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Später, als sie sich endlich bei Törtchen und Tee aufgewärmt hatten, fiel Asmus auf, dass ihre auf Heide und Düne ausgerichtete Kleidung nicht gerade hierher passte. Der sportlichste Aufzug bei den Männern waren modische Knickerbockerhosen, die vermutlich sogar original aus England stammten. Ihm fiel sein Nachbar von der Parteiversammlung ein, wobei ihn vor allem dessen Bekannter interessierte.

Asmus beugte sich zu Ose hinüber. »Kennst du zwei junge Männer, Freunde wohl, von denen der eine vermutlich ein Bayer ist, der andere einheimisch, aber gekleidet wie ein Großstädter in weißem Anzug. Der machte eine sehr spitze Bemerkung über die illegal gebauten Sommerhäuser von reichen Fremden in den Gebieten, die wir heute unter Schutz stellen. Er erwähnte auch Pläne für Hörnum. Der muss von hier sein.«

Ose runzelte die Stirn und dachte nach. »Es könnte sein, dass ich weiß, wen du beschreibst. Möglicherweise handelt es sich um Cord Sibbersen, der Sylt verließ, um in München zu studieren. Er hatte wegen des Ausverkaufs der Insel an Fremde, wie er sagte, anfänglich großen Krach mit seinem Vater, einem Kaufmann, und in der Folge mit der gesamten Kaufmannschaft. Schließlich schickte man ihn fort. Ich wusste gar nicht, dass er zurück ist.«

»Er bekam auf seine Frage keine Antwort von den Parteimitgliedern.«

»Nein, natürlich nicht. Wenn er der ist, den ich meine. Das Sticheln gehörte zu seiner Natur, nur umsetzen konnte er seine Ideen nie. Er war kein Macher, aber seine Worte wirkten immer. Er brachte es fertig, Umzüge von Gleichgesinnten zu organisieren und einen Aufruhr zu veranstalten. Ich werde meinen Vater fragen, ob er noch etwas über Cord weiß. Ich war zu jung damals.«

»Dann wäre er ja eigentlich genau das, was Parteien als Einpeitscher brauchen.«

»Ja, nur gibt es keine Partei, die seine Ideen umsetzen würde. Ich vermute, alle finden sie gefährlich. Ihn auch, denn er nennt die Männer beim Namen, die sich auf irgendeine Art an Sylt zu bereichern versuchen. Furchtlos, rücksichtslos, manchmal peinlich für die Angeschuldigten. Ihm ist es ganz gleich, welcher Partei sie angehören, und auch, ob sie große oder kleine Gewinne machen. Er gilt als unberechenbar. Er bringt es fertig, sich für Miesmuscheln einzusetzen.«

»Ja, das möchte ich aber doch hoffen«, rief Asmus mit strenger Stimme, und Ose schüttete sich so vor Lachen aus, dass einige Gäste herüberblickten.

Ihr blieb das Lachen im Halse stecken, als gleich darauf am Nachbartisch ein ernsthafter Streit mit dem Kellner ausbrach, der sehr laut seitens der Gäste wurde.

Ein Paar wollte drei Tassen Kaffee und zwei Stück Sahnetorte bezahlen. Die Dame weigerte sich, die Summe von 30 000, – Mark zu akzeptieren. »Siebenundzwanzigtausend«, beharrte sie. »So stand es auf der Karte, als wir uns setzten.«

»Tut mir leid, meine Dame«, entschuldigte sich der Kellner. »Dann hätten Sie die drei Tassen gleichzeitig bestellen müssen. Da Sie das aber nicht taten – zwischen Ihren Bestellungen ist der Kaffeepreis gestiegen.«

»Das ist doch nicht die Möglichkeit!«, schimpfte die Dame aufgebracht, blickte sich um und erhielt von einigen anderen Tischen Solidaritätsbekundungen.

»Das war vorgestern auch schon so, nur kostete die Tasse sechstausend.«

»Wir reisen morgen ab«, rief jemand anders. »Zum Glück ist die Rückreise bereits bezahlt. Und für dieses Wetter müsste man ja noch Zuzahlung bekommen! Das ist doch kein Sommer, was die hier haben!«

»Wir gehen!« Mehrere erboste Gäste winkten dem Kellner nachdrücklich, endlich mit der Rechnung zu kommen, bevor sie erhöht wurde.

»Ich kann auch nichts dafür«, murmelte dieser unglücklich und hastete von Tisch zu Tisch.

Ose rückte an Asmus heran. »Ich habe überhaupt nicht an die Preise gedacht«, flüsterte sie beklommen. »Nur an den eiskalten Regen beim Fahren und wie wir ihm entgehen könnten.«

»Ich auch nicht«, bekannte Asmus. Im Alltag hatte er sich daran gewöhnt, Geldausgaben zu vermeiden, aber mit Ose auf dem Soziussitz, die sich an ihn schmiegte und ihm eine atemberaubende Wärme durch den Rücken jagte, war ihm die Vorsicht abhanden gekommen.

»Wir legen zusammen, es wird schon reichen«, hauchte sie ihm ins Ohr.

»Arbeiter werden mittlerweile zweimal in der Woche ausbezahlt. Wir Beamten natürlich nicht.« Das war seine Art, ihr Angebot zu akzeptieren, falls es wirklich knapp werden würde, was er nicht hoffte. In seinen Kreisen war die finanzielle Beteiligung von Frauen an den Kosten einer Einladung eine Unmöglichkeit. Bei ihm hatte es nichts mit dem Festhalten überkommener Rollen wie in seiner Reederfamilie zu tun, sondern ausschließlich mit Höflichkeit. Immerhin war es seine Idee gewesen, derart dem Wetter auszuweichen. »Übrigens: Wer ist Rörd Jacobsen? Auch in der Parteiversammlung anwesend. Erste Reihe, teuer gekleidet, sehr zurückhaltend. Aber er schien anzunehmen, dass durchgeführt wird, was er vorschlägt. Ohne Diskussion.«

»Das wird es auch. Er führt ein Herrenausstattungsgeschäft mit Maßschneiderei.«

»In Westerland?«

»Oh ja. Natürlich sind seine Kunden hauptsächlich Gäste.«

Asmus ließ sich die Beschreibung durch den Kopf gehen. »Er dürfte also einer derjenigen sein, die am meisten durch den Damm profitieren werden. Mehr reiche Gäste und mehr begüterte Zuzügler, die hier schneidern lassen …«

»Wahrscheinlich.«

»Und der Herr Müller, der die Versammlung leitete?«

»… ist der Bürgermeister.«

Zu seinem Glück hatte Asmus ausreichend Geld bei sich. Erleichtert verließ er das Café. Die Muscheln hingen ihm zwar schon fast zum Hals heraus, aber sie würden ihn am Leben erhalten, zusammen mit verschiedenen Pflanzen der Salzwiesen, die als Gemüse verwendbar waren. Wenn er zur passenden Tide Freizeit hätte, würde er noch konsequenter als bisher Aale angeln. Auch die Buttschnur mit vierzig Haken hatte sich als sehr erfolgreich erwiesen. Ose würde er davon natürlich nichts erzählen, sie war strikt dagegen, im flachen Wasser ausgerechnet die Jungfische zu fangen. Aber was sollte er machen? Irgendwie musste er sich ja ernähren, übrigens wie die meisten Einheimischen auch. Unbebrütete Vogeleier gab es nicht mehr, die ersten Jungvögel schlüpften schon.

»Worüber denkst du nach?«, erkundigte sich Ose, als sie ins Freie traten, wo die Regenfront durch war und es nur noch von den Bäumen tropfte.

»Über leckere Muscheln.«

»Und warum grinst du dabei?«

»Einfach so. Ich freue mich meines Lebens.«

»Schön.«

»Kennst du eigentlich diesen Ferdinand Schröder näher?«

»Bestimmt nicht. Wenn ich ihn sehe, verschwinde ich lieber.«

»Ja, das kann ich verstehen. Er scheint mit meinem Chef befreundet zu sein.« Asmus schüttelte, immer noch verständnislos, den Kopf.

»Eben. Der oberste Polizist, der sich mit so einem Unflat, in meinen Augen ein Ganove, zusammentut …«

»Es stimmt also?«

»Ja, sicher. Das ist bekannt.«

»Warum hast du es mir nicht erzählt?«

»Ich wollte dich nicht beeinflussen. Es ist besser, dass du dir deine eigene Meinung bildest.«

Ose hatte recht. Trotzdem wäre ihm lieber gewesen, dass sie ihn gewarnt hätte.

»Ist der oft hier?«

»Ich glaube. Man sieht ihn häufig auf der Insel, wenn das letzte Schiff schon abgelegt hat. Er streift allein in den Dörfern umher und besucht alle Versammlungen, die sich ihm bieten, ob es politische sind oder Zusammenkünfte von Fischern oder Kaufleuten. Soviel ich weiß, war er auch einmal bei einer Elternversammlung in der Schule von Westerland. Er mischt sich nicht ein, natürlich nicht, er lauscht nur. Vater hat ihn einmal aus der Klinik geworfen. Er muss jemanden haben, der ihn schützt und beherbergt. Ich glaube, das ist der Stinkwitz.«

Asmus verzog die Lippen. Da hatte er die Antwort auf seinen Verdacht. »Wieso Klinik?«