»Meinetwegen«, knurrte Asmus. Es ging bereits so los, wie er es sich gedacht hatte.
KAPITEL 2
Niklas Asmus hatte eine geraume Zeit zu warten, danach wurde er in das Arbeitszimmer des Dienststellenchefs geführt. Hauptwachtmeister Sinkwitz war äußerlich das Gegenteil seines Oberwachtmeisters, mittelgroß, braunhaarig und stämmig. Mit missbilligend gerümpfter, auffällig großer Nase betrachtete er Asmus lange, bevor er das Wort an ihn richtete.
»Wachtmeister Asmus, nehmen Sie bitte Haltung an, wenn Sie mir Meldung erstatten«, verlangte er schließlich.
Asmus tat es. Er hatte es schlicht vergessen, da es bei ihnen in Rostock nicht üblich gewesen war. Das war einer der Unterschiede zwischen Schutzpolizei und Kriminalpolizei.
»Ich nehme an, dass Sie eine entspannte Herfahrt hatten, auf eigener Yacht … So reich zu sein muss schön sein, ist aber nicht jedem gegeben. Es gibt ja auch Menschen, die für ihren Unterhalt arbeiten müssen. Nun gut, die Verhältnisse haben sich zum Glück für uns kleine Leute wenigstens etwas geändert. Deswegen sind Sie wohl auch nicht im Gesellschaftsanzug angetreten.«
Asmus verschlug es zunächst die Sprache. Was war das für ein Kerl, der erst einmal sein persönliches Gift über einen neuen Mitarbeiter ausschütten musste? Aber, nun gut. Diese Sorte kannte er aus Rostock. »Der Gesellschaftsanzug, den Sie meinen, war bei Gästen auf der kaiserlichen Yacht gefordert, als wir noch einen Kaiser hatten«, bemerkte er sachlich. »Heutzutage ist ein Gesellschaftsanzug ein Smoking. Und ich habe keine Yacht, sondern ein für meine Bedürfnisse umgebautes Fischerboot. Gebraucht gekauft und zusammen mit einem Freund in schwimmfähigen Zustand gebracht.«
»Ach, wie nett. Dann haben wir ja ab jetzt jemanden, der sich auf Reparaturarbeiten in unserer Wache versteht. Ich habe ohnehin keine sonderliche Verwendung für Sie. Angefordert habe ich Sie bestimmt nicht.«
Asmus nickte knapp. Herausfordern ließ er sich nicht. Er beabsichtigte nicht, gleich am ersten Tag in den Arrest zu gehen.
»Lassen Sie sich von Oberwachtmeister Jung die Kleiderkammer zeigen und suchen Sie heraus, was Sie brauchen. Anschließend legen Sie Jung die Sachen vor und lassen sie billigen. Einen Degen kriegen Sie erst, wenn Sie sich bewährt haben.«
Wieder nickte Asmus, dann fiel ihm zum Glück noch ein, dass er zu bestätigen hatte. »Jawohl, Hauptwachtmeister Sinkwitz.«
Inzwischen war ein junger Mann eingetroffen, der mit den Ellenbogen auf dem Tresen, das Kinn in die Hände gestützt, herumlümmelte, ohne von Jung zurechtgewiesen zu werden. Seine braune Schulterklappe mit silbernem Riegel wies ihn als Wachtmeister aus, der schon mehr als vier Jahre Dienst schob.
»Unser neuer Kamerad, moin, moin«, sagte er freundlich und kam mit ausgestreckter Hand auf Asmus zu. »Ich bin Lorns Matthiesen.«
Ein unerwarteter Lichtblick. Außerdem der Sprache nach endlich ein Einheimischer, genauso groß wie Asmus. Er lächelte zurückhaltend und stellte sich selbst vor. »Ich soll von Ihnen, Herr Oberwachtmeister Jung, zur Kleiderkammer gebracht werden«, meinte er dann.
»Oh, das kann Lorns machen. Aber gib ihm keinen Degen!« Der Befehl galt Matthiesen.
»Keinen Degen?«, fragte der Wachtmeister verblüfft. »Wieso das denn nicht? Unsere Ladendiebe lachen ihn doch aus, wenn er unbewaffnet ist.«
»Befehl von Sinkwitz.«
»Aha«, grummelte Matthiesen, und Asmus konnte ihm ansehen, dass es ihm nicht recht war. Dann winkte er ihn schon mit sich.
Die Kleiderkammer war ein kleines Gelass. Auf Regalen befanden sich grüne, zum Teil blass gewaschene Uniformen und eine Reihe schwarzer Tschakos. Als Asmus sich umgezogen hatte, raunte Matthiesen ihm zu: »Wir gehen jetzt gemeinsam auf Streife. Bestehen Sie darauf! Gemeinsam!«
Was mochte das wohl heißen, überlegte Asmus, aber zum Nachfragen blieb keine Zeit.
Als sie wieder in der Wache ankamen, sah Jung nur kurz von dem Journal auf, in dem er schrieb. »Du kannst mich beim Eintragen der Vorfälle ablösen, Lorns, und Asmus sieht sich draußen um.«
Asmus begriff schnell. Jung wollte ihn allein durch die Stadt schicken. »Könnte ich einen Stadtplan bekommen, damit ich mich in Westerland orientieren kann?«
»Stadtplan?« Jung wirkte ratlos.
»Ja, jede aufstrebende Stadt hat einen.« Asmus breitete die Arme aus, als ob er jemanden umarmen wollte, um die Größe anzugeben.
»Oberwachtmeister, wie würde das denn aussehen«, griff Matthiesen gepeinigt ein, »wenn ein Polizist auf dem Stadtplan nachsehen muss, wo sich die Wache befindet? Oder gar Passanten fragt, wie er zu ihr zurückkommt. Der macht sich doch sofort bei unserer langfingerigen Kundschaft lächerlich. Ein Schupo ohne Degen, aber mit Stadtplan! Das würde nicht einmal HWM Sinkwitz gutheißen.«
»Sag gefälligst nicht immer HWM«, schnauzte Jung und verfiel in Nachdenken. »Ja, gut«, gab er dann widerstrebend zu, »an diesem ersten Tag zeigst du ihm das Revier, aber das muss reichen. Ich hoffe, er begreift schnell genug. Und beeilt euch. Ich und Jep müssen nachher los, um den Fall ›ohne Namen‹ zu klären.«
Matthiesen blinzelte Asmus zu, salutierte und wandte sich Richtung Ausgang. Asmus folgte ihm auf den Fersen.
Draußen auf der Straße stieß Matthiesen einen Stoßseufzer aus. »Ich habe überhaupt keine Angst, dass Sie das Revier nicht schnell genug in den Kopf kriegen, so schlau, wie Sie den Jung in die Enge getrieben haben.«
Asmus nickte schweigend. Die Zusammensetzung der Polizisten dieser Wache schien schon auf den ersten Blick kompliziert, jetzt noch viel mehr. Er hatte seine Leute in Rostock zu einer Gruppe zusammengeschmiedet, in der es Grabenkämpfe nicht gab. Nichts war schädlicher für die Arbeit. Aber er hütete sich, sich zu offen mit jemandem zu solidarisieren, das wäre sehr unklug gewesen. Dabei schien Matthiesen ein argloser, williger Kollege zu sein.
Matthiesen erwartete keine Antwort. »Vor dem Jung muss man sich in Acht nehmen. Er ist brandehrgeizig und will Karriere um jeden Preis machen, allerdings nicht, indem er erfolgreiche Arbeit leistet. Er schreibt nicht gerne. Wenn ich auf seinen Befehl eingegangen wäre, wäre er in der gleichen Minute bei Sinkwitz gewesen, um ihm wieder einmal in den Arsch zu kriechen. Er findet immer Möglichkeiten, andere herabzusetzen. Er ist ein geborener Denunziant, verstehst du?«
Asmus lächelte unwillkürlich.
»Verzeihung. Verstehen Sie, wollte ich sagen. Sie sollen Kriminaloberinspektor mit vielen Erfolgen gewesen sein.«
»Lass mal«, erklärte Asmus, der sich bereits großherzig umentschieden hatte. Seinem neuen jungen Kollegen war anscheinend vor allem darum zu tun, Asmus nicht in diverse ausgestreckte Messer laufen zu lassen. »Niklas für dich. Kriminaloberinspektor stimmt.«
»Danke, Niklas.« Matthiesen sah ihn mit einer Spur Bewunderung an. »Der HWM Sinkwitz ist Kommunist bis in die Knochen. Mindestens genauso gefährlich wie Jung, aber aus politischen Gründen. Dabei lebt die Familie trotz des Namens schon Jahrzehnte auf Sylt. Unterschätz ihn nicht. In dieser Wache den Mund zum Widerspruch aufzumachen ist jedenfalls nicht ratsam.«
»Genau der richtige Ort für mich«, spöttelte Asmus. »Über lose Sprüche bin ich in Rostock schon gestolpert. Ist der Sinkwitz Sozialist und Kommunist, wie die Sorte, die Hitler anhängt? Ein Faszist?«
»Ich weiß es nicht. Er gehört zur sozialistischen Arbeiterpartei, er spricht öfter über die Räterepublik, die sie einrichten wollen. Deswegen sieht man ihn gelegentlich auf der Nössehalbinsel, wo er mit den vom Festland angeheuerten Arbeitern quatscht. Ich habe einmal in einem seiner Bücher geblättert, das auf dem Schreibtisch lag. Das war von einem gewissen Bebel geschrieben.«
»Dann weiß ich Bescheid«, antwortete Asmus nachdenklich. Soweit er gehört hatte, hatten diese beiden Gruppen in vielem unterschiedliche Auffassungen. Und alle waren sie links und ungeheuer gefährlich. Agitation nannten sie dieses Bequatschen anderer.