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»Wenn du meinst …«

Asmus nickte erleichtert, und sie machten sich schweigsam auf den Weg. Die Atmosphäre schien plötzlich bedrückend, als sich Wolkengebirge vor den Mond schoben und die bisherige Helligkeit tiefer Schwärze wich.

Wieder befanden sie sich im Klentertal, als ein schwacher Lichtschein nicht weit von ihnen entfernt Asmus’ gespannte Nerven fast zum Zerreißen brachte. Ohne Vorwarnung stieß er Ose zu Boden und warf sich über sie. »Still!«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Da ist jemand.«

Aber er hörte nichts Verdächtiges, nur das Säuseln des Windes im hohen Gras und schläfriges Quaken.

Unter ihm versuchte Ose sich freizukämpfen. »Meinst du nicht, dass du allmählich Gespenster siehst?«, schimpfte sie halblaut. »Da quaken nur Enten.«

Asmus schüttelte unwirsch den Kopf. Er konnte ungeheuer stur sein. Ose verschloss er mit leichter Hand den Mund und hielt sie fest.

Die Enten in nächster Nähe verstummten plötzlich. Kurz danach hörten sie schwere Schritte auf hartem Boden und irres Gelächter, das sich entfernte. Asmus richtete seinen Oberkörper halb auf und spähte in die Umgebung. Die Dunkelheit über Land war undurchdringlich, nur über der See lag ein schmaler Streifen Helligkeit.

Er drückte Ose an sich, die zu zittern angefangen hatte. »Keine Angst, Ose. Er kriecht vermutlich durch trockene Wassergräben davon. Den Lärm durch die Holzschuhe erzeugt er künstlich. Rammt sie an die Prielwände oder ähnlich.«

»Ist das ein Verrückter?«, brachte sie zwischen klappernden Zähnen hervor.

»Eher nicht. Vielleicht will er, dass wir es glauben. Auf jeden Fall will er uns Angst machen. Ich vermute, er will anderen den Weg am Strand verleiden. Komm, du musst jetzt rasch in die Koje, um dich aufzuwärmen!«

»Wie hast du eigentlich gemerkt, dass jemand in der Nähe war?«

»Instinkt. Außerdem sah ich etwas aufblitzen. Das Mondlicht hat einen Widerschein auf Metall erzeugt, vielleicht auf einer Messerklinge …«

»Gut, einen persönlichen Polizisten zu haben«, murmelte Ose und wehrte sich nicht, als Asmus ihre Hand nahm.

KAPITEL 13

Da das an der Südspitze von Sylt gelegene Hörnum auf dem Sandweg sehr mühselig zu erreichen war, entschied Asmus sich, die Südbahn zu nehmen. Immerhin hatte er Anspruch auf Vergütung der Kosten durch den Staat.

Nicht nur der Südbahnhof in Westerland, sondern auch die Waggons der Bahn waren besser ausgestattet als alle anderen, die Asmus bisher auf Sylt gesehen hatte. Eben Einrichtungen für das zahlungskräftige Publikum, das in einem einzigen Tag von Hamburg aus per Dampfer Sylt erreichen konnte.

Im hölzernen Empfangsgebäude von Hörnum, das ebenfalls auf begüterte Reisende ausgerichtet war, gab es eine kleine Fahrkartenausgabe für die Bahn sowie eine für die HAPAG Dampfschiffgesellschaft.

Dem Schiffsangestellten gegenüber spulte Asmus seine Fragen nach einem Mann in Reithosen oder auch in gewöhnlicher Gesellschaftskleidung ab, der mit einer Kutsche gebracht worden sein konnte.

Weder erwartete er einen Hinweis auf Böhrnsen, noch bekam er einen.

»Was meinen Sie denn, wie viele Fahrgäste wir jeden Tag haben, Herr Schupo? Mit Reithose oder ohne«, bekam Asmus patzig zu hören.

Asmus nickte und bedankte sich für die Auskunft. Der einzige Zweck seiner nutzlosen Fahrt nach Hörnum war, einem Eintrag in die Personalakte zu entgehen. Könnte Asmus eine solche Befragung nicht protokollieren, würde Sinkwitz die Unterlassung als schweren dienstlichen Fehler kritisieren und schriftlich kommentieren.

Wieder draußen, überlegte sich Asmus, dass ein Spaziergang durch die kleine Siedlung Hörnum und hinunter zum Hafen nicht schaden könnte. Die Polizei zeigte Präsenz, und vielleicht erfuhr er trotz allem etwas Interessantes. Der Leuchtturm vor allem, der etwas höher als das Dorf lag, zog ihn magisch an.

Gerade als er zu dem rot-weiß gestreiften Turm hochstieg, stürmten ihm die Schulkinder entgegen, deren Klassenraum sich im Leuchtturm befand. Schule aus!

»Hast du heute schon einen Dieb gefangen?«, schrien sie durcheinander, nachdem sie Asmus umringt hatten.

»Nein, heute noch nicht«, gab er lächelnd zu. »Diebe für jeden Tag haben wir ja gar nicht.«

»Seeräuber denn? Oder Schmuggler?«

Noch bevor Asmus antworten konnte, drängte sich ein kleines blondes Mädchen durch die Jungenschar hindurch. »Schmuggler gibt es!«, rief sie triumphierend. »Ich hab in der Nacht gesehen, wie ein Boot aus dem Hafen raus ist. Zuerst sind die Männer gerudert, und draußen haben sie Segel gesetzt.«

»Line, du Angeberin! Das hast du irgendwo gelesen, und jetzt flunkerst du wieder, um dich wichtig zu machen!« Ein Junge mit erbitterter Miene schien sich mit geballten Fäusten auf das Mädchen stürzen zu wollen.

»Aber, aber«, beschwichtigte Asmus die Schar. »Keine Aufregung unter euch Jungvolk. Möchte einer mal meinen Helm aufsetzen?«

»Ja!«, schrien alle im Chor, und der sich anbahnende Streit war vergessen.

Asmus’ Helm ging rundum. Anschließend hatten alle Jungs beschlossen, Polizist zu werden.

Asmus sah ihnen lächelnd nach, als sie sich schwatzend auf den Heimweg in die Siedlung machten, und bemerkte erst dann, dass Line zurückgeblieben war. »Nun, Line?«, fragte er freundlich. Sie wirkte zart wie eine Elfe, und neben ihr kam er sich wie ein Klotz vor.

»Ich habe die Männer wirklich gesehen«, beteuerte sie. »Der eine war der Knud, den anderen kannte ich nicht.«

»Aber in Hörnum wohnt der andere nicht?«, vergewisserte sich Asmus.

»Nein! Dann würde ich ihn ja kennen.«

»Natürlich. Entschuldige bitte. Die Frage war dumm.«

Line betrachtete Asmus mit nachdenklich schief gelegtem Kopf. »Erwachsene entschuldigen sich nicht.«

»Wer einen Fehler gemacht hat, sollte sich entschuldigen, ob Erwachsener oder Kind.«

»In Büchern tun sie das auch nicht.«

»Liest du gerne?«

»Oh ja. Du auch?«

»Aber natürlich, Line!«

»Der Lehrer leiht mir manchmal welche«, verriet Line sehnsüchtig. »Mein Papa will das nicht. Deshalb lese ich nachts.«

Asmus verstand. »Bei Mondlicht am Fenster. Stimmt’s?«

Line wirkte betreten, weil sie sich erwischt sah. Dann hob sie plötzlich den Kopf und schenkte Asmus ein strahlendes Lächeln, während sie einen Finger auf ein Einzelhaus am Ende der Gasse richtete. »Unser Haus steht gerade oberhalb der Mole, siehst du? Aber du verrätst mich nicht, oder?«

»Nein, natürlich nicht. Aber du musst jetzt nach Hause, und ich sollte auch weiter.« Asmus erhob sich und streckte die Knie. Dann zupfte er behutsam an Lines Zopf, als bediene er einen Glockenschwengel. »Ich freue mich, dass ich dich kennengelernt habe, Line. Tschüs.«

»Ja, das war spaßig«, entgegnete Line und tanzte davon.

Der Unbekannte auf Knuds Boot konnte natürlich Böhrnsen gewesen sein. Die Zeit stimmte, und der Ort war im Gegensatz zu einer Flucht über List nachvollziehbar.

Während sich Asmus durch die Dünen zum Südbahnhof zurückrütteln ließ, kam er zum Schluss, dass selbstverständlich für eine nächtliche Segeltour auch jede andere Begründung in Frage kam. Weiter war er also eigentlich nicht gekommen, aber für das Protokoll taugte Lines Beobachtung allemal.

Sollte Böhrnsen tatsächlich mit dem fraglichen Boot geflohen sein, wäre er mittlerweile auf Amrum oder Föhr zu vermuten, noch wahrscheinlicher auf dem Festland. Unauffindbar also.