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»Das siehst du richtig. Heute vielleicht noch ein bisschen mehr als sonst, weil es ja so aussieht, als hätte die Schutzpolizei Verstärkung gegen die Bevölkerung bekommen.«

In der Tat. Sie beide, groß und breitschultrig, waren nicht zu übersehen, fand Asmus.

»Ich habe dir ja von den Plünderungen erzählt«, fuhr Matthiesen fort. »Es gibt inzwischen Leute, die kein Auskommen mehr haben. Die Kirchengemeinde hat eine Suppenküche für sie eingerichtet, aber das reicht nicht aus. Sie brauchen auch Kleider, besonders für ihre Kinder, und anderes zum Leben. Manche entscheiden sich dann für den Diebstahl, jedenfalls diejenigen, die in den Luxuszeiten als Hilfskräfte zugewandert sind und hier keine Verwandten haben. Das ist die eine Gruppe. Eine andere sind die reichen Kurgäste, die uns unterstellen, dass wir Polizisten gemeinsame Sache mit den einheimischen Plünderern machen. Die dritte Gruppe sind die Geschäftsleute, die der Meinung sind, dass wir auf Weisung der preußischen Obrigkeit zu wenig unternehmen, um sie zu schützen. Schließlich die vierte Gruppe: die einheimischen Bauern. Sie halten es für ihr Recht, wie ihre Vorväter vor dreihundert Jahren alle Vorschriften des Gesetzes zu umgehen. Und wir vertreten das Gesetz.«

»Donnerwetter«, sagte Asmus anerkennend. »Immerhin weiß ich jetzt, was ich zu erwarten habe.«

»Nicht zu vergessen die unterschiedliche politische Einstellung unserer Vorgesetzten, die auch nicht von hier sind. Sinkwitz’ Familie stammt ursprünglich aus Sachsen, wie man manchmal noch hören kann, und Jung aus Hessen.«

»Ja. Sehr kameradschaftlich von dir, dass du mich aufgeklärt hast«, sagte Asmus bedrückt. »Friedlich scheint es hier ja nicht zuzugehen. Ohne Kenntnis von den Umständen würde ich vielleicht im nächsten Monat schon entlassen werden.«

»Genau davor hatte ich Angst. Wir hatten im Januar schon einen Neuzugang. Hierher versetzt mit gutem Ruf, und im März wurde er als republikfeindlich entlassen.«

»Und wer hat das veranlasst?«

»Wer wohl? HWM Sinkwitz.«

Asmus atmete tief durch und sah Lorns in die Augen. »Und deshalb hast du das Risiko auf dich geladen, mich zu warnen, obwohl du mich nicht kennst? Ich hätte dich dafür in die Pfanne hauen können, wie man so sagt. Stell dir vor, ich wäre wie Jung.«

»Aber das bist du nicht. Einer wie du nicht. Ich bin froh, dass ich dich gewarnt habe.«

»Ich kann mir denken, dass es dich Mut gekostet hat. Ich wünschte, ich hätte mehr solche Mitarbeiter wie dich in meiner Gruppe gehabt. Meine Gruppe war gut. Bis auf das eine faule Ei.«

Lorns errötete vor Freude.

KAPITEL 3

Lorns Matthiesen war genau der Richtige, um Auskunft über motorisierte Fahrzeuge zu bekommen. Zwei Tage später war Asmus schon Besitzer eines Leichtmotorrads von DKW, mit zweieinhalb PS leistungsschwach, aber vier oder mehr PS hatte er sich nicht leisten können. Das letzte Stück durch die Dünen schob er es ohnehin. Trotzdem war er stolz darauf. Abstellen durfte er es in einem Verschlag der Munkmarscher Werft, der erst mit Tagesanbruch in Anspruch genommen wurde.

Der Werftbesitzer, Hans Christian Bahnsen, war gleich am Abend nach Asmus’ Ankunft mit ihm ins Gespräch gekommen, das ergab sich über den im Wattenmeer ungewöhnlichen Bootstyp eines Kosterbootes von allein. Sie waren einander auf Anhieb sympathisch.

Bahnsen war über sechzig Jahre alt. Sein Sohn, der zum Schiffszimmermann ausgebildet worden war, war im Jahr davor auf See geblieben. Der hätte die Werft übernehmen sollen, nun war der Werftgründer allein zurückgeblieben, und er nahm die selbstauferlegte Pflicht zum Weiterführen des Betriebes auf sich.

Abends saßen sie zusammen auf der Bank am Ufer und blickten auf die Wellen, die im Werftgelände neben dem Hafen mit sanftem Plätschern aufliefen. Austernfischer und andere Watvögel stakten im flachen Wasser und kümmerten sich nicht um die Beobachter. Hans Christian schmökte, und Asmus erzählte. Von der beängstigenden Politik in der Republik, von den Reedereien seiner Brüder, mit denen es unter der sozialistischen Herrschaft zu Ende ging, und seiner eigenen ungerechten Versetzung.

»Mit einer solchen persönlichen Vorgeschichte solltest du auch bei der hiesigen Polizei vorsichtig sein«, warnte Hans Christian ihn unvermutet. »Ich halte Bestechlichkeit oder Unterschleif oder Ähnliches in dieser Dienststelle für möglich. Manche Handlungen bleiben uns einfachen Leuten unerklärlich. Kerle, die wir nicht kennen, aber die ganz eindeutig eines Verbrechens überführt werden könnten, werden laufen gelassen. Arme geborene Sylter Hunde, von denen jeder weiß, dass sie harmlos sind, werden eingebuchtet. Wahrscheinlich hat die Wache ein zahlenmäßiges Soll an Erfolgen zu erfüllen. Zwei Täter im Monat oder so ähnlich. Aber anscheinend immer die falschen.«

Diese Ungereimtheiten wunderten Asmus inzwischen nicht mehr, und er fragte sich, ob auch der angebliche Landstreicher zu dieser Art Aufklärung zu zählen war. »Als ich vor einigen Tagen auf Sylt ankam, wurde ich ganz freundlich in Empfang genommen. Doch als dieser Mart vom Fährhaus erfuhr, dass ich der neue Polizist bin, kannte er plötzlich meinen Namen, und auf einmal war ich der Feind. Ich verstand zuerst nicht, was los war. Aber dann schnitt mich einer seiner Kollegen im Hafen auf die gleiche Art. Jemand muss über mich Gerüchte verbreitet haben.«

»Die Polizei ist eigentlich selten hier. Wir Munkmarscher sind harmlos, aus uns lässt sich nicht genug Honig saugen.«

»Aber?«, fragte Asmus mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Ja, in den letzten Tagen ist dieser Oberwachtmeister Jung mehrmals hier im Hafen umhergeschlendert. Er war auch bei Mart und Gustav.«

»Und das bedeutet?«

»Ich schätze, der Postmeister Gustav von Westerland und der Hafenmeister Mart müssen Anweisungen erhalten haben. Über Jung von Sinkwitz.«

»Zu welchem Zweck?«

Der Werftbesitzer zog die Schultern hoch. »Das weiß ich wirklich nicht, Asmus. Es scheint, dass du angekündigt wurdest und sie dir Sylt madig machen sollen. Kannst du dir darauf einen Reim machen? Oder willst du dich gleich versetzen lassen?«

»Nein, heutzutage geht das nicht mehr. Jeder, der eine Stelle hat, ist dafür dankbar und seinen Vorgesetzten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Dass ich störe, ist ja eine bemerkenswerte Information. Jedenfalls Grund genug zu bleiben. Vielleicht ist es die Angst vor Konkurrenz.«

»Wenn es nur das ist … Dieser Jung ist eine zwielichtige Gestalt, hört man. Ich selber hatte mit ihm noch keine Händel.«

»Ich danke dir für deine Offenheit«, sagte Asmus und erhob sich sorgenvoll von der Bank. Die Notsituation veränderte die Menschen. Es war überall das Gleiche. Und was ihn selber betraf, war er kaum den neuen politischen Kräften in Rostock entflohen, um es womöglich mit noch schwierigeren Umständen zu tun zu bekommen.

Als er wenig später von der Mole aus angelte, im Versuch, einen Hornhecht zu erwischen, dachte er darüber nach, was der Werftbesitzer ihm zu verstehen gegeben hatte. Die ganze Wahrheit war es nicht, da steckte noch mehr dahinter. Während er seinen ersten Fisch hochzog, beschloss er, äußerst vorsichtig zu sein. Hier liefen Dinge ab, die sich als Falle erweisen konnten. Und dass man ihn in der Sylter Wache nicht haben wollte, war ihm schon klar.

Da der gesamten Wache nur ein Dienstmotorrad zur Verfügung stand, wurde das neue von Asmus in den Dienst einbezogen. OWM Jung sorgte umgehend dafür, und Asmus konnte kaum nein sagen, bedang sich aber aus, es allein zu fahren.

Versammelt waren im Hof Jung, Matthiesen und Thamsen, die das Fahrzeug aufrichtig oder mit falschem Lächeln bewunderten. Es ließ Asmus gleichgültig, denn damit hatte er gerechnet. Aber nicht damit, dass plötzlich ganz andere Animositäten zu Tage traten, als Thamsen eine Bemerkung zu Matthiesen in einer Sprache machte, die Asmus nicht verstand.