Выбрать главу

Der andere Eindruck gehörte Mausi.

Wie festgefroren blieb sie auf dem sich leerenden Platz vor der Polizeiwache stehen. Dass ihr Verlobter Honke Paulsen eingeknickt war, scherte sie offenbar nicht im Geringsten. Aber Asmus warf sie einen lodernden, hasserfüllten Blick zu.

»Fräulein Böhrnsen …«, begann er.

»Schweigen Sie!«, schnaubte sie. »Noch nie hat mich ein Mann so enttäuscht wie Sie!« Sie drehte sich um und marschierte mit klackernden Hacken davon.

»Welch unübersichtliche Verhältnisse hier«, stöhnte Asmus und vergrub die Hände in seinen blonden Haaren.

»Ist wohl so.« Hans Christian Bahnsen, der am späten Abend neben Asmus auf der Bank saß, nickte tiefsinnig und sog an seiner schnorchelnden Pfeife.

»Man kennt hier nicht Freund oder Feind«, fuhr Asmus gedämpft fort, »man weiß nicht, wer auf der Seite des Gesetzes steht. Im Großen und Ganzen gibt es nur eins: Schweigen.«

»Insel eben.«

Für den Werftbesitzer mochte das ein ausreichender Grund sein, für Asmus nicht. »Hat Böhrnsen mal versucht, dich zur NSDAP hinzulocken?«

»Sicher. Ein erstes Mal vor langer Zeit. Dann nicht mehr. Er weiß, dass ich seine Partei nie wählen würde.«

»Kann Jochims Unfall mit diesen politischen Verwicklungen zu tun haben?«

»Bestimmt nicht. Sieh mal, die Verhältnisse, die du unübersichtlich nennst, waren lange stabil. Was neu ist, ist deine Anwesenheit. Es gibt Leute, die nervös werden. Das soll kein Vorwurf sein.«

Vermutlich hatte Bahnsen recht. Und Schröders sporadisches Auftauchen in Munkmarsch hatte lediglich damit zu tun, dass hier die Fähre zum Festland ablegte. Mit der Überstellung von Böhrnsen nach Husum am nächsten Morgen sollte dieses Kapitel also beendet sein.

KAPITEL 12

Das Kapitel Böhrnsen war leider am nächsten Morgen nicht beendet. Böhrnsens Arrestzelle war aufgebrochen, er selbst verschwunden.

Als Verantwortlicher wurde wiederum Asmus per Telefonanruf in die Wache beordert. Alarmiert durch Matthiesen, traf er ein, bevor Sinkwitz angekommen war.

Asmus machte ein fragendes Gesicht, als er es bemerkte.

Matthiesen zuckte voller Unschuld die Schultern. »Ich habe erst das Journal vervollständigt, bevor mir einfiel, dass Sinkwitz alarmiert werden muss. Es ist auch vernünftiger, ihn ausschlafen zu lassen, hier kann er ja doch nichts ausrichten.«

»Oh ja, da hast du recht.« Asmus grinste, und Matthiesen grinste zurück. »Wer kann Böhrnsen befreit haben?«

»Jeder, der durchs Tor in den Hinterhof marschiert. Wir haben vergessen, es abzuschließen.«

»Und wir haben nicht genügend Leute, um alle Boote zu bewachen, die auslaufen könnten: in Munkmarsch, Hörnum, List …«

»Du sagst es.«

»Es dürfte also zwecklos sein, auch nur den Versuch zu machen.«

»Genau.«

Asmus setzte sich an seinen Arbeitsplatz im Verhörzimmer, den er inzwischen annektiert hatte, und verfiel ins Grübeln. Die wichtigste Erkenntnis der letzten Tage waren die Stärke und Durchsetzungskraft der Kaufmannschaft, sobald es galt, ihre Interessen zu wahren. Böhrnsen durfte als der etwas grobgestrickte Ausführende des kaufmännischen Willens gelten, wozu der Anschlag auf den Polizeichef zu zählen war – Schröder war wohl eher zufällig dazwischengeraten. Revanchiert hatte sich die Kaufmannschaft mit der Befreiung des Fuhrunternehmers.

In den gleichen Täterkreis gehörte sicher auch der Saboteur in der Werft, der Bahnsen davor warnen sollte, Asmus zu viele Interna über Sylt zu erzählen. Eine ganz andere Kategorie stellte der Platten an Asmus’ Motorrad dar – gewiss handelte es sich nur um einen verärgerten Dorfbewohner.

In seinen Überlegungen unterbrochen wurde Asmus durch die Ankunft von Sinkwitz. Matthiesen begleitete ihn unter Erklärungen zur aufgebrochenen Arrestzelle, was Asmus ein paar Minuten gab, um sich gegen die zu erwartenden Vorwürfe zu wappnen.

Diese kamen wenig später geballt. Asmus mit seiner langjährigen Erfahrung hätte jemanden abstellen sollen, der die Arrestzelle bewachte, nicht die ganze Verantwortung einfach dem jungen, unerfahrenen Matthiesen überlassen dürfen! Der Eintrag in die Personalakte sei Asmus sicher. Seine derzeitige einzige Aufgabe sei, den Fehler wiedergutzumachen und Böhrnsens Versteck zu finden. Und zwar vor dem Besuch des Abgeordneten der DNVP!

Asmus nickte und ging, innerlich kochend. In seinem Rücken zeterte Sinkwitz weiter, aber das interessierte ihn nicht. Er glaubte seine Position inzwischen gesichert genug, um nicht hinausgeworfen zu werden. Die Erfolge der jüngsten Zeit in dieser Wache waren seine.

Asmus fuhr kurz in List vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, fand dort alles in Ordnung und ratterte weiter bis zum Möwenberg, wo er sein Motorrad abstellte und dann in das gegenüberliegende Tal der Wanderdünen einstieg. Irgendwo setzte er sich in den Sand, beobachtete die Seevögel vor dem blauen Himmel, genoss die Stille und gewann allmählich sein Gleichgewicht wieder.

Als ärgerlich empfand er, dass nach einer Weile ausgerechnet hier auf dem Dünenkamm ein Mann auftauchte, der sich umsah und ihn dann entdeckte. Und obwohl Asmus das Tal gewissermaßen als sein Refugium für kurze Zeit besetzt hatte, schlitterte der Neuankömmling in Asmus’ Richtung im Sand hinunter.

Unten angekommen, hielt der blonde Kerl im blauen Arbeitsanzug weiterhin auf Asmus Kurs, zog die Kappe vom Kopf, zeigte auf den Sand neben Asmus und fragte: »Darf ich?«

»Wenn es unbedingt sein muss«, knurrte Asmus.

»Ja. Tut mir leid.«

Asmus merkte auf. Es handelte sich offensichtlich nicht um ein Schwätzchen. Da er selber in Uniform war, ging es wohl um dienstliche Belange. »Ich höre«, sagte er weniger unfreundlich.

»Ihr sucht den Fuhrunternehmer Böhrnsen.«

»Ja. Und?«

»Nein, nein«, protestierte der Mann, »so war es nicht gemeint. Er ist nicht hier, und ich glaube auch nicht, dass er ausgerechnet bei uns in List ausreisen würde. Wir sind ihm zu dänisch, wenn du verstehst, was ich meine.«

Asmus schmunzelte. »Ja, inzwischen weiß ich das. Er wird es in Hörnum versuchen, denke ich.«

»Ja, gut. Du bist also nicht seinetwegen heute hier?«

»Nein, ganz gewiss nicht. Ich erhole mich. Ich versuche es wenigstens. Wie heißt du eigentlich?«

»Ole Söndergaard.«

»Gut, Ole, warum bist du gekommen?«

»Wir Dänen sind beunruhigt wegen der Vorfälle in deinem Umfeld.«

»Welche Vorfälle?«

»Der Platten. Außerdem stehst du ständig unter Beobachtung. Wir möchten nicht, dass du glaubst, das alles ginge von uns aus. Wir haben nichts gegen dich. Einem Polizisten wie dir, der gegen wen auch immer durchgreift, bringen wir vielmehr Vertrauen entgegen.«

»Oh. Sehr aufmunternd zu hören«, murmelte Asmus überwältigt.

»Reiner Selbstschutz. Wenn du an Weihnachten noch auf Sylt bist, würden wir dich gerne zu einer unserer Weihnachtsfeiern einladen. Mit Nisse, Tanz, Kaffee und Kuchen und allem, was sonst noch dazugehört.«

»Danke«, stammelte Asmus. »Ich werde gerne kommen. Wer beobachtet mich denn?«

»Das wissen wir auch nicht. Er ist schlau wie ein Frettchen. Er scheint beizeiten zu wittern, wenn jemand hinter ihm her ist.«

»Ich habe selbst gemerkt, dass mich zuweilen jemand beobachtet. Das gehört zum Beruf, deswegen hat es mich nicht sonderlich beunruhigt. Weißt du, warum?«

»Nein, auch das wissen wir nicht. Aber wir denken, dass die Kaufleute jemanden beauftragt haben, dich im Auge zu behalten. Vor ihnen solltest du dich sowieso in Acht nehmen. Sie sind nicht zimperlich, wenn sie sich bei ihren Geschäften gestört fühlen.«

Asmus nickte.

»Es gibt noch etwas, das uns bekümmert«, fuhr Ole fort. »Im Frühjahr wurde ein toter Mann am Westerländer Strand gefunden.«

»Der Mann ohne Namen«, erinnerte Asmus sich. »Ich hatte gerade meinen Dienst angetreten.«