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Boysen nickte bereitwillig. »Könnt ihr haben, wird nicht lange dauern, ihn in der Liste zu suchen. Kommt mit.« Er lotste sie zu einer hölzernen Bude, fast nur ein Unterstand, der ein wenig Wind- und Regenschutz bot. Während er mehrere Bögen mit Namen aus einem Eimer kramte und sich auf einen Klappstuhl setzte, nahmen die Polizisten im Sand Platz.

Asmus nannte Boysen die Strandkorbnummer. »Haben Sie wirklich so viele Strandkörbe, dass Sie schon bei 175 angekommen sind?«, erkundigte er sich.

Boysen grinste. »Nein, bei weitem nicht. Aber wenn ein alter Korb ausgemustert wird, verwenden wir seine Nummer nicht mehr, sondern geben dem Ersatz die nächste laufende. So behalten wir den Überblick über das Alter der Körbe. Deswegen kann ich Ihnen auch sagen, dass Nummer 175 ein moderner mit ausziehbarem Fußbänkchen ist.«

»Ein praktisches Verfahren.«

Danach schwiegen sie alle. Der Strand war an diesem Septembertag fast leer. Niemand badete. Ein Mann lief mit aufgekrempelten Hosenbeinen an der Wasserlinie entlang, begleitet von einem langhaarigen nassen Hund. Aus einigen Strandkörben waren die Fußbänke herausgezogen, und Hosenbeine sowie lange Röcke bewiesen, dass sie besetzt waren.

»Hier hab ich den Mieter schon«, verkündete Boysen.

»Und wer ist es?«

»Jörn Frees, Keitum.«

Mist, dachte Asmus, während Matthiesen grinste und sich auf die Schenkel schlug.

»Hat er ihn denn benutzt?«

»Er selber natürlich nicht. Aber er schickt oft Gäste – wahrscheinlich hat er ein Abkommen mit einem Gästehaus –, und da sie den Schlüssel zum Gatter haben, habe ich in der Saison mit ihnen gar nichts zu tun.«

»Wo steht der Strandkorb eigentlich?«, erkundigte sich Asmus.

»In der letzten Reihe nach Norden.«

»Ja, gut, danke, das war dann alles«, meinte Asmus, sprang auf und mahnte Matthiesen mit einem Schulterklopfen mitzukommen. Die nördlichsten Strandkörbe des Vermieters Boysen, wo der Leichnam des angeblichen Landstreichers gelegen hatte. Zweifellos weckte diese Beschreibung den Verdacht eines Zusammenhangs.

»Gehen wir Nr. 175 besichtigen?«

»Nein, das machen wir nicht. Auch wenn Jörn Frees seinem Auftraggeber mitgeteilt hätte, dass Briefe der Sibbersens nicht mehr zu erwarten sind, könnten weitere Botschaften gewechselt werden. Wer weiß, was da läuft? Lass uns einfach die Promenade entlangschlendern, dann sehen wir 175 von oben.«

»Schlaues Kerlchen, dieser Auftraggeber.«

»Ja, eben. Darum halte ich es auch für möglich, dass da noch einiges andere dahinter steckt. Für pure Neugier auf ein paar Briefe ist der Aufwand zu groß«, stellte Asmus grimmig fest. Hinter Frees taten sich ja Abgründe auf, sobald man ihn unter die Lupe nahm.

Sie bummelten nach Norden, vorbei am Kurhaus, unter dessen ausgerollter Markise etliche Gäste an den Tischen saßen und Kaffee tranken. Hinter dem Musikpavillon blieben sie stehen, um gelangweilt über den Strand zu schauen. Etwas nördlich davon stand Nr. 175, der Promenadenmauer am nächsten und über eine Treppe zur höher gelegenen Promenade schnell zu erreichen.

»Wenn Jörn Frees hier Briefe deponiert und Geld holt, wird jeder, den es überhaupt kümmert, davon ausgehen, dass er eine Reparatur ausführt. Er braucht ja nur einen Handwerkskasten mit Werkzeug neben sich aufzustellen«, sinnierte Asmus. »Ein erstaunlich einfaches System. Und je einfacher, desto erfolgreicher.«

»Frees kann sogar am Tag kommen. Oder muss am Tag kommen, damit er nicht auffällt. Wahrscheinlich macht es der Auftraggeber genauso.«

»Mit Sicherheit«, bestätigte Asmus. »Das ist deshalb besonders günstig, weil du ab jetzt als Gast Wache schieben wirst. In dunkler Jacke, weißem Hemd und Fliege. Nimm eine kurze Pfeife mit und ein Buch und denk auch an eine Wolldecke, die du dir über die Knie legen kannst.«

»Dann«, sagte Matthiesen lang gedehnt und ohne Überraschung zu zeigen, während er über die Strandkörbe spähte, »nehme ich am besten Nr. 197. Den kann ich so drehen, dass ich 175 unauffällig im Auge behalte.«

»Gut, dann verschwinden wir jetzt. Wache in Uniform zu halten hat keinen Sinn. Du beeilst dich nach Hause zum Umziehen, und ich kläre mit Boysen, dass Korb 197 ab sofort vermietet ist.«

Asmus wanderte zurück und fand den Vermieter Boysen noch in dem Hüttchen vor, in dem er seine Buchhaltung aufbewahrte. »Herr Boysen«, fragte er, »wo wurde eigentlich die Leiche dieses Landstreichers gefunden?«

»Der Däne? Neben Nr. 197.«

»O je, ich hoffe, das hat keine schlechte Vorbedeutung. Ich wollte Nr. 197 gerne mieten. Ich, äh, ich sehe hoffentlich meiner Verlobung entgegen. Ist noch geheim …«

»Gratuliere!« Boysen grinste breit. »In meinen Strandkörben wurde schon manches Kind auf Kiel gelegt.«

»Soweit ist es noch nicht.«

»Aber den Strandkorb dafür haben Sie schon mal. Ist notiert.«

Niklas Asmus hatte ein ganz schlechtes Gewissen Ose gegenüber, weil er sich in letzter Zeit so wenig meldete. Er konnte nur hoffen, dass sie es verstand.

Danach fraßen ihn die Ereignisse wegen ihrer schnellen Abfolge auf. Matthiesen kam auf Umwegen abgehetzt im Büro an, wo er Asmus in aller Hast berichtete.

»Im Strandkorb 175 war ein Gast«, sprudelte er heraus. »Ganz junger Mann mit Spazierstock, weißer Hose, weißem Binder. Nachdem er sich eine Weile den Anschein gegeben hatte zu dösen, in Wahrheit aber die Umgebung beobachtet hat, zog er das Fußbänkchen auf und machte sich im Innenraum zu schaffen. Von wegen Handwerker! Da haben wir uns wohl geirrt. Es ging sehr schnell. Wetten, er hat dort etwas deponiert!«

»Und du?«, fragte Asmus.

»Ich habe auch gedöst. Der Länge nach im Strandkorb, die Knie hochgezogen, die Wolldecke bis zur Nase, den Arm lang herabhängend und die Pfeife im Sand.«

Asmus lächelte. »Und das Buch?«

»Aufgeschlagen auf meinem Bauch. Der Gast ging danach sofort. Ich muss auch wieder los, Asmus. Könnte sein, dass sie Zeiten verabredet haben und Frees schon unterwegs ist.«

»Ja! Viel Glück!«

Am späten Nachmittag saß Asmus immer noch am Schreibtisch, war aber zu unruhig, um zu arbeiten. Zum Glück war eigentlich nichts los außer der Anzeige wegen einer eingeschlagenen Fensterscheibe. Allerdings war der Täter unbekannt.

Endlich polterte Lorns Matthiesen herein. »Vollen Erfolg gehabt«, meldete er. »Jörn Frees kam tatsächlich. Aber etwas beschränkt muss er schon sein, denke ich, wenn er die Verbindung aufrechthält, obwohl er sie bei uns schon zu Protokoll gegeben hat.«

»Wahrscheinlich geht es ihm ums Geld. Seinen Auftraggeber wird er nicht informiert haben, dass Post von Sibbersen nicht mehr eintreffen wird und dass wir Bescheid wissen, erst recht nicht.«

»Könnte sein.«

»Möglicherweise handelt es sich also um weitere Aufträge. Ich werde morgen bei der Observation dabei sein«, sagte Asmus entschlossen. »Die ganze Sache hat durch die Beteiligung von auswärtigen Gaunern eine andere Dimension bekommen. Abgesehen davon, ist es in diesem Gemäuer schrecklich langweilig.«

»Und wie? Als Schupo?«

»Nein, natürlich nicht!«

Am Abend knatterte Asmus auf dem Motorrad nach Keitum. Ose öffnete die Tür. Ihr Blick wanderte verwundert zu seinem Arm, über den er seine einzige sehr helle Hose gehängt hatte, die stadttauglich war.

»Soll sie geplättet werden?«, fragte sie, und Asmus war erleichtert, dass sie ihn nicht hinauswarf.

»Das mache ich schon«, warf Oses Mutter ein, die in diesem Moment in der Diele erschien, und nahm Asmus die Hose ab. »Geht ihr nur in den Garten und betrachtet die wachsenden Bohnen. Das haben dein Vater und ich früher auch gemacht, Ose.«

Asmus brach in Lachen aus und reichte der etwas genierten Ose den Arm. »An dezenten Hinweisen fehlt es hier ja nicht.«

»Nein, nein, wir sind alle immer sehr direkt«, meinte Ose und kicherte leise. »Wofür brauchst du die Hose?«