„Alarmbereitschaft für die Ärzte“, sagte er zu Ballmin und Gralew, die ihn erwartungsvoll ansahen. „Ein Unfall, aber sicherlich nichts Ernsthaftes. Vielleicht hat es einen Erdrutsch gegeben, und jemand ist verschüttet worden.“
Er sagte das, weil bekannt war, daß Gallaghers Leute an einer bei der Geländeerkundung bestimmten Stelle geologische Ausgrabungen vornehmen sollten. Im Grunde aber glaubte er selbst nicht, daß es sich um einen gewöhnlichen Arbeitsunfall handelte.
Knapp sechs Kilometer waren sie vom Raumschiff entfernt, aber die andere Gruppe war offensichtlich viel früher zurückgerufen worden, denn als sie die steile, schwarze Silhouette des „Unbesiegbaren“ erblickten, überquerten sie ganz frische, von Raupenfahrzeugen stammende Spuren, die sich bei diesem Wind keine halbe Stunde gehalten hätten.
Sie näherten sich der Grenze des Außenfeldes und riefen die Steuerzentrale, die ihnen den Durchgang öffnen sollte.
Sie mußten erstaunlich lange auf Antwort warten. Endlich leuchteten die üblichen blauen Signale auf, und sie fuhren in die Schutzzone ein. Die Gruppe vom „Kondor“ war schon da. Also war sie es gewesen, die vor ihnen hereingeholt worden war, und nicht Gallaghers Geologen. Neben der Rampe und in der Einfahrt standen Raupenfahrzeuge im Wege, Menschen liefen planlos durcheinander, bis an die Knie im Sand einsinkend. Automaten blinkten mit Scheinwerfern.
Es dämmerte bereits. Zunächst fand sich Rohan in diesem Wirrwarr nicht zurecht. Plötzlich stürzte aus der Höhe ein greller Lichtstrahl herab. Der große Scheinwerfer verwandelte die Rakete in einen riesigen Leuchtturm. Der Scheinwerfer hatte weit hinten in der Wüste eine Lichterkolonne aufgespürt, die hin und her tanzte, als wäre eine ganze Kriegsflotte im Anzug. Wieder flammten die Leuchtfeuer des Kraftfeldes auf, und es öffnete sich. Die Maschinen standen noch nicht, da sprangen Gallaghers Männer schon in den Sand. Von der Rampe rollte ein zweiter Scheinwerfer heran und durch das dichte Spalier der abgestellten Maschinen schritt eine Gruppe von Leuten mit einer Trage, auf der jemand lag.
Als sie an Rohan vorbeikamen, stieß er seine Vordermänner zur Seite und erstarrte. Im ersten Moment glaubte er wirklich an einen Unfall, aber dem Mann auf der Trage waren Arme und Beine gefesselt.
Er wand sich so, daß die Stricke ächzten, mit denen er gebunden war, und gab dabei mit weit aufgerissenem Mund furchtbare, winselnde Laute von sich. Die Gruppe war den Lichtkegeln der Scheinwerfer gefolgt und entfernte sich immer weiter, aber das menschenunähnliche jaulen, unvergleichbar allem, was er jemals gehört hatte, drang noch immer zu ihm, der jetzt im Dunkeln stand. Der weiße Fleck mit den Gestalten darin wurde kleiner, glitt die Rampe hinauf und verschwand in dem schwarz gähnenden Loch der Ladeluke. Rohan erkundigte sich, was denn vorgefallen sei, aber in seiner Nähe waren nur Leute von der „Kondorgruppe“, die genausowenig wußten wie er.
Eine ganze Weile verging, bevor er so weit zu sich gekommen war, daß er einigermaßen Ordnung schaffen konnte.
Die Maschinenkolonne setzte sich wieder in Bewegung und zog lärmend die Rampe hinauf, am Fahrstuhl flammten die Lichter auf, die Schar derer, die unten warteten, wurde kleiner.
Als einer der letzten fuhr Rohan mit den schwerbeladenen Arctanen hinauf, deren unerschütterliche Ruhe ihm als besonders gehässiger Spott erschien. Im Schiffsinnern war das anhaltende Klingeln der Informatoren und der Telefone zu hören, an den Wänden leuchteten noch immer die Alarmsignale für die Ärzte, doch bald darauf erloschen sie.
Die Gänge leerten sich. Ein Teil der Besatzung fuhr in die Messe hinunter. Er hörte Gespräche auf dem Gang und hallende Schritte. Ein verspäteter Arctan strebte stampfend der Roboterabteilung zu. Schließlich hatten sich alle zerstreut.
Er aber blieb wie gelähmt zurück, als hätte er keine Hoffnung mehr, das Geschehene jemals zu begreifen, und als wäre er plötzlich zu der Erkenntnis gelangt, daß es für all das keine Erklärung gab und niemals geben würde.
„Rohan!“
Gaarb stand vor ihm. Der Anruf rüttelte ihn wach. Er zuckte zusammen.
„Ach Sie, Doktor? Haben Sie es auch gesehen? Wer war das?“
„Kertelen.“
„Was? Unmöglich!“
„Ich habe ihn fast bis zuletzt gesehen.“
„Bis zuletzt?“
„Ich war mit ihm zusammen“, sagte Gaarb mit unnatürlich ruhiger Stimme. Rohan sah die Ganglampen in seinen Brillengläsern funkeln.
„Bei der Expeditionsgruppe in der Wüste?“ stieß er hervor.
„Ja.“
„Und was ist mit ihm?“
„Gallagher hatte die Stelle dort nach seismographischen Sondierungen ausgesucht. Wir gerieten in ein Labyrinth von engen, gewundenen Schluchten“, sagte Gaarb schleppend, als spräche er zu sich selbst und wollte sich noch einmal den genauen Ablauf der Ereignisse vergegenwärtigen. „Dort ist weiches, ausgespültes Felsgestein organischen Ursprungs, voller Grotten und Höhlen. Die Raupenfahrzeuge mußten wir draußen lassen… Wir gingen dicht hintereinander. Elf Mann. Die Ferrometer zeigten größere Eisenmengen an.
Die suchten wir. Kertelen meinte, dort seien irgendwo Maschinen verborgen…“
„Ja, mir hat er auch so was gesagt. Und dann?“
„In einer Höhle fand er dicht unter der Schlammschicht — dort gibt es sogar Stalaktiten und Stalakmiten — etwas wie einen Automaten.“
„Tatsächlich?“
„Nein nicht, was Sie denken. Es war ein Wrack, nicht einmal verrostet — das muß eine nichtrostende Legierung sein —, aber korrodiert, halb verbrannt, eben nur Trümmer.“
„Vielleicht sind noch andere…“
„Aber dieser Automat ist wenigstens 300 000 Jahre alt!“
„Woher wollen Sie das wissen?“
„An der Oberfläche hat sich Kalkstein abgesetzt von dem Wasser, das von den Stalaktiten am Felsengewölbe heruntergetropft und verdunstet ist. Gallagher selbst hat anhand derVerdunstungsgeschwindigkeit, der Niederschlagsbildung und der Niederschlagsmenge berechnet, daß 300000 Jahre der bescheidenste Näherungswert sind. Wissen Sie übrigens, wie dieser Automat aussieht? Beinahe wie die Ruinen!“
„Also ist es gar kein Automat!“
„Nein. Er muß sich fortbewegt haben, aber nicht auf zwei Beinen. Auch nicht wie eine Krabbe. Wir hatten übrigens keine Zeit, das zu untersuchen, weil gleich darauf…“
„Was war gleich darauf?“
„In gewissen Zeitabständen hatte ich die Leute gezählt.
Ich war im Kraftfeld und sollte sie beobachten, Sie wissen schon. Aber sie alle hatten ja Masken auf, wie das so ist, alle sind dadurch einander ähnlich, die Schutzanzüge waren auch nicht mehr bunt, sondern mit Lehm beschmiert. Auf einmal fehlte einer. Ich rief alle zusammen, und wir machten uns auf die Suche. Kertelen hatte sich sehr über seinen Fund gefreut und war weitergepirscht… Ich dachte, er hätte sich bloß in eine Abzweigung der Schlucht verlaufen.
Sie ist voller Nebenwege, die aber alle kurz, flach und ausgezeichnet beleuchtet sind. Plötzlich bog er um eire Ecke.
Bereits in diesem Zustand. Nygren war bei uns. Er glaubte, es sei ein Hitzschlag…“
„Was ist nun wirklich mit ihm?“
„Er ist bewußtlos. Obwohl auch nicht richtig. Er kann gehen, sich bewegen, nur ist es unmöglich, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Zudem hat er die Sprache verloren. Haben Sie seine Stimme gehört?“
„Ja.“
„Jetzt scheint er ein bißchen matt geworden zu sein. Vorher war es noch schlimmer. Er hat keinen von uns erkannt.