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»Sprich weiter«, sagte Fidelma. »Was geschah dann?«

»Als ihre Zeit kam, gebar Tomnat Moen und starb dabei. Teafa war bei ihr und beschloß, das Baby zu sich zu nehmen und aufzuziehen. Sie wollte es als Findelkind ausgeben. Erst später merkte sie, daß das Kind behindert war, aber sie behielt es trotzdem, denn das hatte sie ihrer toten Schwester geschworen.«

Alle Blicke richteten sich auf Moen, dessen Gesicht sich kummervoll verzog, als Gadra ihm übersetzte, was er gesagt hatte.

Fidelma schaute sich verächtlich in der Halle um.

»Ihr seid hier eine bäuerliche Gemeinschaft. Bauern! Ihr wißt doch Bescheid über Inzucht. Ihr wißt, daß die Nachkommen eng verwandter Tiere meist bestimmte Verhaltensweisen oder Eigenschaften der Elterntiere verstärkt aufweisen. Das kann günstige Auswirkungen haben, zum Beispiel zu höherer Intelligenz führen, aber es kann auch Behinderungen wie Taubheit, Blindheit oder die Unfähigkeit zu sprechen nach sich ziehen.«

Cron unterbrach sie mit Abscheu in der Stimme.

»Willst du damit sagen, daß wir Moen annehmen müssen als den Sohn meines Vaters . seines eigenen Onkels? Daß er mein . mein Halbbruder ist?«

Sie erschauerte bei diesen Worten.

»Tomnat starb und hinterließ ein lebendes Kind«, bestätigte Fidelma. »Wie wir alle wissen, gab Teafa Moen als Findelkind aus, das sie auf der Jagd im Wald gefunden hätte. Anfangs fiel es nicht auf, daß das Kind anders war als andere Kinder. Doch dann merkte Tea-fa, daß mit dem Kind etwas nicht stimmte. Sie ließ Gadra holen, und als weiser Mann und Heiler erkannte Gadra das Problem. Er konnte die durch den Inzest hervorgerufenen Behinderungen nicht beheben, aber er lehrte Teafa eine Methode, sich mit Moen zu verständigen. Von seinen körperlichen Mängeln abgesehen, war das Kind hochintelligent und lernfähig. Teafa zog einen begabten Jungen groß.«

»Meinst du, daß Eber nicht einmal wußte, daß Moen sein Sohn war?« fragte Agdae.

»Nach allem, was man hört, war er freundlich zu dem Jungen«, erwiderte Fidelma. »Während alle Leute hier Eber haßten, tat Moen das nicht.«

Sie wandte sich wieder Gadra zu.

»Frage Moen, ob er wußte, daß Eber sein Vater war.«

Gadra schüttelte den Kopf.

»Das brauche ich ihn nicht zu fragen. Er hat viel gelitten. Ich kann dir aber sagen, daß Teafa das dem Jungen nie verraten hat. Es geschah zu seinem eigenen Schutz. Soviel ich weiß, hat auch Eber nie erfahren, daß Moen sein eigen Fleisch und Blut war.«

»Später hat man es Eber doch gesagt«, warf Fidelma rasch ein. »Eines Tages gab es einen Streit, den Critan mit anhörte. Dazu kommen wir noch.«

»Was hat meines Vaters ... sexuelles Verhalten«, mischte sich Cron ein, hielt dann inne und formulierte ihren Einwand neu. »Das alles mag von Interesse sein, aber es sagt nichts darüber aus, wer an dem Tod Ebers und Teafas schuld war.«

»Oh, das tut es wohl«, erwiderte Fidelma.

»Bitte erkläre das«, forderte die Tanist kühl. »Willst du damit sagen, daß du jetzt doch Moen für schuldig hältst? Daß er herausfand, wer sein wirklicher Vater war? Daß er Eber wegen des Unrechts haßte, das er seiner Mutter und ihm angetan hatte?«

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Die Beschuldigung, Moen sei der Mörder, habe ich schon in einem frühen Stadium der Untersuchung verworfen. Noch bevor ich mit ihm gesprochen hatte, wußte ich, daß Moen nicht der Mörder war.«

»Kannst du das bitte genauer darlegen?« fragte Pater Gorman trocken. »Mir schien es ganz offensichtlich zu sein, daß Moen der Täter war.«

»Die ursprüngliche Anklage lautete, Moen habe Teafa umgebracht und sich dann den Weg zu Ebers Wohnung gesucht und ihn ermordet. Mehrere Dinge paßten da nicht zusammen. Erstens erfuhr ich von Critan, daß er Teafa lebend gesehen hatte, nachdem Moen in Ebers Wohnung gegangen war. Wenn Moen beide Morde verübt haben sollte, dann mußte er erst Teafa und dann Eber getötet haben.«

»Warum das?« fragte Agdae.

»Weil Menma aussagte, er habe Moen mit dem Messer in der Hand über Ebers Leiche gebeugt angetroffen, nachdem er ihn gerade erstochen hatte. Die ganze Anklage beruhte darauf, daß Moen beinahe auf frischer Tat ertappt worden war.«

Das nahmen die Zuhörer schweigend zur Kenntnis. Dann sagte Cron: »Aber du hast Menma bereits als Mörder und somit auch als Lügner überführt. Vielleicht hat er gelogen.«

»Er hat sicherlich gelogen«, stimmte ihr Fidelma gelassen zu, »aber nicht in diesem Fall. Daß er Moen am Schauplatz der Tat entdeckte, kam ihm sehr gelegen. Etwas Besseres hätte er sich nicht wünschen können. Aber Teafa war noch am Leben, als Moen Ebers Wohnung betrat. Critan kam von Clidnas Haus zurück, begegnete Moen auf dem Weg zu Ebers Wohnung und sah dann Teafa lebendig an ihrer Hütte stehen mit einer Laterne in der Hand. Als Critan mir das erzählte, kam ihm, glaube ich, für einen Augenblick zum Bewußtsein, wie unlogisch das war, aber da er wollte, daß Moen der Schuldige wäre, überging er es.

Moen war in den frühen Morgenstunden spazierengegangen und wollte gerade zurück in Teafas Hütte, als ihm jemand einen Ogham-Stab in die Hand drückte. Mit Hilfe von Ogham kann man sich mit Moen verständigen. Moen berichtete mir, es sei jemand mit schwieligen Händen gewesen, doch wegen des starken Parfüms, das er roch, meinte er, es sei eine Frau gewesen. Die Schrift auf dem Ogham-Stab forderte ihn auf, sofort in Ebers Wohnung zu kommen. Er ging hin, stolperte über die Leiche, und so fand ihn Menma. Die Person, die Moen den Ogham-Stab in die Hand drückte, hatte den Mord begangen und wollte es so einrichten, daß er bei Eber entdeckt und verurteilt würde.«

»Welchen Beweis hast du für die Existenz dieses sagenhaften Ogham-Stabes, mit dem man Moen aufforderte, zu Eber zu kommen?« fragte Pater Gorman.

»Beweis? Ich habe den Stab selbst.« Fidelma lächelte selbstzufrieden. »Moen hatte nämlich den Stab an der Tür verloren. Er wurde ihm aus der Hand geschlagen, bevor er zu Ebers Wohnung ging. Der Mörder wollte nicht, daß dieses Beweisstück gefunden würde. Eber war bereits ermordet worden. Gerade als der Mörder den Stab wieder an sich bringen wollte, kam Teafa, von der Unruhe an der Tür geweckt, heraus. Sie hielt eine Lampe in der Hand und hatte eben erst gemerkt, daß Moen nicht da war. Sie sah den Og-ham-Stab und hob ihn auf. In dem Moment erblickte sie Critan und fragte ihn, ob er Moen gesehen habe. Der Bursche log sie an und ging seiner Wege. Der Mörder hatte im Schatten warten müssen, bis Critan fort war, und nun befand er sich in einem Dilemma. Teafa war in ihre Hütte gegangen, um die falsche Botschaft in Ogham zu lesen. Also mußte sie ebenfalls getötet werden. In dem Kampf mit ihr fiel die Öllampe, die Critan in Teafas Hand gesehen hatte, zu Boden und fing Feuer. Das Feuer mußte gelöscht werden, denn der Mörder wollte sichergehen, daß man auch diesen Mord Moen zur Last legte. Den Ogham-Stab mit der Anweisung darauf warf er ins Feuer, er verbrannte aber nicht ganz. Was auf dem Rest steht, läßt sich noch mit dem vergleichen, was in Moens ausgezeichnetem Gedächtnis haftenblieb. Er erinnerte sich, daß auf dem Stab stand: >Eber will dich sofort sprechen^ Die Buchstaben ER und WILL sind noch erhalten.«

Bruder Eadulf lächelte darüber, wie einfach Fidel-mas Erklärung war.

»Moen sollte noch etwas getan haben, was geradezu unmöglich war«, warf er ein. »Als Menma Moen über die Leiche gebeugt antraf, war es kurz vor Sonnenaufgang, sagte er. Und neben Ebers Bett brannte eine Lampe.«

»Na und? Was ist daran verkehrt?« fragte Duban. »Vor Sonnenaufgang ist es immer dunkel.«

»Und wozu hätte Moen eine Lampe gebraucht?« wollte Eadulf wissen. »Das widerlegt die Beschuldigung, Moen habe sich heimlich eingeschlichen und Eber im Schlaf erstochen.«

»Genau«, meinte Fidelma anerkennend. »Es sei denn, wir glaubten, ein Blinder brauche eine Lampe, um zu sehen, was er tut.«

»Eber könnte die Lampe selbst angezündet haben«, erklärte Agdae, »um Moen hereinzulassen, und dann .«