sich beschweren könnten.«

»Nein, da haben Sie völlig recht, ich wüsste auch nichts.« Asmus’ herzhafte Zustimmung ließ Herrn Avenarius den Bleistift auf sein Heft schmettern.

»Ja, was ist dann? Da Sie meinen Vortrag über die zerstörerische Wirkung des Wattenmeer-Damms, den ich nächste Woche halten werde, nicht kennen, können Sie ihn mir nicht verbieten! Oder gehen Sie jetzt schon so weit?«

»Herr Avenarius«, sagte Asmus unbeeindruckt, »ich kenne die Schwierigkeit, die Sie offenbar seitens der Schupo fürchten, nicht. Ich wurde kürzlich nach Sylt abkommandiert, habe mich um die Einhaltung der neuen Naturschutzbestimmungen zu kümmern und suche jetzt Hilfe. Sie wurden mir empfohlen als derjenige, der mir Sachkundeunterricht erteilen kann. Mit anderen Worten: Wenn ich eine Stranddistel schützen soll, muss ich wissen, wie sie aussieht. Und Sie wissen das, hat man mir gesagt.«

Der Künstler runzelte ungläubig die Stirn. »Das sind ja ganz neue Töne. Bisher hat die Polizei sich stets als mein Gegner gegeben. Zum Beispiel hat man versucht, mich glauben zu machen, dass die Besucher des Leuchtturms Rotes Kliff in meine Badewanne auf dem Dach spähen können. Und da meine Badewanne keine Konzession als Nacktbadestrand hat, wurde mir der Aufenthalt dort in unbekleidetem Zustand verboten.«

Asmus wandte sich zu dem gelb-grauen Turm um, der von überall her zu sehen war, aber doch in einiger Entfernung lag, und brach in unbekümmertes Lachen aus. »Ist das Ihr Ernst?«

Avenarius nickte und fiel in sein Lachen ein. »Mit Fernglas, ja. Kommen Sie. Setzen Sie sich«, lud er Asmus ein. »Und bitte stellen Sie Ihre kriegerische Kopfbedeckung unter die Bank. Leiden mag ich diese Dinger nicht.«

»Ich auch nicht«, bekannte Asmus. »Sie sind so entsetzlich verräterisch und geben zuweilen ein völlig falsches Signal. Bis vor einigen Wochen gehörte so ein Ding nicht zu meiner Dienstkleidung. Immerhin habe ich auch keinen Säbel, was für mich sprechen sollte.«

Avenarius musterte ihn mit plötzlichem Interesse. »Strafversetzt?«

Asmus nickte griesgrämig.

»Spricht tatsächlich für Sie. Was möchten Sie wissen?«

»Ich soll, wie gesagt, die Naturschutzgebiete bewachen. Und das werde ich tun. Sie sind wunderschön. Aber ich brauche Nachhilfeunterricht in der Pflanzen- und Vogelwelt, um die Frevler, die bestimmt kommen werden, mit begründeten Argumenten in ihre Schranken verweisen zu können. Festnehmen, also. Es kann nicht sein, dass einer mir erklärt, die Strand-Platterbsen hätte schon sein Großvater als Mittagessen für seine zehn hungrigen Kinder geerntet und auch er hätte ein Recht darauf, vor allem in diesen schlechten Zeiten. Ich möchte sagen können, dass das nicht stimmen kann, weil die Platterbsen giftig sind, und er wahrscheinlich nur Futter für seine Ziegen sucht. Aber auch das ist schließlich verboten, weil Abernten den Dünen schadet.«

Avenarius schmunzelte. »Ich verstehe, was Sie meinen.«

Das wäre zu wenig, dachte Asmus ungeduldig.

»Sie sehen selbst, dass ich nicht mit Ihnen durch die Dünen wandern kann«, erwiderte Avenarius und zeigte auf den Krückstock, der neben ihm lehnte. »Aber ich habe eine junge, enthusiastische Mitarbeiterin, die Feuer und Flamme für die Erhaltung ihrer Heimatinsel ist: Ose Godbersen.«

»Ja?« Asmus schöpfte Hoffnung.

»Ja. Sie ist eine der besten Kennerinnen unserer heimatlichen Fauna und Flora, und wenn Sie es ehrlich meinen, ist sie die beste Lehrmeisterin, die Sie bekommen können.«

Außer einem unbestimmten Grunzen brachte Asmus keine vernünftige Erwiderung zustande. Auf solches Misstrauen war er nicht gefasst gewesen, und jetzt erlebte er, dass er sich gewissermaßen für seine Dienststelle zu schämen hatte. »Tut mir leid, dass sich die Schupo Westerland anscheinend so unbeliebt gemacht hat«.

»Ja«, bekräftigte Avenarius. »Und wie! Aber mir scheint, man kann Sie noch erziehen.«

»Herzlichen Dank«, stammelte Asmus geschlagen und fühlte sich wie ein gemaßregelter kleiner Junge. »Wo finde ich Ose Godbersen?«

Avenarius zog eine Grimasse. »Ose!«, brüllte er erstaunlich kräftig. »Kommst du mal?«

Der dicke blonde Zopf, der als Kranz um Oses Kopf gewunden war, fiel Asmus als Erstes auf. Das junge Mädchen trat mit einem Teller voller Küchlein in die Tür, den sie vor dem Künstler abstellte. »Vater Avenarius«, sagte sie respektvoll, »ich habe dein Lieblingsgebäck gebacken. Sag bitte nicht, dass du keinen Appetit hast.«

Avenarius lächelte sie zärtlich an. »Das würde ich nie wagen. Dir höchstens entgegenhalten, dass ich keinen Hunger habe.«

»Du musst Hunger haben! Gestern Abend hast du das hartgekochte Ei nicht gegessen, sondern nur am Queller genascht. Und das Brot blieb unberührt. Das ist nicht genug, um einen Mann zu ernähren.«

»Ich brauche nicht mehr viel, das weißt du doch, Ose«, verteidigte sich Avenarius schwach. »So lange habe ich nicht mehr zu leben.«

»Papperlapapp. Jeder lebt, solange er will. Du hast kein Recht aufzugeben. Wir Sylter brauchen dich. Und was ist mit deinem Gast?« Ose wandte sich Asmus zu und musterte ihn.

»Auch er braucht Hilfe – deine Hilfe. Er ist Schupo und soll sich um die neuen Naturschutzgebiete kümmern, hat aber keine Ahnung davon.«

»Dann ist er bestimmt der Richtige für die Aufgabe«, bemerkte Ose sarkastisch.

»Ja, das glaube ich auch. Wäre er es nicht, würde er sich in die Dünen legen, in den Tag träumen und in dem Tagebuch der Wache, oder was immer sie da haben, bestätigen, dass er seine Arbeit ordnungsgemäß erledigt hat. Das aber tut er nicht. Er ist hier!«

»Ah ja?«, fragte Ose ungläubig, aber schon halb umgestimmt, und ließ sich auf dem freien Stuhl am Tisch nieder.

»Ja!«

»Wenn du die Küchlein isst, glaube ich dir, dass du glaubst, dass er es ernst meint!«

Avenarius holte tief Luft, nahm sich eins von den Gebäckstücken und begann zu knabbern.

»Ja, dann«, sagte Ose, ungläubig angesichts der Tapferkeit ihres Mentors, »dann fangen Sie mal an, Herr Schupo. Was wollen Sie von mir?«

Nach einer erfrischenden ersten theoretischen Lehrstunde bummelte Asmus zurück nach Westerland, immer so nah am Wasser wie die schmalen Karrenwege, die man als Stichstraßen zum Ufer ansehen musste, es zuließen. Häufig zwangen sie ihn, wieder umzukehren, um zu der einzigen Nord-Süd-Verbindung der Insel zu gelangen.

Er hatte den Ort Wenningstedt noch nicht erreicht, als er sich oberhalb des Kliffs, das zum Dorf gehörte, vor einem einzelnen Haus wiederfand, zweistöckig und mit Erkern und Giebeln versehen, aber immerhin in einheimischer Bauweise mit Reetdach und umgeben von Heckenrosen. Da Asmus vermutete, er befände sich inzwischen auf privatem Gelände, stoppte er und machte kehrt.

Just in diesem Augenblick tauchte der Kopf eines Mannes über der Hecke auf, dessen Erscheinen ein freundliches »Moin, moin« folgte. »Fliehen Sie vor mir? Müssen Sie nicht. Ich bin harmlos.«

Asmus lachte und stellte den Motor aus. »Und ich bin hier wohl ganz und gar verkehrt. Ich wollte so küstennah wie möglich nach Westerland. Die Aussicht ist so schön!«

»Keineswegs sind Sie verkehrt. Kommen Sie rein und trinken Sie einen Fliederblütensaft mit mir! Sollten Sie den noch nicht kennen – er ist sehr erfrischend.«

Es konnte nicht schaden, sich mit Syltern aller Art bekannt zu machen. Dieser war ein Einheimischer, wie Asmus an der Sprache hörte.

»Rörd Jacobsen«, stellte sich der großgewachsene Mann mit graumeliertem Haar und fast weißen Augenbrauen vor. Er reichte Asmus über die Hecke hinweg die Hand. »Und Sie sind der neue Polizist.«