»Ja. Ich kann Ihnen folgen. Aber ich finde es entsetzlich. Meines Wissens ist in den letzten Jahren ein heimtückischer Mord wie dieser nie vorgekommen.«
»Sind noch mehr Überraschungen am Leichnam zu erwarten?«
»Nein, ich habe die Sektion beendet.«
»Ich bedanke mich ganz herzlich«, sagte Asmus und reichte dem Arzt die Hand, mit den Gedanken schon bei den zu ziehenden Schlussfolgerungen. »Sie finden allein hinaus? Durch den Torbogen.«
»Ich soll Ihnen dies geben«, sagte Godbersen hastig und drückte ihm ein Päckchen in die Hand. »Mit einem herzlichen Gruß von Ose. Die Eier sind schon gekocht.«
»Ohne Ose hätte ich schon zehn Kilo abgenommen …«
»O nein, lieber nicht. Ich glaube, sie mag Sie gern, wie Sie sind …«
Gesagt hatte Ose nichts und er auch nicht. Aber ihren Eltern war es aufgefallen. Mit heißem Gesicht entfloh Asmus zur hinteren Treppe in die Wache. Die Eier in der Hand, kam er zum Schluss, dass sie nicht als Bestechung zu gelten hatten. Ose war ja keines Vergehens verdächtig. Im Gegenteil!
Noch bevor Sinkwitz im Amt war, telefonierte Asmus bereits mit dem Baustellenleiter Lorenzen. Er brauchte noch mal den Leichter, gerne seine beiden bewährten Helfer und mehrere dieser kurzstieligen kräftigen Hacken, die beim Dammbau verwendet wurden.
Lorenzen versprach ihm alles.
Dann ging Asmus nach nebenan, wo Jep bei Jung herumlümmelte und nichts zu tun hatte. »Hast du Lust, zur Dammbaustelle mitzufahren, Jep?«
Jep warf einen Blick auf Jung, der dazu keine Meinung hatte, und nickte dann zögernd.
Kurz vor zehn Uhr fuhren sie los, um bei Niedrigwasser draußen an den Dalben sein zu können. Die drei fetten geräucherten Aale, die Asmus sich von Bahnsen erbettelt hatte, lagen im Korb, den Jep festhielt. Eigentlich hatte er an diesem Tag Matthiesen mit ihnen hinausschicken wollen, aber nun war ja alles anders gekommen.
Dieses Mal hatte Asmus seine eigenen Gummistiefel bereits an, so dass sich der Leichter unverzüglich auf den Weg machen konnte. Er erklärte den Männern, was er vorhatte, und setzte unterwegs Jep ins Bild.
Der Steinhaufen neben dem Dalben lag unberührt da. Die obersten Steine waren heruntergerutscht, als sie das Tau herausgezogen hatten, aber trotz allem war eine Ordnung in der Ansammlung zu erkennen, sofern man nach ihr suchte.
Asmus spähte immer noch zwischen den zusammengelegten Händen ins Wasser, als der eine der Helfer neben ihm mit der mehrzinkigen Hacke in der Hand wieder hochkam. »Der Steinhaufen ist nicht aus einer Lore abgekippt worden oder so etwas, Herr Asmus. Den hat jemand aufgesetzt, der im Dammbau tätig ist.«
»Meinen Sie?«
»Aber ja! Die Steine liegen gegeneinander verkeilt, damit sie im Verband bleiben und das Tau beschweren. Diesen Haufen hat jemand vor der Sturmflut angelegt, und er wurde nicht zerschlagen, weil unter Wasser alles gedämpft abläuft.«
»Da haben Sie recht.«
»Aber Herr Asmus, wenn das stimmt, dann wurde der Kerl ja mit Absicht hier versenkt. Das ist doch Mord!«
»Ja, das befürchten wir inzwischen«, gab Asmus zu. Es hatte keinen Sinn zu leugnen, was sich die Arbeiter selber denken konnten.
»Der kam mir doch gleich so komisch vor!«
»Ja? Warum?«, fragte Asmus interessiert, während er sich das Wasser aus den tropfenden Haarspitzen wrang.
»Solche Fipse arbeiten doch nicht am Damm! Und er war wirklich bleich wie ’ne Wasserleiche. Ich meine, schon als er noch lebte. Wir auf der Baustelle sind doch alle stellenweise braungebrannt wie die Neger. Gucken Sie mal hier, Herr Asmus!« Der Arbeiter zog sein Hemd am Hals nach unten. »Wenn einer in der Sonne nie sein Hemd auszieht wie ich, weil ich so leicht Sonnenbrand kriege, dann ist das Gesicht braun, die Arme auch, aber die Brust bleibt weiß, und zwischen beiden ist eine scharfe Grenze. Der Ertrunkene war überall weiß. Der war ein Bürohengst. Wetten?«
Jep nickte heftig.
»Gut beobachtet, Kollege!«, fiel Asmus ein.
»Na, na, so weit müssen Sie nicht gehen, Herr Asmus. Ein Aal reicht schon.«
Asmus musste lachen. »Ja, ich besorge noch welche. Wahrscheinlich muss ich sie allmählich klauen.«
»Ach, die Polizei wird uns schon schützen!«
»Ja gut, wenn man es so sieht … Dann lasst uns zurückstaken. Ich habe erfahren, was ich wollte«, sagte Asmus sehr zufrieden.
Als sie auf das Motorrad stiegen, schwenkte Jep den Korb, in dem die Aale gelegen hatten. »Ich kann dir die Aale besorgen«, bot er an. »Mein Schwiegervater räuchert selbst.«
»Das ist ein Angebot, das ich gerne annehme!«, sagte Asmus überrascht.
»Na, der Befund ist doch schon Beweis genug, dass der Tote von der Baufirma stammte, jedenfalls vom Festland!«, sagte Sinkwitz hitzig. »Warum zweifeln Sie denn da, Asmus?«
»Ich habe keinerlei Beweis. Was wir bisher wissen, ist dürftig. Wo, zum Beispiel sind die Sachen des Toten, eine Tasche, ein Koffer?«
»Versenkt.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« Asmus schüttelte unzufrieden den Kopf. »Aber da er an Land getötet wurde, können wir das Meer lange danach absuchen.«
Sinkwitz verließ den Wachraum. Asmus nutzte die Gelegenheit, um den zurückgekehrten Matthiesen in das Rätsel mit dem Schuh einzuweisen.
Bereitwillig machte sich sein Kollege mit dem Schuh in einem Beutel sofort auf den Weg in die Stadt. Auf jeden Fall war eine solche Aufgabe interessanter als die schriftliche Berichterstattung über Böhrnsen, der nun von zwei Schlössern gesichert in den Gefängniszellen des Husumer Schlosses einsaß.
Als alle gegangen waren, trat wieder Ruhe ein. Asmus lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück, legte die Füße auf den Schreibtisch und dachte über die Frisur des Toten nach, die ja keine Frisur gewesen war, sondern eine wilde, ziellose Verunstaltung eines Haarschnitts, der vermutlich mal vorhanden gewesen war. Unter dem Aspekt eines Mordes musste man davon ausgehen, dass der Mörder die Haare derart zugerichtet hatte. Womöglich aus den gleichen Gründen wie die verunstaltenden Schnitte im Gesicht? Rache?
Oder aus einem sehr viel einfacheren Grund: Damit der Tote auf keinen Fall erkannt würde, selbst wenn er nach Wochen an die Oberfläche und an Land triebe. Das hieße, er war ein Sylter, auf Sylt bekannt, und Asmus hatte seine Vermutung mit Sinkwitz zu diskutieren.
Sinkwitz aber machte sich einstweilen rar. Dagegen kam Matthiesen zurück. Er rümpfte missmutig die Nase, während er den Schuh aus dem Beutel zog. »Niklas, solche Modelle gibt es in Deutschland nicht, sagt Jürgensen, der Schuster in der Paulstraße. Das ist ein amerikanisches Fabrikat. Schade.«
»Kopiert er solche Schuhe gelegentlich?«
»Nie. Es ist ein Fabrikschuh. Jürgensen hat weder die gleichen Materialien, noch könnte er einen Schuh so billig herstellen, weil er ja mit der Hand fertigt.«
»Ich dachte, der Schuh wäre teuer.«
»Für Deutsche, weil sie in Dollar zahlen müssen. Es ist ein Modeschuh von mittlerer Qualität, und so ist auch der Preis. Aber im deutschen Einheitsbrei von Schuhwerk ist er auffällig.«
»Andere Schuster wären derselben Meinung?«
»Soweit sie sich überhaupt mit den Schuhen der Badegäste aus eleganten, reichen Kreisen befassen, ja, sagt Jürgensen.«
»Gut, dann ist das wenigstens geklärt. Wahrscheinlich stammt der Schuh von einem kurz vor der Sturmflut abgereisten Gast. Trotzdem wundert mich, dass er so tadellos erhalten ist.«
»Vielleicht ist es ja ganz anders«, riet Matthiesen munter. »Möglicherweise ging er vor dem Sturm verloren, trieb an der Baustelle an und wurde von einem der Arbeiter aufgesammelt. Man kann immer hoffen, dass das zweite Exemplar von angetriebenen Schuhen auch noch ankommt. Ich habe einmal ein Paar Gummistiefel an unterschiedlichen Orten und mit zwei Tagen Abstand im Schlick aufgelesen. Sie passten mir sogar. Aber zurück zu unserem Fundschuh: In der Sturmflut wurden natürlich die Bauhütten zerschlagen und ihr Inhalt in alle Winde verstreut. Will sagen: von den Wellen irgendwo abgesetzt.«