»Natürlich!« spottete Fidelma. »Eber war wach, zündete die Lampe an und ließ Moen ein. Dann ging er wieder zu Bett und wartete bereitwillig, bis Moen sich dorthin getastet hatte, wo die Jagdmesser hingen, sich eins aussuchte, den Weg zum Bett fand und ihn erdolchte. Moens Version erklärt das Geschehen viel besser. Daß nämlich Eber schon tot war, als er den Raum betrat. Der Mörder hatte ihn bereits erstochen. Dann ging der Mörder hinaus, um Moen zu Ebers Wohnung zu locken, und mußte dabei auch noch Tea-fa töten. Eber wurde nicht im Schlaf erstochen. Er wurde von jemandem umgebracht, den er gut kannte und gegen den er keinen Verdacht hegte. Er hatte die Lampe angezündet und den Täter in sein Schlafzimmer gelassen.«
»Wem sollte Eber so weit vertrauen, daß er ihn in sein Schlafzimmer ließ?« fragte Agdae. »Seiner Ehefrau?«
Cron holte tief Luft.
»Beschuldigst du meine Mutter?«
Fidelma sah Cranat nachdenklich an. Ebers Witwe warf ihr einen verächtlichen Blick zu.
»Ich habe schon darauf gewartet, daß du deine üblen Anschuldigungen gegen mich richtest«, zischte Cranat. »Schwester Fidelma, ich erinnere dich daran, daß ich eine Prinzessin der Deisi bin. Ich besitze mächtige Freunde.«
»Dein Rang und deine Freunde bedeuten mir nichts, Cranat. Vor dem Gesetz sind wir alle gleich. Aber wir kommen nun endlich zu der Spinne im Zentrum ihres komplizierten Netzes.«
Cron starrte ihre Mutter entgeistert an.
»Das kann doch nicht sein.«
»Cranat hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß sie nach Geld und Macht strebt«, höhnte Agdae.
»Du kannst nicht beweisen, daß Cranat Anlaß hatte, ihren eigenen Gatten zu ermorden«, erhob Pater Gorman Einspruch bei Fidelma.
»Daß Cranat Anlaß dazu hatte? Ich kann es versuchen. Seit Cron dreizehn Jahre alt war, fand sich Cra-nat bereit, ihren Haß auf Eber zu unterdrücken, solange er sie unterstützte. Als Teafa ihr verriet, was Eber tat, verließ sie zwar sein Bett, lebte aber weiter als Fürstin: Reichtum geht über Tugend. Eber schien geneigt, das so zu akzeptieren. Vielleicht brauchte er eine Gattin, um den äußeren Anschein zu wahren? Von Duban hörte ich, daß es vor wenigen Wochen, als Cron Tanist wurde, erneut Streit zwischen Teafa und Cranat gab. Dabei wurde auch Moen erwähnt. Da erst erfuhr Cranat die Wahrheit über den Sohn ihres Gatten. Wollte sie nun Rache nehmen?«
Fidelma hielt inne. Niemand sprach.
»Reichtum geht über Tugend. Quaerenda pecunia primum est virtus post nummos. Cranat mochte Ebers Bett verlassen haben, doch eigenartigerweise begann sie nun eine Liebschaft mit Muadnat.
Starb Eber, könnte sie die Gattin des neuen Fürsten werden.«
Bruder Eadulf meldete sich aufgeregt zu Wort.
»Moen sagte, die Person, die ihm den Ogham-Stab gab, habe schwielige Hände gehabt wie ein Mann. Aber er roch Parfüm und glaubte, es sei eine Frau. Dignait hatte schwielige Hände. Dignait stand Cranat nahe, denn sie stammte auch von den Deisi und war als Cra-nats Dienerin hergekommen, als Cranat Eber heiratete.«
»Nur Damen von Rang verwenden Parfüm«, korrigierte ihn Duban. »Dignait hätte kein Parfüm benutzt.«
»Willst du damit behaupten, meine Mutter wäre Muadnats Partnerin bei dem Goldbergwerk gewesen und habe beschlossen, meinen Vater zu töten, um ihn heiraten zu können?« fragte Cron ungläubig.
»Cranat hatte Grund, Eber und Moen zu hassen.
Teafa hatte sie über die Verwandtschaft aufgeklärt.« Sie hielt inne und blickte Cron an. »Du kannst gut Latein, nicht wahr?«
»Meine Mutter hat es mich gelehrt«, erwiderte die Tanist.
»Sie hat dich gut erzogen. Es war eine lateinische Nachricht auf einem Stück Pergament, die zur endgültigen Lösung des Rätsels führte. Nachdem Menma Dignait in ihrem Zimmer getötet hatte, damit sie nicht aussagen konnte, wer die Lorcheln in der Küche auf die Teller gelegt hatte, erhielt er den Auftrag, die Leiche in Archüs unterirdische Vorratskammer zu schaffen. Dann sollte er mir das Pergament geben, auf dem der Hinweis darauf in Latein geschrieben stand. Es war gutes Latein.«
»Werde ich angeklagt, weil mein Latein so gut ist?« höhnte Cranat.
»Ist dein Ogham ebenso gut?« erkundigte sich Fidelma. Sie fuhr fort, bevor Cranat antworten konnte. »Man tut gut daran, sich an den Ausspruch von Publius Terentius Afer zu erinnern, daß noch nie jemand einen Plan ersonnen habe, der nicht in der Ausführung abgeändert werden mußte. Duban war Menma zum Bergwerk gefolgt, weil er ihn mit den sogenannten Viehdieben beobachtet hatte. Er erreichte den Eingang der Höhle und hörte, wie Muadnats Partner Menma letzte Anweisungen gab. Duban stürmte in die Höhle. Menma hielt ihn auf und ermöglichte seinem Herrn damit die Flucht. Ich war auch da und sah die Gestalt davonreiten.«
»Du sahst eine Gestalt?« spottete Cranat. »Schwörst du, daß ich es war?«
»Es war eine Gestalt in einem bunten Amtsmantel.«
Crons Versuch zu lächeln geriet zu einer Grimasse. Sie wies auf das Amtsgewand, das sie trug.
»Aber ich trage solch einen Mantel.«
»Das stimmt«, rief Eadulf. »Und ich habe eine Gestalt in einem ähnlichen bunten Mantel den Weg über die Berge zum Bergwerk hinaufreiten sehen an dem Tag, als wir auf Muadnats Gehöft waren.«
»Jetzt komme ich ganz durcheinander. Klagst du Cranat oder ihre Tochter an?« rief Pater Gorman.
»Vor einiger Zeit erzählte mir Cron, daß ein solcher bunter Mantel von allen Fürsten von Araglin und ihren Gattinnen getragen wird. Du trägst auch einen, nicht wahr, Cranat? Und du benutzt auch ein starkes Rosenparfüm.«
Ebers Witwe blickte Fidelma finster an, doch diese wandte sich nun an Gadra.
»Gadra, sag Moen, daß ich ihn etwas riechen lassen möchte. Bring ihn her.« Sie erklärte den Zuhörern: »Zum Ausgleich für das Fehlen seiner anderen Sinne besitzt Moen einen hochentwickelten Geruchssinn, den ich früher schon an ihm beobachten konnte.«
Gadra tat, wie ihm geheißen, und führte Moen nach vorn bis vor das Podium.
»Pater Gorman, würdest du bitte hinzutreten und das Verfahren bezeugen? Es darf später nicht heißen, Moen sei im Zweifel gewesen.«
Etwas widerwillig kam der Priester nach vorn. Dann wandte sich Fidelma an Gadra.
»Erkläre Moen, er solle riechen, was ihm vorgehalten wird, und jeden Geruch identifizieren, den er schon einmal gespürt hat. Sag ihm, ich möchte es wissen, wenn er denselben Geruch wahrnimmt wie bei dem, der ihm den Ogham-Stab reichte.«
Sie streckte ihre Hand hin, damit Moen daran riechen konnte. Cranat hatte sich erhoben.
»Ich lasse dieses Ungeheuer nicht in meine Nähe!« kreischte sie und wollte die Halle verlassen.
»Du hast keine Wahl«, versicherte ihr Fidelma und gab Duban das Zeichen, vorzutreten und sich hinter sie zu stellen. Bei Fidelmas Handgelenk hatte Moen den Kopf geschüttelt. Fidelma nötigte Cron, die Hand auszustrecken. Moen roch daran, dann schrieb er einige Zeichen auf Gadras Hand.
Gadra schüttelte den Kopf.
Cranat hielt die Hände entschlossen hinter dem Rücken.
»Pater Gorman«, entschied Fidelma, »da Cranat sich weigert, dem Jungen ihre Hand hinzuhalten, würdest du ihr bitte helfen? Sie wird wohl nichts dagegen haben, wenn die Hand eines Priesters sie berührt.«
»Es tut mir leid, Lady«, murmelte Pater Gorman und nahm mit sichtlichem Widerwillen ihren linken Arm. Cranat drehte empört den Kopf zur Seite, während Moen an ihrem Handgelenk roch.
Erregung packte die Zuschauer, als er sich umwandte und schnell Zeichen auf Gadras Hand schrieb.
Der Alte blickte ihn entsetzt an.
»Das ist ein falsches Spiel!« kreischte Cranat. »Ihr habt euch abgesprochen, mir die Schuld zuzuschieben!«
Aber der Alte sah nicht Cranat an.
»Es ist nicht der Geruch der Frau, den er wiedererkannt hat«, sagte Gadra langsam und starrte entgeistert Pater Gorman an. Der Priester war totenblaß geworden.