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»Auch das wäre möglich«, gab Asmus zu.

»Aber weißt du was, Niklas? Ich hatte trotz allem das Gefühl, dass Jürgensen sich nicht ganz sicher war. Das ist natürlich keine polizeiliche Dimension, und ich würde Sinkwitz nie damit kommen … Was hältst du davon?«

»Man nennt es Gespür, und das wird dich mit längerer Erfahrung zu einem guten Polizisten machen.«

»Wirklich?« Matthiesen errötete vor Freude.

Asmus schmunzelte in sich hinein. Wenigstens war er nicht der Einzige, der unter Gefühlsaufwallungen litt. Als er sich seinem Schreibtisch zuwandte, sah er, dass Jep sich verlegen davonstahl. Er musste die ganze Zeit zugehört haben. Ihn freute es, dass Jep endlich Interesse an seinem Beruf aufbrachte.

Sinkwitz tauchte am Spätnachmittag auf, zeigte aber nicht das geringste Interesse an Asmus’ Erkenntnissen. »Lassen Sie mich doch mit Ihrem Toten in Ruhe«, fauchte er. »Der ist nicht von hier. Ich habe ganz andere Sorgen. Diese von den Reichen gemachte Inflation macht uns kaputt! Scheißkapitalisten!«

»Gewiss«, bestätigte Asmus. »Aber deswegen setzen wir uns doch nicht hin, um Däumchen zu drehen. Sollten Sie keine Lust haben, das Tagesgeschäft zu betreiben, HWM, mache ich es mit Matthiesen.«

»Machen Sie, was Sie wollen, Streber, Sie! Sie sind ja nur auf meinen Posten aus, das weiß ich!«

Daher wehte also der Wind! Allerdings hatte er Sinkwitz provoziert. Abgesehen davon, dass ein Aufstieg vom degradierten und strafversetzten Wachtmeister zum Hauptwachtmeister aus formalen Gründen unmöglich war, wäre der Versuch, Sinkwitz zu beruhigen, sowieso sinnlos gewesen.

Sinkwitz verschwand, und Asmus wandte sich wieder seinem Fall zu, was zunächst nur bedeutete, dass er die Füße auf dem Tisch deponierte. Aber schnell wanderten seine Gedanken wieder zu der seltsamen Frisur des Toten. Sofern man in Betracht zog, dass der Mann trotz der Arbeiterkleidung gar kein Arbeiter gewesen war, war er verkleidet gewesen, um seine wahre Natur zu verschleiern. Aber hatte er dies selber gemacht? Und warum sah er aus wie ein Hahn, der nur halb gerupft worden war? Oder hatte sein Mörder ihn so verunstaltet?

An dieser Stelle kam Asmus nicht weiter, so dass er sich den leidigen schriftlichen Arbeiten zuwandte, die auch erledigt werden mussten und stundenlang dauerten.

Höchst überrascht war er, als Sinkwitz so heftig in sein Zimmer stürmte, dass die Tür gegen die Wand prallte. »Wenn die Leute uns wenigstens von Nebensächlichkeiten verschonen würden«, murrte er laut, »aber nein, ein völlig überflüssiger Diebstahl wurde gerade aus Munkmarsch gemeldet. Den übernehmen Sie, Asmus, machen Sie hier etwas früher Schluss.«

»Worum handelt es sich denn?«

»Mart vom Fährhaus vermisst einen Postsack. Lächerlich!«

»Ja«, sagte Asmus und schloss erleichtert die Akten. Im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten war er nicht der Meinung, dass ein gestohlener Postsack nebensächlich war.

»Vielleicht hat er ihn ja nur verlegt. Mart ist manchmal etwas schusselig.«

»Ich werde es feststellen. Bis morgen.«

Mart saß auf der Bank vor dem Fährhaus und ließ sich ein Bier schmecken. »Da sind Sie ja schon, Herr Asmus. Moin auch. Setzen Sie sich!«

»Meinetwegen – während Sie mir erzählen, was passiert ist.«

»Na ja, wie ich schon der Wache mitteilte: Ein Postsack fehlt, der heute angekommen ist und morgen früh mit dem übrigen Frachtgut nach Westerland sollte. War viel drin, deswegen …« Dem Mann war unbehaglich.

»Wieso ist er denn nicht gleich in den Zug geladen worden?«

»Passiert normalerweise nicht«, beteuerte Mart. »Aber diesmal hatten wir so viel Frachtgut, und die Gäste wollen doch schnell nach Westerland, da haben wir Rücksicht zu nehmen …«

Na ja, man konnte es verstehen. Ausgeliefert wurde die Post sowieso erst am nächsten Tag. »Wird öfter Post gestohlen?«

»Ein Mal vor einigen Wochen«, gab Mart zu. »Damals war es nur ein Säckchen, bestimmt für das Festland, deshalb habe ich es nur an die Poststelle gemeldet.«

»Das Frachtgut befindet sich doch wie immer im Schuppen, und der ist verschlossen. War er aufgebrochen?«

»Nein, nein«, sagte Mart entrüstet. »Das Schloss war aufgeschlossen.«

»Haben Sie es denn nicht ausgewechselt? Derjenige, der Böhrnsen zur Flucht verhalf, besaß einen Nachschlüssel.«

»Böhrnsen ist in Husum eingelocht, erzählt man sich. Es gibt doch keinen Grund mehr, unseren Schuppen zu öffnen!«

Mart, Mart!, hätte Asmus am liebsten ausgerufen. Offensichtlich gab es einen guten Grund! Womöglich war sogar Böhrnsen nur freigelassen worden, weil jemand die Postsäcke vor Abfahrt der Fähre kontrollieren wollte, wobei der Gefangene im Wege war. Diese Vermutung deckte sich wunderbar mit Böhrnsens Bericht über seinen anonym gebliebenen Retter. »Dann zeigen Sie mir jetzt einmal den Schuppen.«

»Würde gerne noch austrinken, bevor das Bier schal ist, Herr Wachtmeister. So teuer, wie es ist.«

Asmus nickte.

Nach einer Weile stellte Mart die Flasche auf die Bank, stand auf und reckte sich, bevor er sich langsam auf die Socken machte.

Der Frachtschuppen war auch jetzt offen. Das Schloss hing unversehrt hinter der Tür an dem Nagel, an dem neulich die Polizeibanderole gehangen hatte. »Sehr ordentlich, dieser Dieb.«

»Nicht wahr, Herr Asmus?«, stimmte Mart froh zu und zeigte auf ein Regal. »Dort stelle ich immer den Postsack ab.«

»Ist der jemals verschlossen oder mit einem Siegel versehen?«

»Nö. Warum auch?«

Was bedeutete, dass derjenige, der den Nachschlüssel besaß, die zum Festland ausgehende Post unbemerkt durchsehen konnte, wann immer er wollte. Oder den Auftrag dazu erhielt. »Ist schon früher ein vom Festland eingetroffener Postsack gestohlen worden?«

»Das weiß ich nicht so genau«, antwortete Mart vorsichtig. »Die kommen meistens mit der Frühfähre und gehen dann mit dem Zug gleich weiter nach Westerland. Ganz selten kommt auch mal einer abends …«

»Ah so. Sie müssen unbedingt der Fährgesellschaft Mitteilung machen, Mart«, befahl Asmus. »Und die müssen Ihnen ein neues, gutes Schloss beschaffen, so schnell es geht.«

»Ja.« Mart wirkte sehr geknickt. »Glauben Sie, dass die mich entlassen?«

»Vermutlich nicht«, antwortete Asmus und hatte nicht das Herz, ihm den wahren Grund für seine Zuversicht mitzuteilen: Wenn der Damm fertig war, würde der Fährbetrieb ohnehin eingestellt werden.

Es wurde spät, bis Asmus mit seinen Notizen fertig war und Feierabend machte. Endlich fand er Muße, die beiden Eier zu essen. Und trotzdem kreisten seine Gedanken um Bonde Sibbersens Bemerkung, dass er Briefe vermisse. Gab es möglicherweise jemanden, der verhindern wollte, dass Cord Kontakt mit seinem Vater hielt?

Er musste mit Bonde Sibbersen sprechen!

KAPITEL 20

»Sie haben doch wirklich so viel Unruhe wegen dieses Toten verbreitet, dass Bauer von der DNVP heute Nachmittag auf die Insel kommt und Sie sprechen will«, giftete Sinkwitz am nächsten Morgen.

»Davon weiß ich nichts, Herr Hauptwachtmeister.«

»Sie machen sich nie die Folgen Ihrer Handlungsweisen klar!« Sinkwitz stiefelte davon, aufgebläht von seiner eigenen Wichtigkeit.

Asmus zuckte die Schultern. Was immer er machte, Sinkwitz fand einen Grund zum Nörgeln. Anhaltende Erfolglosigkeit wäre vermutlich das einzige Mittel gewesen, dem zu entgehen. Aber das brachte er nicht fertig. Er stand im Dienst der Öffentlichkeit, Seilschaften wie auf einem Kriegsschiff lehnte er ab.

Matthiesen kam. »Niklas, wenn nichts Dringendes anliegt, würde ich gerne einen alten Mann aufsuchen, einen Schuster, der schon lange nicht mehr arbeitet, aber immer noch in seinem Beruf aufgeht. Er kam vor vielen Jahren aus Hamburg. Ich weiß von ihm, dass er täglich im Kurhaus ist, um dort die Modejournale zu studieren. Er gilt als etwas seltsam, das gebe ich zu … Ich traue dem Urteil von Jürgensen nicht.«