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»Hä?«

Viel verstand Jörn nicht. Asmus versuchte es nochmals. »Manchmal treiben sich hier nachts Leute umher. Sie könnten Böses wollen. Weißt du etwas davon?«

Dieses Mal hatte Jörn die Frage begriffen. Er schüttelte vehement den Kopf. »Niemand böse«, murmelte er und nahm die Hacken in die Hand, als ob er Angst vor Asmus hätte.

Asmus sah dem Mann unschlüssig nach, der das Hafenbecken umrundete und sich wie üblich auf den Heimweg nach Keitum machte. Noch in Sichtweite tat Jörn etwas Seltsames – er hechtete der Länge nach ins hohe Gras. Als er wieder auftauchte, hatte er eine Ente in den Händen, der er geschwind durch Ringeln das Leben ausblies. Vermutlich seine nächste Mahlzeit, dachte Asmus, aber dann schmetterte Jörn den Kadaver auf den Boden und trampelte auf ihm herum. Keine Jagdbeute – pure Wut.

»Hast du dem Jörn Angst gemacht?«, fragte der Werftbesitzer, der gleich darauf in Asmus’ Sichtfeld geriet, als er um die Ecke seines Schuppens bog.

»Offensichtlich«, bestätigte Asmus vergrätzt. »Aber deswegen muss er doch nicht einen Mord an einer Ente begehen, dem ich gerade zusehen musste. Ich frage mich, wie viel er überhaupt begreift.«

»Er benimmt sich manchmal seltsam. Landläufig gilt er als dumm und zurückgeblieben.« Bahnsen legte eine nachdenkliche Pause ein. »Ich dachte das zuweilen auch. Aber ich frage mich schon lange, ob es wirklich stimmt. Bisweilen kommt mir der Verdacht, dass er womöglich Dummheit geschickt als Waffe einsetzt. Niklas, ich muss weiter, die Fähre läuft gleich ein. Ich erwarte einen neuen Motor.«

Asmus drehte sich um. Tatsächlich. Die Fähre umrundete gerade die Mole. Auf dem Ober- und Unterdeck der Frisia standen an der Reling dicht an dicht die Gäste, und die erwartungsvollen Schreie von erstaunten Kleinkindern übertönten sogar das Gekreisch der Möwen, die im aufgewirbelten Wasser neben den Schaufelrädern nach Futter suchten. Er lächelte skeptisch, während er über Bahnsens letzte Bemerkung nachdachte, die ihn außerordentlich erstaunte.

»Sie haben Böhrnsen natürlich noch nicht aufgespürt!«, schnauzte Sinkwitz übelgelaunt, als sich Asmus am nächsten Tag wieder einmal in der Wache blicken ließ.

»Nein.«

»Und das melden Sie mir so einfach ins Gesicht?«

»Wohin sonst, Hauptwachtmeister Sinkwitz?«

Über die Schulter seines Vorgesetzten hinweg sah Asmus Lorns, der ihm signalisierte, dass im Augenblick äußerste Vorsicht geboten war.

Asmus fiel ein, dass an diesem Tag der Politiker erwartet wurde. Wahrscheinlich waren alle Beteiligten an seinem Empfang, dem Umzug und dem anschließenden Festessen hochgradig nervös. Er beschloss, ein wenig zur Beschwichtigung beizutragen. »Auf Sylt ist Böhrnsen wohl nicht mehr. Es gibt Indizien, dass er sich von Hörnum aus abgesetzt hat. Vielleicht nach Langeneß zu seinen Verwandten.«

»Möglich ist es«, stimmte Matthiesen eifrig zu. »Ein Vetter von ihm hat dort einen vergleichsweise ansehnlichen Hof. Verdient mit der Lieferung von Butter und Strickstrümpfen nach Föhr immerhin Bargeld.«

»Heute fahren Sie jedenfalls nicht dorthin, Asmus«, schnarrte Sinkwitz, der sich kaum beruhigen ließ. »Heute sind Sie verantwortlich für die Sicherheit des Abgeordneten Bauer und seiner Begleitung. Sie und Matthiesen: auf der Straße in Uniform, beim Bankett in Zivil.«

Matthiesen klackte mit den Stiefeln und stand stramm. »Wachtmeister Asmus hat immer noch keinen Degen, Hauptwachtmeister Sinkwitz.«

»Wieso nicht? Was fällt Ihnen denn ein, unvollständig bekleidet Ihren Dienst zu versehen, Asmus?«

»Die Anordnung zu meinem Dienstantritt wurde noch nicht aufgehoben«, erklärte Asmus ruhig.

»Dafür haben Sie selbst zu sorgen! Dies ist doch kein Kindergarten!« Sinkwitz rauschte aus dem Wachraum. Hinter ihm schlug die Tür zu seinem Zimmer zu.

»Ajajaj«, seufzte Matthiesen und ließ sich auf einen Hocker sinken. »Hoffentlich bringen wir das hinter uns, ohne dass größere Katastrophen eintreten.«

»Als da wären?«

Matthiesen sinnierte zur Zimmerdecke hoch. »Gezielt auf den Abgeordneten scheißende Möwen, uninteressierte Friesen, Regen, Gewitter und Sturm, Motorschaden an der Prunkkarosse … Ach, es ließen sich noch so viele Sabotagemöglichkeiten finden.«

Asmus grinste über alle Backen. »Stell dir vor, man könnte Möwen abrichten«, sagte er träumerisch.

In aller Hast ratterte Asmus nach Munkmarsch zurück, um sich seine Zivilkleidung zu holen. Später würde dafür keine Zeit mehr sein. Etwas verschämt erschien er an Oses Tür, um zu bitten, ob er sich Hose und Jacke bei ihr plätten dürfe. Auf einem Kosterboot konnte man in den engen feuchten Schapps keine Kleidung gesellschaftsfähig halten. Man durfte dankbar sein, wenn sie nicht zu spaken anfing.

Ose war nicht da. Aber ihre Mutter hatte jedes Verständnis. »Ich habe gerade den Anzug meines Mannes unter dem Plätteisen. Er soll auch zu dem Empfang im Hotel. Das geht in einem Aufwasch. Nun kommen Sie schon herein, Herr Asmus!«

»Ich kann es selbst tun«, wagte Asmus zu bemerken.

»Zweifellos. Aber Sie müssen nicht alles selbst machen. Ich würde auch keine Diebe fangen wollen. Das erledigen Sie für mich.«

»Na ja, so gesehen … Das ist nett von Ihnen.«

Kurze Zeit später wirbelte Ose ins Haus, wo sie Asmus in der Küche bei einem Becher Tee vorfand. »Die Straßen füllen sich schon«, schnaufte sie und bediente sich ebenfalls an der Teekanne, die auf dem heißen Herd stand. »Hat dich Mutter schon eingemeindet?«

»Wie meinst du das?«

»Oh, Fremde bittet sie in die Dörns oder gar in den Pesel. Wer am Küchentisch hockt, gehört zu uns.«

»Das weiß ich jetzt nicht«, sagte Asmus verwirrt. »Deine Mutter plättet meinen Gesellschaftsanzug.«

Ose staunte. »Der Sinkwitz macht sich alles zunutze, schlau, der Kerl. Der weiß, dass du dich in den höheren Schichten benehmen kannst, im Gegensatz zu Jung oder Thamsen.«

»Meinst du?«

»Ja, klar.«

Oses Mutter trat in die Küchentür. Sie hielt Jacke, Hose, Kummerbund und Schleife hoch, die auf einem Bügel hingen. »Recht so, Herr Asmus?«

Asmus sprang auf und verbeugte sich. »Meinen ganz herzlichen Dank, Frau Godbersen! Ganz sicher haben Sie das Ansehen der Schutzpolizei von Sylt gerettet.«

»Sie übertreiben, Herr Asmus. Aber Sie sind jederzeit willkommen, um weiter zu übertreiben.«

Asmus schmunzelte, ließ sich den Anzug über den Arm drapieren und fuhr vorsichtig zurück nach Westerland.

KAPITEL 14

Am Mittag traf der Zug mit den festländischen Honoratioren von Hörnum kommend am Westerländer Südbahnhof ein. Asmus und Matthiesen waren zur Stelle, mit blank geputzten Stiefeln und Säbeln. An seinem Helm hatte Matthiesen als Freudenkundgebung die schwarzweiße preußische Kokarde aufgesteckt. Asmus war auf die gleiche Idee gekommen, hatte sich aber eines Straußes Strandwermut bedient, dessen graue Blätter traurig herabhingen.

»Mensch, Niklas«, sagte Lorns mit einem Blick auf das unpassende Gewächs erschrocken. »Muss das sein? Jemand könnte meinen, dass der Abgeordnete Bauer für dich ein Wermutstropfen ist.«

»Mag er denken, was er will«, entgegnete Asmus gleichmütig. »Die sollen dankbar sein, dass ich nicht mit einer auf der Pickelhaube aufgespießten Kreuzkröte erscheine. Als sichtbares Zeichen dafür, in welcher Geschwindigkeit diese seltenen Tierchen aus ihrem Lebensraum vertrieben werden.«

Matthiesen grinste. »So gesehen …«

Neugierige säumten die Straße, als der Abgeordnete Bauer im offenen grünlackierten Wagen langsam vorbeigefahren wurde. Sie schrien begeistert und schwenkten nordfriesische Fähnchen. Dem Auto voraus tänzelten Pferde des Ringreitervereins, es folgte eine Kapelle von Jungen und Mädchen mit Blasinstrumenten und Trommeln, die allerdings vom Festland importiert worden war.

Dahinter marschierten in strammem Schritt die wichtigsten Männer von Sylt: Bürgermeister Müller, der Kurdirektor, die Direktoren der großen Hotels und die maßgeblichen Kaufleute. Und Rörd Jacobsen. Er ragte über die meisten anderen empor. Im Übrigen mischte sich auch allerhand Volk unter die Menge, das Asmus unbekannt war. Die in Kampen lebenden Künstler beteiligten sich offenbar nicht; an ihren Phantasiegewändern und mitunter langen Haaren wären sie leicht zu erkennen gewesen.