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»Mit ihm oder mit dir?«

»Mit mir? Darauf wäre Sinkwitz nicht gekommen. Ich auch nicht.«

»Wieso nicht? Was war mit dem Reifen, der dir angeblich unterwegs kaputtgegangen war, ohne dass ich etwas bemerkt habe?«

Asmus schmunzelte. So leicht ließ Ose sich nicht hinters Licht führen, was er im Übrigen auch gar nicht vermutet hatte. »Du hast schon recht. Beide Reifen waren mir in der Nacht zerstochen worden. Augenscheinlich habe ich einige Leute verärgert, aber das ist normal. Jedenfalls ist es ein himmelweiter Unterschied zu einem Anschlag, bei dem ein Knüppel mit großer Wucht gegen den Kehlkopf eines Motorradfahrers geführt wird. Ich vermute, Schröder war auf der Stelle ohnmächtig und verlor dann die Herrschaft über das Fahrzeug.«

»Wer sollte ausgerechnet ihn ermorden wollen?«

»Ich weiß es nicht. Aber da Schröder hier nicht wohnhaft war, kann es keine persönliche Feindschaft sein. Du hast mir erzählt, dass er sich in Versammlungen eingeschlichen hat und später Gespräche mit Teilnehmern führte. Es wäre interessant zu erfahren, worum es dabei ging.«

»Ich weiß es nicht«, insistierte Ose, »aber ich könnte versuchen, dir einen Gesprächspartner zu vermitteln, der es dir wahrscheinlich berichten würde, wenn ich mich für dich einsetze.«

»Ja, bestens. Wer ist das?«

»Ich werde ihn fragen, ob er einverstanden ist, dann erfährst du seinen Namen. Nicht jeder möchte mit einem erfolgreich durchgreifenden Polizisten gesehen werden. Für gewöhnlich wird Außenstehenden gegenüber Verschwiegenheit gewahrt.« Ose ergriff den Korb mit Kartoffeln und nahm Kurs auf die Doppeltür.

Asmus beeilte sich, den anderen Henkel zu packen, um ihr beim Tragen zu helfen. »Wie lange bleibe ich etwa Außenstehender?«

»Schlimmstenfalls für immer. Wenn es gut geht, kommst du mit dreißig Jahren davon.«

»Nun, gut. Dann habe ich noch etwas Zeit. Ich fahre jetzt erst einmal nach Munkmarsch zurück. Eigentlich habe ich keinen Dienst.«

»Guten Fang«, wünschte Ose schmunzelnd. »Drei Kartoffeln könnte ich dir mitgeben. Und einen Ratschlag: Ein paar Blätter des Strandwegerichs zusammen mit den Kartoffeln gebraten, dazu die Blaumuscheln … Das ist sehr lecker.«

»Danke«, sagte Asmus zögernd. »Aber ich möchte die Kartoffeln lieber nicht, es könnte mir als Bestechung ausgelegt werden. Ich wurde bereits wegen Diebstahls von Möweneiern angezeigt.«

»Möweneier?« Ose blieb stehen und sah ihn unter Stirnrunzeln an. »Doch nicht im Ernst!«

»Doch. Sinkwitz hat die Anzeige entgegengenommen.«

Ose schüttelte entschieden den Kopf. »Einem Sylter würde das nicht einfallen.«

Bisher hatte Asmus der Anzeige nicht viel Beachtung geschenkt. Jetzt war er neugierig, wenn nicht sogar ein wenig misstrauisch geworden. Sollte ein Gast ihn angezeigt haben? Er nahm sich vor, es bei nächster Gelegenheit zu überprüfen.

Am Mittag des nächsten Tages nahm Ose Asmus zur Keitumer Schule mit, die am Ostende des Dorfes in der Nähe vom Tipkenhoog lag, einem jahrhundertealten Hügel mit unbekanntem Inhalt. Unter ihnen befand sich das Kliff, auf der anderen Seite des Weges eine Bockmühle und nicht weit davon entfernt eine stattliche Holländermühle.

Honke Paulsen, der Lehrer der Schule, wusste, worum es ging, und er war bereit, Asmus Auskunft zu geben.

Wie sie durch die offen stehende Tür im Flur der Lehrerwohnung am Ostende des Schulgebäudes sehen konnten, saß er am Klavier und übte ein Lied ein. Die junge Haushälterin neben ihm versuchte mehrmals den richtigen Ton zu treffen, was ihr schließlich ein erleichtertes Nicken von Paulsen eintrug. Noch erleichterter als er, zog sie sich angesichts des Besuches sofort zurück.

»Singt Martha etwa nicht gern?«, flüsterte Ose.

»Sie backt besser.« Paulsen erhob sich, offenbarte dabei, dass er trotz seines jugendlichen Alters bereits einen Spitzbauch hatte, und gab Asmus lächelnd die Hand. »Sie wollen wissen, was Herrn Schröder in die Schule trieb.«

Asmus nickte. »Sehr gerne. Er ist verunglückt, und unsere Aufgabe ist, einen zusammenfassenden Bericht über sein Tun auf Sylt nach Flensburg zu schicken.«

»Ach so. Ich kannte Herrn Schröder gar nicht, aber neulich kam er zusammen mit den Eltern zur Elternversammlung. Ich weiß nicht, woher er erfahren hatte, wann wir uns treffen wollten. Er stellte sich mit Verbeugung und Handschlag vor«, erklärte Paulsen. »Und er gab mir keinen Grund, ihn abzuweisen. Jeder Bürger ist frei, sich zu informieren, wie es in einer öffentlichen Schule auf Sylt zugeht. Vielleicht will er herziehen, vielleicht hat er Kinder in einer Flensburger Schule und will vergleichen … Was weiß ich.«

»Sehr tolerant«, murmelte Asmus anerkennend.

»Er hatte auch danach alle Zeit der Welt. Er wartete im Flur, bis die letzten Eltern gegangen waren, dann klopfte er an die Tür und schaute ins Schulzimmer, wo ich gerade die Schultafel abwusch.«

»Und dann?«

»Er fragte sehr höflich, ob ich ihm einige Minuten widmen könnte. Er erkundigte sich nach den Arbeitsbedingungen der Eltern. Ob sie alle Bauern seien, zum Beispiel. Ob es Landarbeiter gäbe. Wer am Hungertuch nage.«

»Interessant«, bemerkte Asmus.

»Eigentlich weniger«, widersprach Paulsen. »Keitum war seit der Walfangzeit recht wohlhabend, und die Kapitäne und Seefahrer sorgten für ihre Nachkommen vor. Außerdem haben wir zwei Mühlen, ein Kolonialwarengeschäft, zwei Pastoren, einen Arzt, einen Lehrer. Im Allgemeinen gut situierte Menschen. Und nur wenige Landarbeiter.«

»Was für Sie bedeutet?«

»Keitum ist kein Ort, in dem die KPD Wahlen gewinnen könnte, denn darauf wollte Herr Schröder doch wohl hinaus. Aber hier wählen wir anders. Wir haben besonders viele Bürger, die der Deutschen Demokratischen Partei zuneigen. Nach Rathenaus Ermordung haben wir uns hier in der Schule zu einem kurzen Gedenken an ihn versammelt. Den Sozialdemokraten hängen auch etliche an. Wir sind durch und durch liberale Anhänger der Weimarer Republik.«

Richtig bürgerlich, dachte Asmus überrascht.

»Bemerkenswert, dass Schröder auch weniger ruppig sein konnte«, stellte Ose spitz fest. »So wie er sich mir gegenüber verhielt, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass er Feinde hatte.«

»Mehr ist über Schröders Besuch von meiner Seite nicht zu sagen«, meinte Paulsen abschließend und deutete mit gespreizten Fingern auf sein Klavier. »Ich würde gerne weiterspielen. Martha ist in dem neuen Lied noch nicht firm. Wir wollen es morgen mit den Kindern einüben …«

Ose wandte sich schon zur Tür. Asmus aber war noch nicht zufriedengestellt. »Ist Schröder noch einmal wiedergekommen?«

»Nein«, sagte Paulsen nachdrücklich mit allen Anzeichen von Ungeduld.

»Fällt Ihnen im Zusammenhang mit seinem Besuch vielleicht noch etwas ein?«

»Nein! Oder …, ja doch. Wenn Sie Herrn Böhrnsen meinen …«

Asmus wandte sich an Ose. »Ist das nicht der mit der Nazibinde?«

Ose nickte.

»Der wollte dasselbe wie Sie, Wachtmeister Asmus. Fragen, warum Schröder hier war, der doch gar keine Verwandten auf Sylt hat. Im Gegensatz zu ihm. Ich habe in meiner Schule zwei Böhrnsen-Enkel.«

»Was haben Sie ihm geantwortet?«

»Dasselbe wie Ihnen. Und ihm außerdem erklärt, dass die KPD auch für mich nie in Frage kommen würde. Er wusste es natürlich vorher schon. Deswegen hatte er einen Beutel mit kleinen Nazifähnchen mitgebracht, ausreichend für die ganze Schule, und packte sie mir auf mein Pult.«

»Die Partei ist doch verboten.«

»Er weiß es, aber er meinte, das Verbot würde nicht lange bestehen bleiben. Hitler sei ein rühriger Mann. Wollen Sie die Fahnen mal sehen?«

»Gerne. Und warum haben Sie sie angenommen?«, erkundigte sich Asmus, während sie dem Lehrer durch den Flur zu einer weiteren Tür folgten.

Paulsen schloss die Tür zu einer Abstellkammer auf. Über seine Schulter hinweg fragte er: »Haben Sie wie alle aufmerksamen Beobachter festgestellt, dass die gegenwärtigen Unruhen in ganz Deutschland stets durch Kommunisten hervorgerufen werden, die sich mit anderen anlegen: in unserem eigenen Parlament in Kiel mit SPD-Abgeordneten, mit Feuerwehrleuten, mit dem Selbstschutz von Gewerkschaften, mit den Vertretern der öffentlichen Ordnung und so weiter? Sind Sie dafür, dass es so weitergeht? Ich nicht.«