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Die Abstellkammer war vollgepackt mit Exponaten und Lehrmitteln für den Schulunterricht. Neugierig musterte Asmus Vogeleier in Nestern, ein ausgestopftes marderartiges Tier auf einem Holzbrett, einen Fuchs, dem das Alter große Löcher im Fell verpasst hatte. Paulsen ergriff ein Bündel Papierfahnen mit Hakenkreuz, für das er beide Hände benötigte. Wahrscheinlich konnten sich die Eltern der Kinder davon auch noch bedienen.

»Sie hoffen also darauf, dass die NSDAP den Kommunisten Einhalt gebieten kann?«, fragte Asmus, um Paulsens Meinung für sich zu klären.

»Wenn überhaupt jemand, dann die NSDAP, ja«, bestätigte Paulsen unerschrocken. »Alle anderen Parteien sind zu schwach. Mir wäre lieber, sie wären’s nicht, aber dieses Chaos muss schließlich beendet werden.«

»Ja, die Zukunft sieht düster aus«, stimmte Asmus zu und reichte Paulsen die Hand. »Vielen Dank für Ihre offenen Worte.«

Als sie draußen und außer Hörweite waren, fasste Asmus zusammen: »Schröder hat offenbar die Leute einzeln bearbeitet, um sie als Wähler der KPD zu rekrutieren. Wer ist eigentlich Böhrnsen?«

»Boy Böhrnsen hat ein Fuhrunternehmen. Er bietet Gästen Kutschenfahrten auf ganz Sylt an, in die Dünen, zu den Stränden, zu den Leuchttürmen, Häfen und wo immer sie hinwollen.«

»Hm«, murrte Asmus. Unter diesen Umständen war ihm klar, dass dieser Mann auf der Seite der Kaufleute stand. Ein Gespräch mit ihm würde schwierig sein. Aber es musste sein.

KAPITEL 10

Asmus hatte vor, Böhrnsen unverzüglich zu befragen. Er ließ sich von Ose beschreiben, wo er wohnte: im Süderende, im südlichsten Teil der Fischerstraße.

Der Hof stellte sich als recht neu heraus: Das Vorderhaus war stattlich mit einem breiten Backengiebel statt eines schmalen Spitzgiebels ausgerüstet. Im rechten Winkel dazu befand sich ein älterer Anbau, vermutlich Stall und Wagenremise, worauf Rad- und Hufspuren sowie in die Wand eingelassene Ringe zum Anbinden von Pferden hindeuteten.

Das Wohnhaus war durch ein Mäuerchen von der Straße getrennt, auf dessen Krone in regelmäßigen Abständen kurze Röhren aus Metall schräg einzementiert waren. Sie gaben Asmus zu denken, bis er auf die Lösung kam: Wahrscheinlich wurden hier zu bestimmten Anlässen Fähnchen hineingesteckt, eben solche, die er in der Schule gesehen hatte.

Vor dem Haus war hinter einem schwarz-weißen Kaltblüter eine schwere Kutsche angeschirrt, der Kutscher wippte ungeduldig mit seiner Gerte und wartete offenbar auf eine Anweisung.

Asmus stellte das Motorrad ab, stakste in seiner Zivilkleidung zur Kutsche, lupfte die Schirmmütze und sprach den Kutscher etwas unsicher an. »Moin, Sie sind nicht Boy Böhrnsen, oder?«

»Bestimmt nicht«, knurrte der Mann und zeigte mit einer kantigen Kopfbewegung zur Giebeltür. »Wenn Sie Kunde sind – da rein! Wenn nicht – hintenrum!«

Nun, Asmus hatte keinen Grund, sich als Knecht an die Hintertür verweisen zu lassen. Er dankte und schritt zum Giebelvorbau.

Die Tür wurde aufgerissen, bevor er ganz da war. Ein junges Mädchen im weißen Kleid tänzelte heraus und trat Asmus so unglücklich auf die Füße, dass er sie mit einer beherzten Umarmung vor dem Straucheln bewahren musste. Von der Stirn bis zum Hinterkopf bändigte ein schmales Band schulterlange goldblonde Haare, darauf saß ein modisches Strohhütchen.

»Moin, moin«, sang sie. Dann betrachtete sie Asmus mit keckem Lidschlag und schien bei seinem Anblick angenehm berührt. »Sie wollen sicher zu meinem Vater. Schade, dass er da ist, sonst hätten wir beide uns unterhalten können.«

»Oh, das können wir auch so«, bot Asmus bereitwillig an. »Ich habe es nicht eilig.«

»Das passt gut. Ich auch nicht. Dabei muss ich doch unbedingt meinen Freundinnen von einem gut aussehenden Neuzugang berichten. Kommen Sie! Wir setzen uns in die Kutsche. Die ist recht bequem.«

»Gerne.« Asmus half ihr hoch in die Kutsche, was sie zu erwarten schien, sprang dann selbst hinein und setzte sich ihr gegenüber. Unbekümmertes Geschwätz lieferte häufig brauchbare Informationen.

»Sind Sie schon länger auf Sylt?«, fragte sie.

»Acht Wochen ungefähr.«

Ihr gespitztes Mündchen signalisierte so etwas wie Anerkennung. »Und wie gefällt es Ihnen?«

»Gut. Sind Sie einheimisch?«, fragte Asmus sachlich.

Sie lachte glöckchenhell. »Aber sicher doch. Seit Hunderten von Jahren. Die Familie, meine ich. Und wo wohnen Sie?«

»Auf meinem Segelboot. Es liegt in Munkmarsch.«

»Donnerwetter, eine eigene Yacht. Mein Papa hat nur eine Jolle, mit der er Gäste zum Fischen oder zu den Seehunden segelt.« Ihre blauen Augen rundeten sich zu Kulleraugen, die zu denen eines Kindes gepasst hätten.

»Nein, nein«, wehrte Asmus rasch ab. »Das ist ein Missverständnis. Ich bin nicht als Gast auf Sylt, ich bin der neue Polizeiwachtmeister.«

Unbeeindruckt musterte sie ihn vom Kopf bis zu den Füßen. So schnell gab sie wohl nicht auf. »So sehen sie aber nicht aus.«

»Nun ja.«

»Wo waren Sie vorher?«

»In Rostock. Hören Sie …«

Sie unterbrach ihn resolut. »Ich glaube nicht, dass Sie dort Wachtmeister waren. Unser Matthiesen ist einer. Sie nicht.«

Asmus zuckte mit den Schultern. »Vieles ändert sich im Leben. Das werden auch Sie noch merken.«

»Das hoffe ich doch. Sind Sie ein strafversetzter Höherer?«

Asmus grunzte erbost. Dieser Göre gegenüber war er irgendwie wehrlos. Ohne jede Rücksichtsnahme – man konnte es auch Erziehung nennen – stellte sie Fragen, die sich unter erwachsenen zivilisierten Menschen nicht gehörten. »Ja.«

»Durch die neuen Sozialisten natürlich«, befand sie triumphierend und strahlte ihn so glücklich an, als hätte sie einen Strandfund gemacht.

Er überlegte, wie man sich als Bernstein im Sand fühlen mochte, und verkniff sich jede Antwort.

»Stimmt’s?«

»Geht vielen so.«

»Sicher. Dagegen kann man was tun. Wollen Sie deswegen mit meinem Vater sprechen? Er hat einigen Einfluss auf Sylt und anderswo.«

Er verstand. »Mit Ihrem Vater als Parteimitglied? Um eine mögliche Mitgliedschaft abzuklopfen? Nein«, sagte er abweisend. »Ich habe einen Grund, der in meine Polizeiarbeit fällt.«

Sie lehnte sich mit funkelnden Augen vor. »Ein Mord? Eine Gewalttat? Soll er aussagen? Weiß ich auch etwas darüber?« Plötzlich lag ihre Hand auf seinem Knie.

»Fräulein Böhrnsen, es wäre mir angenehm, wenn Sie mich jetzt meine Arbeit tun ließen.« Asmus hob mit zwei Fingern demonstrativ ihre Hand von seinem Bein und sprang aus der Kutsche.

»Schön, wenn Sie meinen«, versetzte die Böhrnsen-Tochter mit pikiert gekräuselter Oberlippe, tippte dem Kutscher auf die Schulter und ließ sich grußlos davonfahren.

Etwas ratlos sah Asmus ihr nach. Er hatte das dumme Gefühl, einen Zweikampf verloren zu haben.

Die Tür tat sich bei seinem Klopfen nicht auf. Beim zweiten Mal ertönte ein Brüllen. »So komm doch herein!«

Asmus trat in die Diele ein und streifte sich die Holzpantinen auf dem Terrazzoboden ab, bevor er sich in das Wohnzimmer begab, das hier Dörns genannt wurde, sofern es beheizbar war.

Jetzt erkannte er Böhrnsen auch ohne Armbinde wieder. Der Mann mit dem feisten Gesicht und einem kurzgeschnittenen schlohweißen Backenbart ruhte halb liegend wie in einem Krankenstuhl mit emporstehendem Spitzbäuchlein und auf einen Hocker hochgelegten Füßen, neben sich eine zierliche blaue Tasse, aus der es nach scharfem Alkohol roch, wahrscheinlich einem Pharisäer.