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Der im Auto stehende Abgeordnete Bauer verneigte sich steif abwechselnd nach rechts und links und lupfte immer wieder seinen pechschwarzen Zylinderhut, auch in Richtung der Obergeschosse der Häuser, an deren Fenstern sich die Zuschauer drängten. Matthiesen und Asmus folgten seinem Wagen in angemessenem Tempo und hatten an ihrer jeweiligen Straßenseite potentiell boshafte Möwen und aggressive Kommunisten im Auge.

Feinde jeglicher Sorte waren jedoch nicht zu erkennen.

An der Einfahrt zum Hotel wurde das gemeine Volk zurückgehalten. Das Gedränge löste sich auf, und es gab etwas Luft.

»Gehört dieses Auto dem Abgeordneten?«, erkundigte sich Asmus leise bei Matthiesen.

»Der Horch?«, fragte Matthiesen erstaunt zurück. »Nein, das ist der Jagdwagen von Rörd Jacobsen.«

»Aha«, murmelte Asmus verblüfft. Und doch fuhr Jacobsen weder im Auto mit, noch hielt er sich dicht daneben. Ein Zeichen von Bescheidenheit? Wollte er allein dem Abgeordneten die Begeisterungsstürme zukommen lassen? »Was hältst du von ihm?«

»Von Jacobsen?«

Asmus nickte.

»Er hat einen guten Leumund«, sagte Matthiesen zögerlich.

»Aber?«

»Man weiß nicht sehr viel über sein Leben. Man könnte denken, er versteckt sich da draußen in seiner Villa. Er soll viele Kontakte auf dem Festland haben.«

»Aha.« Asmus war nicht schlauer geworden. Ohnehin hatten sie jetzt keine Zeit mehr für ein Gespräch.

Der Jagdwagen rollte vor dem Eingangsportal des Sylter Hofs aus. Während der Abgeordnete unter großem Pomp begrüßt und ins Haus geleitet wurde, rannten Asmus und Matthiesen hintenherum in den Keller, wo sie ihre Anzüge bereitgelegt hatten.

Matthiesen trug zur dunklen Hose ein dezentes schwarzes Jackett, während Asmus formvollendet im kleinen Gesellschaftsanzug auftrat, so wie es Sinkwitz angeordnet hatte.

Bauer war nach dem Eintragen ins Gästebuch erst bis zur Saaltür gelangt, als die beiden Polizisten auch schon oben waren und sich wenige Schritte hinter ihm mit dem geflüsterten Erkennungswort Einlass verschafften.

Im Bankettsaal waren viele runde Vierer- und Sechsertische weiß eingedeckt. Während Asmus und Matthiesen sich unauffällig in der Nähe des Rednerpults ihre Stehplätze an der Fensterseite suchten, wo auch schon mehrere andere Herren standen, die offensichtlich zur Begleitung des Politikers gehörten, aber nicht geladen waren, füllte sich der Raum.

Noch schwatzten die Gäste unbekümmert und laut miteinander und fanden sich zu Gruppen zusammen, während sie sich an den Tabletts der sich geschäftig durchschlängelnden Kellner mit gefüllten Gläsern bedienten. Schließlich suchten sich die meisten ihren Platz.

Endlich saßen alle, aber noch summte der Saal von gegenseitiger Vorstellung und ersten Sachgesprächen.

Matthiesen beugte sich bedächtig zu Asmus hinüber. »Hier kannst du sehen, wer auf Sylt was darstellt«, flüsterte er. »Wer nicht da ist, hat keinen Einfluss.«

»Ich sehe Rörd Jacobsen, aber Bonde Sibbersen nicht. Ich denke, er ist einer der Wichtigen in Westerland.«

»Er ist einer der reichsten Kaufleute«, verbesserte Lorns. »Das ist etwas anderes. Ich schätze, er bleibt aus Protest fern, und das kann er sich leisten. Er spendet an viele Vereine und betätigt sich gemeinnützig.«

»Wogegen protestiert er denn?«

»Gegen all das, was sich die Geldgierigen vom Damm erhoffen. Er ist redlich genug, um anzuerkennen, dass ganze Berufsgruppen zu recht in Angst vor dem Damm leben.«

Das alles hatte Sibbersen Asmus nicht erzählt, wahrscheinlich aus Bescheidenheit nicht. Während der Bürgermeister Müller – derselbe, der die Versammlung der DNVP geleitet hatte – Grußworte abspulte, hatte Asmus Zeit, die Gesichter zu studieren, die er aufgrund seiner Bewacherposition gut im Auge hatte. Inzwischen kannte er viele vom Sehen, die meisten augenscheinlich Kaufleute. Aber auch Dr. Katzenstein, der Kurarzt, war da. Er saß neben Mausi Böhrnsen, die wahrscheinlich die Einladung ihres Vaters wahrnahm, jedenfalls war ihr Verlobter nicht anwesend.

Plötzlich erschien ein Kellner vor Asmus. »Bitte, der Herr, wenn Sie jetzt Platz nehmen wollten«, flüsterte er aufgeregt. »Die Festlichkeit hat schon angefangen, und alle anderen sitzen bereits. Ich geleite Sie zu Ihrem Platz, wenn Sie erlauben, und bringe Ihnen Champagner.«

Asmus ließ es sich nicht zweimal sagen. Er folgte dem erleichterten Hotelangestellten zu einem frei gebliebenen Stuhl in der Mitte des Saals, wobei er zu seiner Verwunderung an Sinkwitz vorbeikam, auch dieser nicht in Polizeiuniform, wenn auch nicht in einem so eleganten Smoking wie Asmus.

Unterwegs waren ihm schon einige erstaunt hochgezogene Augenbrauen von Syltern aufgefallen, die ihn als einfachen Wachtmeister kannten, aber nun schnell begriffen, wie sehr sie seine gesellschaftliche Stellung unterschätzt hatten. Mindestens vier dieser Herren würden anschließend das Bedürfnis haben, ihn privat zu beschnuppern, dachte Asmus amüsiert, während er darauf wartete, dass der Kellner ihm den mit gestreifter Seide bezogenen Lehnsessel zurechtrückte. Auch Oses Vater beobachtete ihn, und sein verschmitztes Schmunzeln war gar nicht zu übersehen; Asmus musste sich zurückhalten, um nicht zurückzugrinsen, empfand er doch diesen Sitzplatz als wesentlich angemessener als den Stehplatz an der Wand.

»Haben Sie es noch geschafft, Herr Kollege«, raunte sein Nachbar zur Rechten, verbeugte sich leicht und stellte sich in süddeutscher Mundart als Robert Meier vor.

»Niklas Asmus, Rostock«, flüsterte Asmus.

»Die Reederei?«

Asmus nickte und richtete seine Aufmerksamkeit nach vorne zum Rednerpult, auf dem soeben der Abgeordnete Bauer zu seiner Rede anhob.

»Werte Gäste, in diesen stürmischen Tagen, sowohl politisch als auch finanziell, darf ich Sie als Speerspitze kommender Veränderungen aufs Herzlichste begrüßen. Sie alle sind bereit, größere Geldsummen in Sylt zu investieren, und ich verspreche Ihnen, es wird sich lohnen! Welche Insel kann schon von sich behaupten, über Damm und Eisenbahn mit einer schnellen Verbindung zum Festland zu verfügen, über eine noch schnellere durch den Flughafen und als besondere Attraktion für künftige Gäste einen Zeppelinhafen? Lediglich der Bau der Untergrundbahn bereitet uns noch einige technische Probleme, aber auch die werden wir lösen.«

Das herzhafte Gelächter und das anschließende Gemurmel an allen Tischen bewiesen, dass Bauer den Zuhörern aus dem Herzen sprach. Er hob die Hand, und der Lärm ebbte ab.

»Mit anderen Worten: Die Insel Sylt wird dank der klugen Wirtschaftspolitik meiner Partei einen verkehrstechnischen Komfort aufweisen wie Neu York, dabei mit Sehenswürdigkeiten locken wie Paris und dank ihres Liebreizes bald einen Besucherstrom erleben wie Berlin. Dafür zu sorgen, dass alle zu erwartenden Gäste untergebracht, verköstigt und unterhalten werden, bleibt Ihnen überlassen.«

Allgemeine Zustimmung. Nur Asmus hatte es die Sprache verschlagen.

»Sie alle haben den ersten Zugriff und können die besten Plätze besetzen, meine Herren. Und damit darf ich Sie zunächst einem opulenten Mahl überlassen, in dem Sie bergeweise Ideen entwickeln werden, die als Grundlage späterer konkreter Planung dienen sollen. Ich wünsche guten Appetit.«

Dröhnendes Händeklatschen beendete diesen ersten Teil der Veranstaltung. Es war noch keine Ruhe eingekehrt, als die Saaltüren aufschlugen und ein Strom von Kellnern, beladen mit Fleisch- und Gemüseplatten, unter leiser Kammermusik hereinmarschierte.