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»Um Gottes willen! Hat er ein Verbrechen begangen?« Sibbersen streckte Asmus die gefalteten Hände entgegen.

»Nichts dergleichen«, sagte Asmus rasch. »Bitte regen Sie sich nicht auf! Ich muss ausschließen, dass Ihr Cord mit einem anderen Fall zu tun hat.«

»Ach so. Er hat Schuhgröße neununddreißig.«

Im Gegensatz zu Sibbersen war Asmus keineswegs beruhigt, aber er ließ es sich nicht anmerken. Leider wäre nur die Größe einundvierzig und darüber geeignet gewesen, Cords Verschwinden und den Mordfall gänzlich unabhängig voneinander zu betrachten.

Nun kam der unangenehmste Teil. Asmus legte den Schuh auf den Kaufmannstisch. »Kennen Sie diesen Schuh?«

Sibbersen holte eine Brille hinter der Kasse hervor, rückte sie auf seiner Nase zurecht und nahm den Schuh zur Hand, um ihn von allen Seiten zu mustern. Dann schüttelte der den Kopf. »Noch nie gesehen. Cord gehört er nicht.«

Asmus nahm den Schuh wieder an sich. Er war nur halbwegs überzeugt. »Dann ist das geklärt. Schreiben Sie den Freunden von Cord heute noch, erklären Sie das Verschwinden von Briefen und erbitten Sie die Wiederholung des Wichtigsten, das man Ihnen bisher über die Suche nach Cord mitgeteilt hat. Sobald Sie die Antwort erhalten, benachrichtigen Sie mich bitte.«

»Ja.«

Bonde Sibbersen wirkte sehr niedergeschlagen, als Asmus seinen Laden verließ. Vielleicht befürchtete auch er das Schlimmste.

Als Asmus in der Wache zurück war, hatte Sinkwitz schon Feierabend gemacht, und Jung stand auf dem Sprung, das Gleiche zu tun.

Asmus erledigte seine schriftlichen Arbeiten als Erstes, aber sein Blick ging immer wieder zu den Journalen hin, als ob er sich vergewissern müsste, dass die Nummern fünf und sechs noch vorhanden waren.

Endlich war nicht mehr zu befürchten, dass einer der Kollegen zurückkäme. Fast andächtig schlug er Band Nummer fünf auf und hielt den Atem an in der Furcht, dass womöglich das Blatt, das er suchte, herausgerissen war.

Aber es fehlte nichts. Für den zwanzigsten Mai war vermerkt: »Jörn Frees, wohnhaft in Keitum-Tipkenhügel, erstattet Anzeige gegen Wachtmeister Niklas Asmus wegen Diebstahls von Möweneiern an der Kreuz-Wehle in der Runs-Marsch.«

Frees also war es gewesen! Aber warum? Doch nicht aus eigenem Antrieb! Wer benutzte diesen Mann, von dem immer noch nicht klar war, ob er tatsächlich dumm war oder eine gewisse Schläue für zwielichtige Unternehmungen einsetzte? War es Sinkwitz, oder diente dieser wiederum auch einem Herrn?

Jedenfalls wurde es dringend Zeit, Jörn Frees auf den Zahn zu fühlen. Danach fiel Asmus noch etwas anderes ein. Der Landstreicher ohne Namen musste ja hier irgendwo vermerkt sein.

Auch ihn fand er in Band 5. Der Tote hatte im nördlichen Abschnitt der Strandkörbe von Christian Boysen/ Westerland gelegen, tot, unauffällig, abgesehen vom Sand im Mund. Der Tod dieses älteren Mannes ohne Verwandtschaft war als natürlich angesehen worden. Seinen Leichnam hatte man eingeäschert.

Das Geld, das er bei sich gehabt hatte, wurde nicht erwähnt. Der Däne, der den Toten gemeldet hatte, hätte nichts darüber erzählt, wenn er es gestohlen hätte. War Boysen darüber informiert gewesen?

Dies war ein typischer Fall eines Abschlusses, dessen Ursache nicht interessiert hatte. Gleichgültigkeit auf ganzer Linie! Erbost schlug Asmus das Journal zu und verließ die Wache.

Am nächsten Morgen wurde Asmus wieder durch die Geräusche geweckt, die Frees’ schwere Muscheleimer machten. Asmus sprang in seinen Trainingsanzug und bat ihn, wegen einer Aussage auf die Wache zu kommen.

Frees machte große Augen wie ein erstauntes Kind, widersprach aber nicht und versprach, am Nachmittag zu erscheinen.

Irgendwann trödelte er herein und sah sich neugierig um, dann wurde er von Matthiesen in das Besprechungszimmer zu Asmus geschickt.

Den Hinweis auf die Anzeige gegen Asmus bestätigte er bereitwillig mit heftigem Nicken. »Das gehört sich so, Herr Asmus, wenn man jemanden beim Klauen erwischt. Seitdem wir den Naturschutz haben …«

Er konnte tatsächlich zusammenhängend sprechen. Und Asmus hatte sich zu verteidigen. Das Peinliche war, dass er keine Ausrede besaß, die er selber als aufrichtig hätte ansehen können. »Na ja, es waren Brandganseier, und im Naturschutzgebiet war es auch nicht.«

»Egal! Außerdem hat Herr Sinkwitz mir gesagt, dass ich auf alles ein bisschen aufpassen soll.«

»Haben Sie mir nachspioniert?«

»Beobachtet. Nur beobachtet.«

»Und Anzeige erstattet.«

Frees schob die Lippen trotzig vor und nickte. »Ich bin ein guter Deutscher.«

»Dann eine andere Frage. Ich habe Sie schon oft im Hafen gesehen, bei Mart auf der Bank, an den Booten, am Schuppen …«

»Ich tue nichts Unrechtes!«

»Und auch im Schuppen«, setzte Asmus fort, obwohl dies eine reine Vermutung war.

»Sicher. Wenn es mit der Tide nicht anders passt, muss ich meinen Eimer mit Blaumuscheln doch in den Schuppen stellen, damit Mart ihn sieht und auf die Fähre bringt. Manchmal bin ich frühmorgens unterwegs, sobald es hell ist. Vier Uhr oder fünf …«

»Aber Mart weiß nichts von einem weiteren Schlüssel«, wandte Asmus in seiner Überraschung ein.

»Ich habe ihn jedenfalls bekommen.«

»Von wem?«

»Weiß nicht. Eines Tages lag er auf meinem Küchentisch.«

»Gehörte dazu auch ein Brief?«

»Ja, der lag daneben.«

»Mit welchem Inhalt?«

»Ich soll immer mal in den Postsäcken stöbern, und wenn ich Post von oder an die Sibbersens finde, herausnehmen und abliefern.«

Asmus stockte einen Augenblick der Atem. »Wem?«

»Keine Ahnung«, beteuerte Frees aufrichtig. »Einem Strandkorb. Ich ziehe das rechte Fußbänkchen heraus und stopfe die Post in einen kleinen Briefkasten, der unter dem Sitz angebracht ist.«

»Es handelt sich also um einen bestimmten Strandkorb?«

»Natürlich«, sagte Frees vorwurfsvoll, »wie sollte ich denn sonst zu meiner Bezahlung kommen?«

»Ach so, da haben Sie natürlich recht. Und wem gehört er?«

»Den Boysens in Westerland. Die vermieten Strandkörbe. Es ist Strandkorb Nr. 175.«

Asmus musste an sich halten, um nicht laut zu lachen. Den Auftraggeber konnte man fast schon als Spaßvogel bezeichnen, wenn es nicht so ernst gewesen wäre.

»Haben Sie Herrn Böhrnsen freigelassen?«

»Herr Asmus, Ihnen muss man aber alles genau erklären, damit Sie es begreifen: Anders kam ich doch nicht ungesehen an den Postsack. Außerdem hatte Herr Böhrnsen nicht verdient, dort eingesperrt zu sein. Er ist ein netter Mann, wir schwatzen häufig miteinander, wenn er seine Enkelkinder besucht. Als er aus dem Hafen gepullt war, bin ich sofort in den Schuppen rein und habe die Briefe durchgesehen. Ich kann gut lesen!«

»Ja, das glaube ich«, stimmte Asmus mit abwesenden Gedanken zu und entließ Jörn Frees. Einige Minuten später erst fiel ihm ein, wie naheliegend es war, dass Frees auch der Attentäter in der Werft gewesen war.

KAPITEL 21

Asmus nahm Matthiesen zum größten Strandkorbvermieter Westerlands, Christian Boysen, mit, da die beiden sich natürlich kannten. Der ganze Strand unterhalb des Konzertplatzes war mit Strandkörben belegt, und diese setzten sich bis zum Burgenstrand im Süden und jenseits der Kurpromenade im Norden fort.

Lorns machte Asmus mit Boysen bekannt, einem blonden Hünen von Mann, geeignet, die Strandkörbe im Frühjahr auf dem Buckel zum Strand zu schleppen und im Herbst wieder zurück ins Winterquartier.

»Wir suchen nach dem Mieter eines bestimmten Strandkorbs«, sagte Matthiesen. »Es könnte einer von deinen sein, und es muss ein Dauermieter sein.«