„Bei Bodenberührung stop!“
Das Feuer, das von dem hinabsinkenden Raketenkoloß Millimeter um Millimeter zusammengepreßt wurde, wirbelte aufsässig unter dem Heck, die grüne Hölle schoß lange Glutspritzer mitten in die zuckenden Sandwolken. Der Raum zwischen dem Heck und dem verbrannten Gestein verengte sich zu einem schmalen Spalt, einem glühenden grünen Strich.
„Null, null! Alle Triebwerke stop!“
Ein Glockenton, wie ein Schlag, der einzige Schlag eines riesigen, zerspringenden Herzens. Die Rakete stand. Der Chefingenieur hielt beide Hebel der Notstartanlage fest in den Händen, denn noch konnte der Fels nachgeben. Sie warteten, die Sekundenzeiger krochen. Der Kommandant beobachtete eine Weile das Lot, aber das Silberlämpchen zeigte nicht die geringste seitliche Abweichung an.
Sie schwiegen. Die bis zur Weißglut erhitzten Düsen zogen sich zusammen und gaben dabei charakteristische Laute von sich, die einem heiseren Stöhnen glichen. Die rötliche, mehrere hundert Meter hochgeschleuderte Staubwolke senkte sich. Der stumpfe Bug des „Unbesiegbaren“ trat hervor, dann der Rumpf, von der atmosphärischen Reibung geschwärzt, in der Farbe dem alten Basaltgestein ähnlich, und der rauhe, doppelte Panzer. Noch immer ballte sich rötlicher Staub und wirbelte am Heck auf, aber das Raumschiff stand nun fest, als wäre es selbst ein Teil des Planeten geworden und als kreiste es mit ihm in träger, jahrhundertealter Bewegung unter dem violetten Himmel, an dem die hellsten, in der Nähe der roten Sonne verblassenden Sterne zu sehen waren.
„Normale Prozedur?“
Der Astrogator blickte von dem Bordbuch auf, in das er in halber Höhe das vereinbarte Landezeichen und die Uhrzeit eingetragen und daneben den Namen des Planeten gesetzt hatte Regis tii.
„Nein, Rohan. Wir beginnen mit dem dritten Grad.“
Rohan suchte sein Erstaunen zu verbergen.
„Jawohl. Allerdings“, fügte er mit der Vertraulichkeit hinzu, die ihm Horpach bisweilen gestattete, „möchte ich das den Leuten lieber nicht sagen.“
Als hätte der Astrogator diese Worte nicht gehört, faßte er seinen Offizier unter und führte ihn an den Bildschirm wie an ein Fenster.
Der vom Landestrahl zur Seite geschleuderte Sand hatte eine Art flachen — Talkessel gebildet, den lockere Dünen rahmten. Aus der Höhe von achtzehn Stockwerken sahen sie durch die dreifarbige Fläche des Elektronenwandlers, der ein getreues Abbild der Außenwelt lieferte, auf den gezackten Felsrand eines drei Meilen entfernten Kraters hinunter.
Im Westen verschmolz er mit dem Horizont. Im Osten staffelten sich unter seinen Steilhängen undurchdringliche, schwarze Schatten. Breite Lavaarme, deren Kämme aus dem Sand hervorragten, hatten die Farbe geronnenen Blutes. Am oberen Rand des Bildschirms leuchtete ein heller Stern am Himmel.
Der Kataklysmus, den das Eintreffen des „Unbesiegbaren“ heraufbeschworen hatte, war vorüber, und der Wüstenwind, diese heftige, ständig von den Äquatorzonen zum Pol des Planeten ziehende Luftströmung, trieb bereits die ersten Sandzungen unter das Schiffsheck, als suchte sie geduldig die Wunde zu heilen, die das Düsenfeuer geschlagen hatte.
Der Astrogator schaltete das Netz der Außenmikrofone ein, und ein bösartiges, fernes Heulen und das Geräusch des an den Panzerwänden scheuernden Sandes füllte einen Augenblick lang den hohen Raum der Steuerzentrale. Dann schaltete er die Mikrofone ab, und Stille trat ein.
„So sieht das also aus“, sagte er gedehnt. „Aber der ›Kondor‹ ist von hier nicht zurückgekehrt, Rohan.“
Rohan biß die Zähne zusammen. Er durfte sich nicht in einen Wortwechsel mit dem Kommandanten einlassen. Sie hatten viele Parsek miteinander durchflogen, aber sie hatten sich nicht anfreunden können. Vielleicht war der Altersunterschied zu groß, oder die gemeinsam bestandenen Gefahren waren zu gering. Dieser Mann, dessen Haar fast so weiß war wie der Anzug, den er trug, kannte keine Rücksichtnahme.
Nahezu hundert Männer verharrten reglos an ihren Plätzen. Nun lag die angespannte Arbeit hinter ihnen, das Näherungsmanöver, die dreihundert Stunden, die notwendig waren, um die in jedem Atom des „Unbesiegbaren“ gespeicherte kinetische Energie abzubremsen, das Schiff auf die Flugbahn zu bringen und zu landen. Fast hundert Männer, die seit Monaten den Wind nicht hatten rauschen hören, die hatten gelernt, die Leere zu hassen, wie sie nur einer hassen kann, der sie kennt. Aber der Kommandant dachte gewiß nicht daran. Langsam durchquerte er die Steuerzentrale, stützte die Hand auf die wieder hochgeklappte Sessellehne und knurrte: „Wir wissen nicht, was das ist, Rohan.“ Und plötzlich fuhr er ihn in scharfem Ton an: „Worauf warten Sie noch?“
Rohan lief zu den Verteilerpulten und schaltete die Inneninstallation ein. In seiner Stimme schwang noch die unterdrückte Empörung, als er hervorstieß: „Alle Decks — Achtung!
Landung beendet. Erdprozedur dritten Grades. Deck acht — Energoboter fertig machen! Deck neun — Schirmreaktoren anlassen! Schutztechniker an die Plätze! Übrige Besatzung an die festgelegten Arbeitsplätze! Ende.“
Während er das sagte und das grüne Auge des Verstärkers beobachtete, das je nach der Lautstärke seiner Stimme flimmerte, war ihm, als sähe er ihre verschwitzten Gesichter, die sich den Lautsprechern zuwandten und plötzlich in Verwunderung und Zorn erstarrten. Erst jetzt hatten sie begriffen, jetzt erst würden sie fluchen.
„Erdprozedur dritten Grades läuft, Astrogator“, sagte er, ohne den alten Mann anzusehen. Der blickte zu ihm hinüber und verzog unvermutet die Mundwinkel zu einem Lächeln.
„Das ist doch bloß der Anfang, Rohan. Vielleicht machen wir noch lange Spaziergänge bei Sonnenuntergang, wer weiß…“
Er entnahm dem flachen Wandschränkchen ein dünnes, hohes Buch, schlug es auf, legte es auf das hebelgespickte Pult und fragte: „Haben Sie das gelesen?“
„Ja.“
„Das letzte, von der siebenten Hyperrelaisstation registrierte Signal erreichte vor einem Jahr die Proximalboje im Bereich der Basis.“
„Ich kann den Inhalt auswendig. ›Landung auf Regis trc beendet. Wüstenplanet vom Typ Subdelta 92. Gehen mit zweiter Prozedur in Äquatorzone des Kontinents Evana an Land.‹“
„Ja, aber das war nicht das letzte Signal.“
„Ich weiß, Astrogator. Vierzig Stunden später registrierte die Hyperrelaisstelle eine Impulsfolge, die gemorst schien, aber völlig zusammenhanglos war, und danach mehrmals wiederkehrende, merkwürdige Laute. Haertel nannte sie ›Kreischen von Katzen, die am Schwanz gezogen würden‹!“
„Ja, ja…“, sagte der Astrogator, aber er hörte offensichtlich gar nicht mehr zu. Er stand wieder vor dem Bildschirm.
Dicht über dem unteren Rand des Gesichtsfeldes waren die scherenförmig ausgefahrenen Träger der Rampe zu erkennen, auf denen in gleichmäßigen Abständen, wie bei einer Parade, die Energoboter hinabglitten, dreißig Tonnen schwere Maschinen mit feuerfestem Silikonpanzer.
Während sie hinunterkrochen, öffneten und hoben sich langsam ihre Hauben. Sie verließen die Rampe und sanken tief in den Sand ein, aber sie kamen gut voran und arbeiteten sich durch die Düne, die der Wind bereits um den „Unbesiegbaren“ aufgeweht hatte. Nacheinander schwenkten sie rechts und links ein, und zehn Minuten später war das ganze Schiff von einer Kette metallener Schildkröten umgeben.
Wenn ein Energoboter seinen Platz erreicht hatte, dann wühlte er sich gemächlich in den Sand ein, bis er darin verschwand und nur noch die glitzernden Kuppeln der Dirac— Emitoren gleich weit entfernt voneinander aus den roten Dünenhängen hervorlugten.
Der schaumgummiverkleidete Stahlfußboden der Steuerzentrale erzitterte unter den Füßen der Männer. Blitzartig durchfuhr ein kaum spürbarer Schauer ihre Körper. Einen Augenblick noch durchrieselte er ihre Kiefermuskeln, das Bild verschwamm ihnen vor den Augen. Die Erscheinung dauerte keine halbe Sekunde. Abermals trat Stille ein, die von dem fernen, aus den unteren Stockwerken heraufdringenden Summen der anlaufenden Motoren unterbrochen wurde. Die Wüste, die schwarzroten Felshalden, die träge dahinkriechenden Sandwellen nahmen auf den Bildschirmen wieder schärfere Umrisse an, und alles war wie zuvor, nur hatte sich über den „Unbesiegbaren“ die unsichtbare Kuppel des Kraftfeldes gestülpt und verwehrte den Zugang zum Raumschiff.