Das war im ersten Moment das furchtbarste. ›Kertelen, wo stecken Sie denn?‹ rief ich ihn an, doch er ging wie taub an mir vorbei, zwischen uns hindurch und die Schlucht hinauf, aber in einer Haltung, auf eine Weise, daß es uns allen kalt.
den Rücken hinunterlief. Einfach wie ausgewechselt. Er reagierte nicht auf unser Rufen, also mußten wir ihn einfangen.
Was sich da alles abgespielt hat… Kurz und gut, wir mußten ihn fesseln, sonst hätten wir ihn nicht mitbringen können.“
„Und was sagen die Ärzte?“
„Die reden wie üblich lateinisch, aber sonst wissen sie auch nichts. Nygren ist mit Sax beim Kommandanten, dort können Sie nachfragen.“
Gaarb ging mit schweren Schritten davon, den Kopf wie immer zur Seite geneigt. Rohan stieg in den Aufzug und fuhr nach oben in den Steuerraum. Er fand ihn leer, als er aber an den kartographischen Kajüten vorbeikam, hörte er durch den Türspalt Sax' Stimme. Er trat ein.
„Anscheinend völliger Gedächtnisschwund. So sieht es zumindest aus“, sagte der Neurophysiologe. Er stand mit dem Rücken zu Rohan und betrachtete eine Röntgenaufnahme, die er in der Hand hielt. Am Schreibtisch saß der Astrogator vor dem aufgeschlagenen Bordbuch. Seine Hand lag auf einem der mit zusammengerollten Sternkarten vollgestopften Regale. Schweigend hörte er Sax zu, der bedächtig die Aufnahme in einen Umschlag steckte.
„Amnesie, aber ein Sonderfall. Nicht nur, daß er nicht mehr weiß, wer er ist, er hat auch die Sprache verloren, die Fähigkeit zu schreiben und zu lesen eingebüßt. Eigentlich ist das sogar mehr als Amnesie. Es ist völliger Verfall, Zerstörung der Persönlichkeit. Außer den primitiven Reflexen ist nichts übriggeblieben. Er ist imstande, zu gehen und zu essen, aber nur, wenn ihm das Essen in den Mund gesteckt wird. Er nimmt es an, aber…“
„Hört und sieht er?“
„Ja, gewiß. Aber er begreift nicht, was er sieht. Er kann Menschen nicht von Gegenständen unterscheiden.“
„Und die Reflexe?“
„Normal. Es ist eine zentrale Sache.“
„Eine zentrale?“
„Ja, eine Sache des Gehirns. Anscheinend sind alle Spuren des Gedächtnisses mit einem Schlage völlig gelöscht worden.“
„Dann war dieser Mann vom ›Kondor‹ also auch…“
„Ja. Jetzt bin ich sicher. Das war das gleiche.“
„Ich habe so etwas ein einziges Mal gesehen“, sagte der Astrogator leise, fast flüsternd. Er blickte zu Rohan hinüber, nahm aber nicht Notiz von ihm. „Das war im Raum.“
„Ach, ich weiß! Daß mir das nicht gleich eingefallen ist!“
stieß der Neurophysiologe mit hoher Stimme hervor.
„Amnesie durch magnetischen Schock, nicht wahr?“
„Ja.“
„Ein solcher Fall ist mir noch nicht begegnet. Ich kenne diese Krankheit nur aus der Theorie. So was ist doch vor langer Zeit vorgekommen, wenn starke Magnetfelder mit hoher Geschwindigkeit durchflogen wurden?“
„Ja. Das heißt unter spezifischen Bedingungen. Die Feldstärke ist weit weniger von Bedeutung als der Gradient und die Heftigkeit der Veränderung. Treten im Raum große Gradienten auf — und mitunter gibt es ganz hübsche Sprünge —, dann stellen die Meßuhren sie auf Entfernung fest. Früher war das nicht möglich…“
„Stimmt“, pflichtete der Arzt bei. „Das ist wahr.
Ammerhatten hat solche Versuche an Affen und Katzen vorgenommen. Er setzte sie der Wirkung riesiger Magnetfelder aus, bis sie das Gedächtnis verloren…“
„Ja, das hat schließlich etwas mit der Beantwortung elektrischer Reize durch das Gehirn zu tun.“
„Aber in diesem Fall haben wir außer Gaarbs Bericht die Aussagen seiner Leute“, überlegte Sax laut. „Gewaltige Magnetfelder, das müssen doch wohl Hunderttausende Gauß sein?“
„Das reicht nicht. Dazu sind Millionen nötig“, sagte der Astrogator schroff. Erst jetzt traf sein Blick auf Rohan.
„Kommen Sie herein, und schließen Sie die Tür!“
„Millionen? Würden die Bordapparaturen ein solches Feld nicht ausfindig machen?“
„Soweit sie dazu imstande sind“, entgegnete Horpach.
„Wenn es auf sehr kleinem Raum konzentriert wäre — wenn es, sagen wir, den Umfang dieses Globus hätte und von außen abgeschirmt wäre…“
„Kurz gesagt, wenn Kertelen den Kopf zwischen die Pole eines gigantischen Elektromagneten gesteckt hätte…?“
„Auch das genügt noch nicht. Das Feld muß in einer bestimmten Frequenz oszillieren.“
„Aber dort gab es weder Magneten noch eine Maschine, außer diesen verrosteten Trümmern. Nichts, nur ausgewaschene Schluchten, Kies und Sand…“
„Und Höhlen“, fügte Horpach ruhig, fast gleichgültig hinzu.
„Und Höhlen. Glauben Sie, daß ihn jemand in eine solche Höhle gezogen hat und daß dort ein Magnet ist. Nein, das ist doch…“
„Und wie erklären Sie es sich?“ fragte der Kommandant, als wäre er des Gesprächs überdrüssig.
Der Arzt schwieg.
Um drei Uhr vierzig nachts gellten die Alarmsignale durch alle Stockwerke des „Unbesiegbaren“. Die Männer fuhren aus dem Schlaf hoch und eilten, kräftig fluchend und sich unterwegs fertig anziehend, an ihre Plätze. Fünf Minuten nach dem ersten Schnarren der Klingeln war Rohan im Steuerraum. Der Astrogator war noch nicht da. Rohan lief an den großen Bildschirm. Die schwarze Nacht wurde im Osten von unzähligen, weißen Blitzen erhellt. Es sah aus, als griffe ein von einem Radianten ausgehender Meteoritenschwarm die Rakete an. Er blickte auf die Feldkontrolluhren.
Die Automaten hatte er selbst programmiert, also konnten sie nicht auf Regen oder Sandstürme reagieren.
Aus der Wüste, die in der Dunkelheit nicht zu erkennen war, sauste es heran und zerstob zu Feuerregen. Die Entladungen fanden an der Feldoberfläche statt. Die geheimnisvollen Geschosse prallten ab und flogen auf einer parabelförmigen Bahn als Flammen zurück, deren Schein zusehends verblaßte, oder sie glitten an der Wölbung des Kraftfeldes entlang. Die Dünenkämme tauchten für Augenblicke aus der Finsternis und versanken wieder darin, die Zeiger schlugen träge aus — das System der Dirac-Emitoren hatte eine verhältnismäßig geringe Leistung gebraucht, um die rätselhafte Bombardierung abzuwehren. Rohan hörte bereits die Schritte des Kommandanten hinter sich, als er zu der Spektrometeranlage hinüberblickte.
„Nickel, Eisen, Mangan, Beryllium, Titan“, las der Astrogator von der hellerleuchteten Skala ab und blieb neben ihm stehen. „Ich gäbe viel darum, wenn ich mit eigenen Augen sehen könnte, was das eigentlich ist.“
„Ein Regen aus Metallteilchen“, sagte Rohan gedehnt.
„Den Entladungen nach zu urteilen sind sie ziemlich klein.“
„Ich würde sie mir gern von nahem anschauen“, brummte der Kommandant. „Was meinen Sie, sollen wir es riskieren?“
„Das Feld auszuschalten?“
„Ja. Für den Bruchteil einer Sekunde. Einige wenige werden in die Schutzzone gelangen, die anderen stoßen wir zurück, indem wir das Feld wieder einschalten.“
Eine ganze Weile antwortete Rohan nicht.
„Nun, man könnte ja…“, sagte er schließlich zögernd.
Aber noch ehe der Kommandant ans Steuerpult getreten war, erlosch das Flackern ebenso plötzlich, wie es aufgeleuchtet war, und eine Dunkelheit brach herein, wie sie nur mondlose Planeten kennen, die weitab von den zentralen Sternanhäufungen der Galaxis kreisen.
„Pech gehabt“, brummte Horpach. Die Hand am Hauptschalter, stand er eine Zeitlang da, dann nickte er Rohan flüchtig zu und verließ den Raum. Die Entwarnungssignale gellten durch alle Stockwerke.
Rohan seufzte, warf noch einen Blick auf die Bildschirme, auf denen jetzt schwarze Dunkelheit lag, und ging schlafen.
Die Wolke
Sie gewöhnten sich bereits an den Planeten, an sein stets gleichbleibendes Wüstengesicht mit den verschwindend kleinen Schatten der unnatürlich hellen Wolken, die immer auseinanderzufließen schienen, und zwischen denen auch tagsüber die lichtstarken Sterne hindurchschimmerten, an den knirschenden Sand, der unter den Rädern und den Fußsohlen auswich, an die träge, rote Sonne, deren Strahlen den Körper unvergleichlich zarter berühren als die der irdischen, so daß man, wenn man ihr den Rücken zuwandte, statt der Wärme nur ihre stumme Anwesenheit spürte.