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In die Lücke, die dadurch entstand, preschte Asmus, vorbei an dem Nazi mit der Armbinde, dessen aufmerksam hin- und herfliegende Blicke er wahrnahm, und packte Schröder am Arm. »Was machen Sie hier?«, herrschte er ihn an. »Habe ich Ihnen nicht Inselverbot erteilt?«

»Ich bin privat hier«, zischte Schröder zurück. »Sie auch?«

Allerdings. Verhaften konnte er ihn nicht. »Wo übernachten Sie?«

»Das geht Sie nichts an. Privat eben.«

»Waren Sie gestern und vorgestern schon auf der Insel?«

Schröder zuckte die Achseln.

»Die Auskunft reicht mir nicht.«

»Mir egal. Ich habe mich bei Herrn Sinkwitz höchstpersönlich erkundigt. Meine Partei ist in Preußen nicht verboten, und Ihr Inselverbot ist Quatsch.«

»Die Proletarischen Hundertschaften unter kommunistischer Führung wurden bereits verboten«, unterbrach Asmus ihn.

»Sehe ich aus wie eine Hundertschaft? Sinkwitz bestätigt mir, dass ich herumlaufen darf, wo ich will. Dies ist ein freies Land, und gegen mich liegt keine Anzeige vor. Auf Wiedersehen, Herr Wachtmeister.«

Asmus ließ ihn wohl oder übel gehen, obwohl er sich bereits gefragt hatte, ob Schröder mit dem Anschlag auf der Werft zu tun haben könnte. Mehrfach dort gesehen worden war er ja, und eine passende Ausrede wäre immer gewesen, dass er sich wegen des Fährplans hätte erkundigen wollen.

Schröder marschierte unbeeindruckt mit schwingenden Armen davon. Dieser kaltschnäuzige Widerling hatte sich gut geschlagen, was sein Recht betraf. Aber dass er sich ausgerechnet von höchster Stelle Schützenhilfe geholt hatte, ärgerte Asmus ganz gehörig. Sinkwitz hätte durchaus eine Formulierung finden können, die Schröder etwas vorsichtiger gemacht hätte. Als Asmus sich nach Böhrnsen umsah, der solches Interesse für Schröder gezeigt hatte, war der verschwunden.

Dafür entdeckte er Müller, Jacobsen und Bauer, die soeben in einen offenen Wagen mit Chauffeur einstiegen und abfuhren.

Wo er nun schon in Westerland war, machte sich Asmus zu Fuß zur Wache auf. Es wurde spät, bis er ankam, und ausnahmsweise war Sinkwitz anwesend. Er schrieb in ein Heft. »Moin, moin. Sind alle dienstlich unterwegs?«, fragte Asmus erstaunt.

»Nein, im Gegenteil. Es ist außergewöhnlich ruhig, sie haben alle Feierabend.«

»Dann konzentrieren sich die Bösewichte der Insel wohl hauptsächlich auf Munkmarsch.«

Sinkwitz sah auf. »Wieso?«

»Der Mord in der Werft. Heute zerschnittene Reifen an meinem Motorrad.«

»Unfall in der Werft, meinen Sie wohl. Ein Bolzen im Hinterkopf. Ich habe mich im Krankenhaus erkundigt. Und dass jemand etwas gegen Polizisten und dessen Fahrzeug hat, ist normal«, entgegnete Sinkwitz gleichmütig.

Es war zwecklos, ihn zu fragen, ob die Kollegen in Husum Bescheid erhalten hatten. »Kennen Sie zufällig einen Ferdinand Schröder?«

»Ja, sicher. Ein Parteigenosse aus Flensburg. Sie wissen inzwischen sicher, dass ich der KPD angehöre.«

»Ja. Ich habe ihm wegen Agitation Inselverbot erteilt.«

»Das können Sie gar nicht.«

»Er benahm sich in meinem Beisein unflätig einer Frau gegenüber. Es sollte ein kleiner Schuss vor den Bug sein. Ich hätte ihn auch anzeigen können.«

»Dann machen Sie das das nächste Mal. Ich bin der Überzeugung, dass er sehr willig mitgeht.« Sinkwitz grinste hinterhältig.

»Wieso sollte er?«

»Eine erwiesenermaßen falsche Anschuldigung würde sich in Ihrer Personalakte nicht sehr gut machen. Das weiß einer wie Schröder, auf dem Feld ist er Spezialist. Unter anderem hat er gegen das schwachsinnige Betriebsrätegesetz gekämpft. Er war bei der Protestversammlung neunzehnhundertzwanzig vor dem Reichstagsgebäude dabei. Zweiundvierzig Tote unter unseren Genossen.«

»Soviel ich weiß, schossen die Demonstranten als erste auf die Sicherheitspolizisten, die die Abgeordneten schützen sollten«, erinnerte sich Asmus. »Etliche von ihnen waren schon an mehreren Stellen in der Stadt von aufgehetzten Protestierern entwaffnet und misshandelt worden.«

Sinkwitz schwieg. Asmus fand es verstörend, dass sein Vorgesetzter in erster Linie Kommunist und dann in zweiter Polizist war. Seiner Ansicht nach war die politische Einstellung Privatsache.

»Die Probleme des einfachen Volkes und die Lebensgefahr, in die Arbeiter schnell mal geraten können, gehen an Ihrer vornehmen Familie wahrscheinlich sowieso vorbei«, murmelte Sinkwitz in Gedanken versunken.

Asmus verzichtete auf die Erwiderung, dass mit der russischen Räterepublik, der von Sinkwitz ersehnten Staatsform, und der Machtübernahme durch die Bolschewiken als Erstes Hunderttausende politische Feinde, Gegner oder einfach nur widerspenstige Menschen ermordet worden waren. Ihm selber schien deshalb die größere Gefahr bei den Fanatikern zu liegen, die ihre Ideologie durchsetzen wollten. Aber eines war sicher: Sinkwitz und er würden sich bei dem Thema Kommunismus nicht einigen können.

»Sie scheinen Schröder sehr gut zu kennen«, mutmaßte er.

»Das will ich meinen. Wir sind seit langem befreundet.«

Dieses Bekenntnis verschlug Asmus die Sprache. Ohne es zu beabsichtigen, war er Sinkwitz gewaltig auf die Füße getreten. Nicht unwahrscheinlich, dass Schröder sogar bei ihm logierte. Das sollte er aber herausbekommen können.

»Übrigens, Wachtmeister Asmus!«

Der scharfe Ton, den Sinkwitz anschlug, unterbrach Asmus in seinen Überlegungen und alarmierte ihn.

»Gegen Sie ist Anzeige erstattet worden. Wegen Diebstahls von Möweneiern. Oder sind Sie inzwischen jagdberechtigt?«

Die Erbitterung blieb Asmus fast im Halse stecken. »Nein. Ich hatte Hunger.«

»Gewiss. Solche Ausreden hören wir häufig von Beschuldigten, wie Sie selbst wissen«, erwiderte Sinkwitz höflich mit einem eher fühlbaren als hörbaren Unterton von Überheblichkeit.

»Es waren übrigens keine Möweneier, sondern Eier von Brandgänsen. Die stehen nicht unter Schutz.«

»Können Sie das beweisen?«

»Nein, aber der, der mich anzeigte, auch nicht. Wer war das?«

»Das ist mir entfallen. Sie können sich den Namen aus den Anzeigen der letzten Wochen ja heraussuchen.«

»Ja. Jetzt gleich?«

»Irgendwann. Es ist zu unwichtig.«

»Aha. Und was passiert jetzt?«

Sinkwitz zuckte die Schultern. »Nichts. Auf Sylt gibt es in fast jedem Haus eine Flinte, jagdberechtigt sind die meisten.«

Das stimmte. Wenn Asmus dienstlich im Gelände unterwegs war, hörte er meistens Schüsse. Die Jäger von Kaninchen und Möwen, auf den Sandbänken auch von Seehunden, ließen sich natürlich nicht sehen, da keine Jagdzeit war. Und Eierdiebe hatte er nie angezeigt, sondern war in eine andere Richtung gegangen. Ärgerlich war lediglich, dass sich Kurgäste aus reinem Beutetrieb beteiligten und aus der Ferne nicht immer von den Einheimischen unterschieden werden konnten.

»Sie sind also Jagdberechtigter, wenn jemand fragt«, versetzte Sinkwitz und entließ Asmus in die beginnende Dämmerung.

Es war schon dunkel, als er auf sein Boot stieg.

Als Asmus am nächsten Morgen Ose abholte, regnete es. Ein scharfer Südwestwind trieb das Wasser in Schlieren über seine Motorradbrille. Ose klammerte sich geduckt an seinen Rücken. Sie würden binnen kurzem durchnässt sein. So konnte er nicht weiterfahren.

Der Mai und der Juni waren schon viel zu kalt gewesen, und das schien sich fortzusetzen. Jetzt in den ersten Julitagen war es herbstlich unwirtlich.

»Ose!«, schrie Asmus über seine Schulter nach hinten. »Ich schlage vor, wir setzen uns in ein Café, bis der Schauer vorbei ist.«

»Ja, gut! Dann am besten ins Kurhaus in Westerland«, rief sie ihm ins Ohr.

Eine Viertelstunde später stiegen sie mit eingezogenen Köpfen tropfnass die Stufen zum Kurhaus hoch, deren Markisen heute eingerollt waren. Das gemütliche kleine Café war bis zum letzten Platz besetzt. Viele Kur- und Badegäste hatten die gleiche Idee wie sie gehabt. Asmus verstand jetzt Müllers Forderung nach mehr Cafés.