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Entgeistert nippte Asmus an seinem Champagner, der ihm nun nicht mehr schmeckte. Was stellte sich dieser Abgeordnete überhaupt unter Sylt vor? Hatte er nicht wenigstens zwischen Hörnum und Westerland aus dem Zugfenster geschaut und bemerkt, welche Illusionen er im Begriff war zu verkaufen? Ganz abgesehen davon, dass innerhalb dieser hochfliegenden Pläne kein Platz mehr für die Einheimischen blieb. Es sei denn, Frauen in Sylter Tracht würden zu annoncierten Zeiten durch die Straßen geführt, zusammen mit ihren Männern, deren weiße Oberhemden, weite Hosen mit Hosenträgern und Holzpantinen weniger malerisch waren, aber immer noch als eine Art einheimische Arbeitstracht deklariert werden konnten.

»Nun, was sagen Sie? Sind Sie hier, um Pläne für einen Hafen mit Ausflugsschiffen zu eruieren?« Meier prostete Asmus zu.

Asmus wiegte zweifelnd den Kopf. »Munkmarsch eignet sich nicht, weil die Wasserstraße nach Süden durch den Damm versperrt wird. Nach Norden wollen die Leute wahrscheinlich nicht, weil es Animositäten gegenüber den Dänen gibt. Hörnum wäre die einzige Möglichkeit für Ausflüge zu den Inseln und nach Helgoland, aber komfortabel ist es von Westerland aus nur mit dem Zug erreichbar. Es fehlt eine feste Straße für Autos, es gibt nur den Sandweg. Und die Gegend ist natürlich das genaue Gegenteil von dem, was Bauer beschrieben hat. Das Publikum, das nach Sylt gelockt werden soll, interessiert sich nicht für den Halligfliederspitzmausrüsselkäfer und das Schwingelgras.«

Meier brach in ein schallendes Lachen aus. »Nun, ich muss sagen, Sie sind gut vorbereitet. Ich weniger. Mein Fachgebiet sind Luftschiffe und Zeppeline.«

»Ach was«, staunte Asmus.

»Ja. Aber solange die Binnenstruktur der Insel nicht auf modernem Stand ist, kann man einen Landeplatz nicht ordentlich betreiben. Verstehen Sie: In der Einöde ist er nutzlos, wenn es keine Straßen gibt, auf denen die Besucher die anvisierten Sehenswürdigkeiten erreichen können. In die Nähe von Siedlungen möchte ich damit auch nicht. Die Brandgefahr für meine Flugobjekte ist zu groß …«

Von der anderen Seite wurde Asmus angesprochen, noch bevor er Meier zustimmen konnte. »Gestatten, Karl Vesper. Entschuldigen Sie, ich habe mit halbem Ohr Ihr Gespräch mitgehört. Haben Sie den Eindruck, dass sich ein Hotel in Munkmarsch tragen könnte?«

Asmus wandte sich ihm zu. »Für Hotels bin ich weiß Gott kein Fachmann. Aber ich glaube nicht. Die Fährverbindung zum Festland wird eingestellt werden, sobald der Damm fertig ist; die Werft schließt bald; die Mühle ist schon abgerissen. Es ist ein sterbender Ort. Einen breiten Sandstrand gibt es nicht, nur Schlick, baden kann man also nicht. Ich wüsste nicht, warum Gäste sich dort aufhalten sollten.«

»Tatsächlich?« Vespers rhetorischer Einwurf signalisierte Enttäuschung.

»Wenn irgendwo«, fuhr Asmus ermunternd fort, »würde ich für ein Hotel den Standort Kampen empfehlen. Unter der Voraussetzung, Ihr Hotel wird eine gute Restauration bieten.«

»Kampen …«

»Ja. Es ist ein Ort, in dem sich Berliner Künstler niedergelassen haben, die ihrerseits bereits als Attraktion gelten. Deren Kolonie wächst stetig. Der Kampener Leuchtturm und ein Nacktbadestrand werden von vielen Gästen aus Westerland besucht, die mit der Kutsche kommen …«

»Und werden womöglich vom Kutschunternehmen nur mit einem Picknickkorb verpflegt?« Vesper schüttelte sich.

Asmus bestätigte wider Willen. Er, der diesen Zirkus am liebsten verhindert hätte, war jetzt bereits dabei, gute Ratschläge für Investoren zu geben.

»Wunderbar! Für mich, meine ich«, raunte Vesper aufgeregt. »Ich werde mich gleich morgen nach Kampen kutschieren lassen. Sie hätten nicht zufällig Zeit …?«

»Nein, Herr Vesper, bedauere.«

»Schade. Aber es freut mich, Sie kennengelernt zu haben.«

Asmus widmete sich wortlos dem Rinderbraten mit einer Art Teigkugel, die auf der Karte als Knödel annonciert wurden. Offenbar hatte die Partei sogar für süddeutsche Köche gesorgt. Es schmeckte ihm großartig, hinterließ aber ein ungutes Gefühl, weil der kommende Umbruch auf der Insel bereits jetzt in jeder Beziehung zu erkennen war und unumkehrbar schien.

Entsprechend wurde in diesem Saal schon geschlemmt, während diejenigen, die alles verlieren sollten, kaum mehr richtig satt wurden. Beinahe hätte er Sympathie für die kommunistischen Protestbewegungen aufgebracht – hätte nicht Sinkwitz selber am Nachbartisch die Delikatessen in sich hineingeschaufelt.

»Ich hätte noch ein kleines Anliegen an Sie als Syltkenner.« Meier sah Asmus prüfend an, während die Gesellschaft sich allmählich erhob und sich für eine Mittagspause auflöste. »Sibbersen ist doch ein Sylter Name, oder?«

Asmus’ Atem stockte für einen Augenblick. »Ja. Nordfriesisch. Kommt auch auf dem Festland vor.«

»Das stimmt also«, murmelte Meier. »Man hat mir erzählt, dass ein Cord Sibbersen aus Westerland ausgezeichnet über Grundstücksrechte Bescheid weiß.«

»Das ist richtig«, bestätigt Asmus, bevor ihm einfiel, dass diese Kenntnis für einen Rostocker Besucher denn doch etwas zu weit ging. Aber Meier schien es nicht aufzufallen. »Ich habe es jedenfalls so gehört.«

»Ich habe sogar seine Adresse in Frankfurt. Aber da ist er nicht. Einer seiner Freunde, dem ich zufällig begegnete, legt ihm seit mehreren Wochen die Post in die Wohnung. Sie bleibt unberührt. Kennen Sie ihn?«

Asmus verneinte. Eine Art Furcht kroch ihm über den Rücken. Wo hatte er sich bloß hineinmanövriert?

»Na ja, hätte ja sein können«, fuhr Meier fort. »Es ist immer gut, sich nach allen Seiten umzuhören.«

»Ja, das ist weise«, bemerkte Asmus. »Ich muss mich verabschieden, ich habe noch etwas vor.«

»Man trifft sich im Leben immer zweimal. Tschüs auch, Herr Asmus.«

»Tschüs, Herr Vesper, tschüs, Herr Meier.« Asmus eilte aus dem Saal, während ihn der herunterlaufende Schweiß am Rücken kitzelte. Beiden Gesprächspartnern sollte er während ihrer Sondierungen auf Sylt besser nicht mehr begegnen.

»Hoppala! Nicht so schnell zu Boden gehen!« Ein Herr hielt Asmus fest, der zur Seite ausgewichen und dabei neben der Garderobe über eines der vielen Gepäckstücke gestolpert war, die den halben Gang blockierten.

»Besten Dank, Herr Jacobsen. Man kommt hier ja kaum durch.« Der Herrenausstatter war sehr gepflegt und duftete nach etwas, das Asmus unbekannt war.

»Nicht wahr? Spricht für das auswärtige Interesse an Sylt. Nett, Ihnen hier als Gast zu begegnen.«

Ja, das fand Asmus auch. Vor allem, dass er diesem kultivierten Mann nicht mehr als einfacher Wachtmeister gegenüber stand. »Wahrscheinlich sehr erfolgreich, diese Veranstaltung. Hoffentlich droht nicht demnächst Überfüllung auf Sylt.«

»Ja, das könnte ein Problem für die einheimischen Kaufleute werden.«

»Für Sie selbst auch?«

»Nein, ganz gewiss nicht. Meinem Geschäft wird es besser gehen, je mehr Gäste hierherkommen. Aber man muss abwägen. Zu viele dürfen es nicht werden. Krethi und Plethi müssen draußen gehalten werden, damit wir das Niveau wahren.« Jacobsen nickte Asmus zu und ging wieder in den Festsaal zurück.

Niveau wahren. Nun ja. Das wäre das Reizthema für seinen Vorgesetzten, dem Asmus auf der Terrasse in die Arme lief, ohne ihm ausweichen zu können.

»Sie«, schnaubte Sinkwitz verhalten, »Sie waren nicht autorisiert, am Bankett teilzunehmen! Was fiel Ihnen denn da wieder ein?«

»Sie haben mich im Gesellschaftsanzug hinbeordert«, entgegnete Asmus kühl. »Hätte ich dem Kellner, der mich dringend auf den noch freien Platz nötigte, sagen sollen: ›Irrtum, mein Lieber, ich bin hier nur Aufpasser‹? Ich zog es vor, Aufsehen zu vermeiden, und dachte, das sei in Ihrem Sinn.«

»Na ja. Es ist ja nichts passiert«, gab Sinkwitz knurrend zu. »Aber jetzt verschwinden Sie. Schieben Sie draußen in Uniform Wache.«

Asmus faltete die Hände über dem Kopf und dehnte seinen ganzen Körper, der vom Sitzen in den zierlichen Sesseln steif war. »Ja, Herr OWM. Genau das hatte ich vor«, sagte er lässig. Die Wut blitzte in Sinkwitz’ Augen auf, aber er war machtlos.