Выбрать главу

Gut geantwortet, dachte Asmus, der in dem kleinen Nebenraum saß, in dem üblicherweise vertrauliche Gespräche und Verhöre stattfanden, und dort einige Zahlen zur Bedeckung der Schutzgebiete mit Halligflieder und Strandhafer zusammentrug. Da sich sonst niemand für die Arbeit interessierte, hätte er sie auch verschieben können. Oder ganz unterlassen.

»Was für eine Aussage überhaupt?«, schnaubte Böhrnsen. »Er war doch gestern erst bei mir und hat mich ausgehorcht.«

»Das musst du ihn selbst fragen«, antwortete Matthiesen höflich bedauernd.

»Ach, hier herrscht wohl ein anderer Ton inzwischen! Aber welcher? Habt ihr die kommunistische Fraktion der Wache verstärkt, Lorns? Das wird euch nicht bekommen!«

Matthiesen enthielt sich klugerweise einer Antwort, und Asmus beschloss, ihn von weiteren Anwürfen zu erlösen. Er ging nach nebenan und bat Böhrnsen zur Befragung an seinen Schreibtisch.

Verwundert nahm Asmus zur Kenntnis, dass der gewiefte, wenn auch am Vortag etwas schonungsbedürftige Geschäftsmann Böhrnsen sich an diesem Tag in den Fuhrmann verwandelt hatte, der er zweifellos einmal gewesen war. Er trug Reithosen, die an den Oberschenkeln bemerkenswert weit waren, und Stiefel, außerdem roch er markant nach Pferdestall.

Asmus begrüßte ihn mit Handschlag, den Böhrnsen widerwillig akzeptierte. Der Besucher sah sich mit gerümpfter Nase um, bevor er sich ein weiteres Mal auf einen Hocker fallen ließ. Solche Abwehrhaltung war Asmus nicht fremd. Dem Mann war unbehaglich zumute.

»Wir suchen Zeugen für die Sturmnacht«, erklärte Asmus. »Sie wissen ja, dass Herr Schröder in dieser umkam, und da eine Menge Leute auf dem Nachhauseweg vom Tanzvergnügen gewesen sein muss, hoffe ich auf Sie. Und auf andere, die vom Kurhaus in das südliche Westerland unterwegs waren.«

»Dieser Maulheld«, blies sich Böhrnsen auf, »um den ist es nicht schade!«

»Das entzieht sich unserer Beurteilung. Wir haben den Unfall zu untersuchen.«

Böhrnsen lächelte verächtlich.

»Haben Sie etwas gesehen? Und wann waren Sie eigentlich auf dem Heimweg?«

Wieder das abfällige Verziehen der Lippen. Es dauerte einen Augenblick, bis der Fuhrmann sich zur Antwort bequemte. »Zwischen halb und eins. In der Nacht hat es von oben Wasser gegeben wie aus dem Spülrohr von Nösse. Den Kerl hätte man vom Anfang der Gasse nicht sehen können.«

Eine bemerkenswerte Aussage. Schröders Kleidung war klatschnass gewesen. Ungefähr gegen Mitternacht hatte es angefangen zu nieseln, danach war der Regen in einen Wolkenbruch ausgeartet, und ungefähr um ein Uhr war der Spuk vorbei gewesen. Alles sprach also dafür, dass Schröder innerhalb dieser Zeitspanne zu Tode gekommen war. Zur selben Zeit war Böhrnsen unterwegs gewesen. »Woher wissen Sie, dass man Schröder nicht hätte sehen können?«

»Ich … kenne die Gasse.«

»Und die Lage der Leiche?«

Dieses Mal kam die Antwort prompt. »Die soll doch am Baum gelegen haben.«

»In Luv davon …«

Ein kurzes Stocken beim Atmen verriet Asmus, dass sein gewagter Vorstoß verstanden worden war. Ein Mann, der Gästen Segeltouren im Wattenmeer anbot, wusste, dass Äste nicht luvwärts fliegen. Aber er war nicht darauf gefasst gewesen, solche Kenntnisse neuerdings bei der Westerländer Schupo vorzufinden.

»Haben Sie ihn vom Motorrad herunter geholt und dann zu Tode geprügelt?«, fragte Asmus scharf, ohne Böhrnsen Zeit zum Nachdenken zu lassen.

Böhrnsen räusperte sich und schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, krächzte er schließlich. »Es war anders.«

»Wie anders?«

»Ich wollte ihm eine kleine Lehre erteilen, nur eben ein bisschen umstoßen. Ich kam ja gerade vorbei, und es goss, dass man die Hand vor Augen kaum erkennen konnte. Kein Schwein hätte mich erkannt.«

»Wem galt die Lehre? Schröder oder Sinkwitz?«

»Wem …?«

»Wer war gemeint?«, verdeutlichte Asmus energisch. »Schröder oder Sinkwitz?«

»Schröder natürlich! Ja, gewiss. Schröder.«

Das hatte sich Asmus gedacht. Einen Fremden zu töten würde irgendwie akzeptiert werden, einen einheimischen Sylter, selbst einen Kommunisten, weniger leicht. »Und woher wussten Sie, dass Schröder in der Wache war? Das Tanzvergnügen begann um sieben. Ihn haben Sie zu der Uhrzeit gewiss nicht zu Gesicht bekommen, er kam gegen elf.«

»Das wusste ich nicht!«, widersprach Böhrnsen wütend. »Es war doch kein Plan! Ich bin da nur vorbeigekommen!«

»Aber Sie haben Licht im Raum von OWM Sinkwitz gesehen, sind in die Gasse geschlichen, haben den untersten Ast vom Baum gerissen und sich auf die Lauer gelegt. Woraus sich ergibt, dass Sie dachten, Sie würden Sinkwitz eins auswischen.«

»Er ist schlecht für Sylt«, murmelte Böhrnsen geschlagen. »Wir brauchen keinen kommunistischen Leiter unserer Polizeiwache.«

»Aus Ihrem Auswischen wurde ein tätlicher Angriff mit Todesfolge. Ist Ihnen das klar?«

»Nein, nein!« Wie Kai aus der Kiste im Kinderbuch sprang Böhrnsen in die Höhe und kreischte nochmals: »Nein! Schröder ist auch Kommunist!« Hinter ihm donnerte der Hocker an die Wand.

Matthiesen stürzte zur Tür herein, den Säbel blank gezogen, dessen stumpfe Spitze er Böhrnsen an die Kehle hielt.

»Schon gut, Lorns«, rief Asmus und ging dazwischen. »Nimm den Säbel herunter, damit er nicht aus Versehen zu Schaden kommt. Er ist cholerisch wie ein Teichhuhn mit Küken.«

Matthiesen senkte den Säbel und trat zurück, behielt aber den Fuhrunternehmer im Auge.

Sinkwitz und hinter ihm Jung drängten in die Türöffnung.

»Wir müssen ihn festnehmen«, sagte Asmus, plötzlich resigniert, zu seinen Vorgesetzten. »Er hat Schröder auf dem Gewissen.«

»Wir wollen nichts überstürzen, Asmus«, unternahm Sinkwitz den Versuch, für Beruhigung zu sorgen. »Nach kaum einer halben Stunde Vernehmung sind wir erst am Anfang einer Untersuchung, und jede Festnahme dürfte sich als voreilig erweisen.«

»Ich lege dir gleich ein Handbuch heraus, in dem aufgeführt ist, wie Festnahmen in Preußen korrekt durchgeführt werden, Asmus.« Jung setzte hinter Sinkwitz’ Schulter ein hämisches Grinsen auf.

Asmus ignorierte ihn. »Er hat Sie gemeint, Hauptwachtmeister. Dass Schröder zufällig hier war, wusste er nicht, und die Gelegenheit, Ihnen inmitten eines Wolkenbruchs auf menschenleerer Gasse eins auszuwischen, ließ er sich nicht entgehen. Es sollte offenbar ein Denkzettel sein, kein Mordversuch.«

Sinkwitz überlegte einen Augenblick mit gespitzten Lippen. »Ein Attentat auf die lokale Polizei hat natürlich einen anderen Stellenwert als auf einen unbekannten Fremden, der für einen Sylter ein wenig verwirrt erscheinen mag. Mit mir persönlich hat das nichts zu tun, es hätte jeden treffen können.«

Jung schlängelte sich aus seiner zwischen Türholm und seinem Chef eingeklemmten Stellung heraus und trat salutierend vor ihn. »Ein Attentat, das mit voller Absicht einem Staatsorgan gilt, ist ungleich schwerer zu bewerten als ein gewöhnlicher Jungenstreich. Soll ich die betreffenden Paragraphen heraussuchen, Hauptwachtmeister Sinkwitz? Ich bin sicher, dass ein derartiger Überfall mit dem Tod am Strang bestraft wird.«

Böhrnsen begann zu zittern. Beginnend an der Unterlippe, flogen ihm schließlich sogar die Hände, und er schien nicht in der Lage, sich zu bezähmen.

»Nun beruhigen Sie sich, Herr Böhrnsen«, befahl Asmus in ruhigem Ton. »Wir werden sehen, was daraus wird. Allerdings müssen Sie erst einmal in unsere Arrestzelle, da hilft Ihnen gar nichts.«

»Unter diesen Umständen, ja«, stimmte Sinkwitz zu, machte auf den Hacken kehrt und verschwand wieder in sein Büro.

Jung schlurfte wortlos davon. Matthiesen verwahrte den Säbel in der Scheide.

»Geht’s wieder?«, erkundigte sich Asmus teilnahmsvoller, als ihm zumute war. Aber die anmaßende Haltung von Sinkwitz und Jung machte ihn wütend, zumal sich beide drehten, wie der Wind wehte. Das war der Polizei nicht würdig und durfte nicht sein. Und hoffentlich verhielt sich die preußische Justiz anders. Früher hatte sie immerhin einen guten Ruf gehabt.