»Stimmt, Cord würde wohl mit einigen Monaten davonkommen. Markus will mich informieren, sobald er Näheres weiß. Ich fahre dann runter nach Frankfurt, um Cord einen Verteidiger zu besorgen.«
»Dann ist das soweit geklärt«, sagte Asmus aufmunternd und verließ den Kaufladen mit fünf Eiern. Ihm war weit weniger zuversichtlich zumute als Cords Vater. Es gab so viele andere Möglichkeiten, warum ein junger Mann verschwand. Ohne Nachricht zu geben, waren schon viele junge Männer ins Ausland ausgewandert.
Als Asmus abends wieder im Cockpit saß und den friedlichen Abend genoss, stieg Hans Christian mit zwei Flaschen Bier zu ihm an Bord. »Hast du inzwischen herausgefunden, wer Böhrnsen befreit haben könnte?«, fragte der Werftbesitzer.
Asmus schüttelte den Kopf.
»Ich auch nicht. Aber meine Frau hat Jörn Frees im Hafen herumlungern sehen. Am Abend unseres Abreisetages und am nächsten, als wir dann mit Böhrnsen zurückkamen. Am zweiten Tag kam er etwas später, entsprechend der Tide. Es scheint, als hätte man ihm aufgetragen, wann er hier sein sollte. Den Tidenkalender kann er ganz sicher nicht lesen und auch keine Tiden berechnen.«
Jörn Frees. Das war ja ein ganz neuer Aspekt. Aber er fügte sich nahtlos in die seltsamen Ereignisse am Ufer. »Jörn wird also von jemandem beauftragt, uns zu überwachen, meinst du.«
»Ja.«
»Mittlerweile könnte selbst ich fünf Namen von Leuten aufzählen, die Böhrnsen schützen würden, jedenfalls solange es für sie gefahrlos bleibt.«
»Mindestens.«
»Und vom Fährhaus aus kann Frees telefonieren. Aber mit wem? Ich kann nicht glauben, dass mehr als diese fünf ungesetzlich handeln würden.«
»Ich auch nicht«, stimmte Bahnsen zu. »Ich vermute dahinter eine Handvoll sehr entschlossener Sylter, die ihre Macht über die Insel davonschwimmen sehen, wenn sie sie nicht mit allen Mitteln verteidigen. Oder sogar ein Einziger. Jedenfalls ist Böhrnsen ein wichtiger Bestandteil dieser Brut, weil er zur Tat schreitet, wenn es notwendig ist. Die anderen können sich dann hinter ihren Erwägungen verstecken.«
»Man muss bedenken, dass mit dem Damm nicht nur das Geld von Investoren fließen wird, sondern auch Geschäftsleute kommen werden, die sich hier niederlassen wollen. Die Clique, die du Brut nennst, sorgt sich ganz offenbar um ihre eigene Zukunft. Sie möchten die Vorteile des Damms, ohne die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, sprich Konkurrenz. Aber wenn schon Konkurrenz, dann klären die hiesigen Platzhirsche jetzt bereits die Fronten.«
»So könnte man es sich vorstellen. Übrigens intrigiert Mausi Böhrnsen gerne und besitzt Überzeugungskraft. Es ist denkbar, dass sie es schaffte, den spontanen Aufruhr zu organisieren, als ihr Vater das erste Mal im Gewahrsam saß. Aber inzwischen weiß ganz Sylt, dass die Polizei durchgreift, seitdem du hier bist. Deswegen glaube ich nicht, dass Mausi bei der neuen Befreiung ihres Vaters die Finger im Spiel hat. Da denke ich an höhere Kräfte.«
»An die Brut«, ergänzte Asmus, und Bahnsen nickte.
Am nächsten Tag kam Ose zu Asmus’ Boot, noch bevor er seinen Dienst angetreten hatte. Sie hielt ihm das druckfrische Exemplar der Sylter Rundschau hin.
»Ich habe sie nur überflogen«, sagte Ose. »Aber sieh mal, was ich hier Wichtiges entdeckt habe. Unter den Anzeigen.«
Asmus las laut:
»Wer es bisher noch nicht wusste:
Ja, mein Sohn Cord hat die Neigungen eines Urnings,
er ist nicht der Einzige auf Sylt,
aber der Einzige, der sich dazu bekennt.
Sollten mir noch mehr anonyme Droh- und Schmähbriefe wegen Cord zugehen, werde ich nicht davor zurückschrecken, weitere Sylter Urninge öffentlich zu machen. Verwandte und Bekannte werden sich schämen …
Du liebe Zeit!« Asmus starrte auf die Zeilen und sah vor Entsetzen nur noch Druckerschwärze.
»Ja, genau. Was auch immer er dir von Cord erzählt hat: Er muss sehr verzweifelt sein.«
»Das war er«, bestätigte Asmus nachdenklich. »Diese Anzeige bestätigt es. Er beginnt um sich zu schlagen. Ich hätte ihm von solch einer Dummheit abgeraten.«
»Sie hilft ihm nicht?«
»Im Gegenteil. Ob er überhaupt Namen kennt, sei dahingestellt. Aber seine Gegner werden sich zusammenrotten.«
»Muss man ihn nicht warnen?«
»Doch. Heute noch. Ich werde bei ihm vorbeigehen. Weiß ja keiner, warum. Könnte ja eine Rüge seitens der Polizei sein.«
»Ja«, sagte Ose erleichtert. »Bonde ist ein Netter. Ein Kesseltreiben hat er nicht verdient.«
Asmus reichte ihr die Zeitung zurück und machte sich auf den Weg zum Königshafen. Die Sicht war an diesem Tag gut. Hinter dem Ellenbogen lagen die Insel Röm und das Festland im Dunst, die Vögel am Ufer und die Schafe auf der Weide schienen im Einklang mit sich. Und mit den drei ankernden Schiffen in der Bucht war auch Asmus zufrieden. Einfache Fischer. Die Schmuggler hatten sich offenbar andere Routen gesucht. Im Schlechten Hafen lagen nur Lister Boote.
Als er die Alte Dorfstraße entlangknatterte, kam ihm die Frau, die ihm Auskunft gegeben hatte, entgegen. Sie hob ihren Stock und winkte ihm damit emphatisch zu. Und Asmus winkte fröhlich zurück.
So war der Dienst leichter zu ertragen. Zwistigkeiten mit den Menschen, mit denen er lebte, verabscheute Asmus, vor allem, wenn sie einen persönlichen Anstrich erhielten. Das brachte ihn sogleich zurück zu seiner nächsten Aufgabe: Sibbersen ins Gewissen reden, damit dieser nicht noch mehr Dummheiten beging.
Jedoch entdeckte Asmus, als er nur eben sein Motorrad im Hof abstellen wollte, in der Wache die jüngste Eintragung in das Tagesjournaclass="underline" »Bonde Sibbersen, Kaufmann in Westerland, eine Rüge erteilt wegen der heutigen Drohung in der Sylter Rundschau. OWM Alfred Jung.« Dieser stinkfaule Kerl, der sich selten an der ermüdenden Arbeit der Wachtmeister in den Straßen unter nassen oder frostigen Bedingungen beteiligte, witterte karrierefördernde Unternehmungen wie die Maus den Käse! Ein vom Chef geduldetes schäbiges Verhalten. Mit charakterlosen Männern wie Jung und Sinkwitz war leider schwer zusammenzuarbeiten.
Jung stiefelte aus Sinkwitz’ Arbeitszimmer heraus, als Asmus gerade gehen wollte. »Womit rechtfertigen Sie denn, jemandem eine Rüge zu erteilen, der eine private Anzeige in der Zeitung geschaltet hat?«, fragte er.
»Mit der öffentlichen Drohung«, antwortete Jung prompt.
»Hat Sibbersen Ihnen die Droh- und Schmähbriefe gezeigt, von denen er spricht?«
»Nö. Habe ich abgelehnt. Die sind privat und somit nicht relevant.«
»Ach so«, sagte Asmus. »Eine öffentliche Bekanntmachung als Antwort auf Briefe ist also eine Drohung, wenn Sie dies so entscheiden, aber persönliche Drohbriefe finden Sie privat. Ist Ihnen klar, dass Sie mit zweierlei Maß messen?«
Jung blies die Backen auf und wusste nichts zu erwidern.
Als Asmus vor Sibbersens Kaufladen ankam, standen dort einige flüsternde junge Leute beisammen, einheimische Lehrlinge, schätzte er. Sie schienen erregt, aber auch abenteuerlustig. Ein Passant steuerte auf die Eingangstür zu, überlegte es sich bei ihrem Anblick und bog ab.
Einer der Jünglinge fuchtelte mit einem hölzernen Spazierstock mit geradem Knauf, den Asmus argwöhnisch musterte. »Geben Sie mir den doch bitte mal.«
Widerwillig reichte ihm der pickelige Knabe das Stück. Geübt fand Asmus die Arretierung und zog mit dem Griff eine dreikantige Klinge aus dem Spazierstock. »Sie wissen, dass Stockdegen verboten sind, nicht wahr?«
»Ich wusste nicht einmal, dass es einer ist«, antwortete der Bengel frech. »Wie kann ich ahnen, dass mein Vater verbotene Waffen besitzt? Übrigens, er ist der Besitzer vom Strandcafé.«
»Mein Junge, das haben schon ganz andere Kaliber als Sie versucht. Einem Polizisten sollten Sie nicht drohen. Es ist nicht nur unhöflich, es verstößt auch gegen das Gesetz. Jetzt geht bitte alle an eure Arbeit zurück und lasst Bonde Sibbersen in Ruhe.«