„Bitte, verständigen Sie mich unverzüglich, wenn Rohan wieder da ist. Er wird sich dafür zu verantworten haben.
So können wir im Handumdrehen alle unsere Leute verlieren.“
Der Astrogator hatte noch nicht ausgeredet, als Gaarbs Aufschrei ihn unterbrach: „Sie sind da, Astrogator! Ich sehe Lichter, sie kommen den Hang herauf, das ist Rohan.
Eins, zwei, nein, nur eine Maschine… Gleich werden wir mehr wissen.“
„Ich warte.“
Als Gaarb das Scheinwerferlicht erblickte, das flach über den Boden wischte, bald Lichtgarben über das Lager schleuderte, bald hinter Bodenwellen verschwand, ergriff er eine Leuchtpistole und schoß zweimal. Der Erfolg war großartig — alle wurden aus dem Schlaf gerissen und sprangen auf die Beine. Unterdessen beschrieb die Maschine einen Bogen, der wachhabende Funker der Zentrale öffnete einen Durchlaß in der Wand des Kraftfeldes, und über den mit blauen Blinkfeuern abgesteckten Geländestreifen rollte ein staubbedecktes Raupenfahrzeug herein und bremste vor der Düne, auf der der Superkopter stand. Zu seinem Entsetzen erkannte Gaarb in der kleinen Maschine die Drei-Mann— Aufklärungsamphibie, den Funkwagen der Gruppe. Im Licht der eilig ausgerichteten Scheinwerfer lief er mit den anderen dem Ankömmling entgegen. Noch ehe der Wagen richtig hielt, sprang ein Mann in zerfetztem Skaphander heraus. Sein Gesicht war von Dreck und Blut so verkrustet, daß Gaarb ihn erst erkannte, als er zu sprechen anfing.
„Gaarb“, stöhnte der Mann und faßte den Wissenschaftler an den Schultern, und die Beine sackten unter ihm zusammen.
Die anderen Männer sprangen herbei, stützten ihn und fragten aufgeregt: „Was ist geschehen? Wo sind die anderen?“
„Sie… sind.. nicht mehr… Keiner…“, hauchte Rohan und sank ihnen ohnmächtig in die Arme.
Gegen Mitternacht gelang es den Ärzten, ihn zu Bewußtsein zu bringen. Er lag unter dem Aluminiumschutz der Baracke im Sauerstoffzelt und erzählte, was Gaarb eine halbe Stunde später dem „Unbesiegbaren“ telegrafierte.
Rohans Gruppe
Die Kolonne, die Rohan geleitet hatte, bestand aus zwei großen Energobotern, vier Raupenfahrzeugen und einem kleinen Schwimmwagen. In ihm saßen Rohan selbst, der Fahrer Jarg und Bootsmann Terner. Sie hielten die Reihenfolge ein, die das Reglement der dritten Gefahrenstufe vorschrieb.
Allen voran rollte ein unbemannter Energoboter, Rohans Aufklärungsamphibie folgte ihm, dann kamen die vier Geländefahrzeuge, mit je zwei Leuten besetzt, und der zweite Energoboter bildete den Schluß der Kolonne. Beide Energoboter schützten die ganze Gruppe durch die Kraftfeldhülle.
Rohan hatte sich zu diesem Abstecher entschlossen, weil es ihnen gelungen war, mit Hilfe von „Elektrohunden“ — Olfaktometern — in dem Krater Spuren der vier verschollenen Männer aus Regnars Gruppe zu entdecken. Ohne Zweifel würden sie, wenn sie nicht gefunden würden, hilfloser als Kinder in dem Felsenlabyrinth umherirren und verhungern oder verdursten.
Sie legten die ersten Kilometer nach den Angaben ihrer Meßgeräte zurück. Am Eingang einer der vielen breiten, in dieser Gegend flachen Schluchten, an denen ihr Weg sie vorbeiführte, entdeckten sie im Schlamm eines versiegenden Baches deutliche Fußspuren. Drei Fußabdrücke erkannten sie, da sie sich in dem weichen Grund, der im Laufe des Tages nur wenig eingetrocknet war, ausgezeichnet erhalten hatten. Ein vierter Abdruck war da, aber er war sehr undeutlich: Das Wasser, das sacht zwischen den Steinen dahinrieselte, hatte ihn bereits verwischt. Diese Spuren waren charakteristisch und ließen darauf schließen, daß sie von dem schweren Schuhwerk der Männer aus Regnars Gruppe stammten und ins Innere der Schlucht führten. Etwas weiter entfernt verloren sie sich auf den Felsen, doch das beein— Rohans Gruppe flußte Rohan nicht, denn er sah, daß die Hänge abschüssiger wurden, je tiefer sie in die Schlucht eindrangen. Es war also sehr unwahrscheinlich, daß die amnesiegelähmten Flüchtlinge sie zu erklimmen vermocht hatten. Rohan rechnete damit, daß er sie bald in der Schlucht, die wegen der zahlreichen, scharfen Biegungen nicht zu überblicken war, finden würde. Nach kurzer Beratung setzte die Kolonne ihren Weg fort, bis sie an eine Stelle gelangte, an der zu beiden Seiten hangaufwärts merkwürdige, dichte Metallsträudler wuchsen, gedrungene, pinselförmige, ein bis anderthalb Meter hohe Gebilde. Sie sprossen aus den mit schwärzlichem Tonschlamm gefüllten Spalten im nackten Gestein. Anfänglich traten sie vereinzelt auf, später als dichtes Gestrüpp, das wie eine rostige, bürstenähnliche Matte beide Abhänge der Schlucht fast bis auf die Talsohle bedeckte. In der Tiefe sickerte zwischen großen Felsbrocken unsichtbar eine Wasserader.
Hier und da starrten zwischen den „Sträuchern“ Höhlen.
Aus manchen rieselten dünne Rinnsale, andere waren anscheinend trocken oder ausgetrocknet. Rohans Leute versuchten, einen Blick in einige der Höhlen zu werfen, deren Ausgänge nicht hoch lagen, und leuchteten mit Scheinwerfern hinein. In einer Grotte fanden sie eine beträchtliche Menge winziger dreieckiger Kristalle, zum Teil von dem Wasser überschwemmt, das vom Felsgewölbe herabtropfte.
Rohan steckte sich eine Handvoll in die Tasche. Sie fuhren etwa einen halben Kilometer schluchteinwärts; das Gelände stieg zusehends an. Bisher hatten sich die Raupenketten der Fahrzeuge bei der Steigung vorzüglich bewährt, und als die Männer an zwei Stellen wieder Fußspuren im eingetrockneten Schlamm am Bachufer entdeckten, waren sie überzeugt, auf der richtigen Fährte zu sein. Hinter einer Biegung verschlechterte sich die Funkverbindung, die bislang mit dem Superkopter aufrechterhalten worden war, be— trächtlich, und Rohan schrieb das der abschirmenden Wirkung des Metallgestrüpps zu. Beiderseits der oben zwanzig Meter und an der Sohle ungefähr zwölf Meter breiten Schlucht ragten manchmal fast vertikale Felswände auf, wie mit einem steifen, schwarzen Pelz von der drahtigen Sträuchermasse bedeckt. Die Sträucher waren so zahlreich, daß sie ein einziges, bis zu den Gipfeln des Berggürtels hinaufreichendes Dickicht bildeten.
Die Fahrzeugkavalkade durchquerte zwei breite Felsentore.
Das beanspruchte ziemlich viel Zeit, denn die Techniker mußten sehr genau den Radius des Feldes verringern, um nicht an die Felsen zu stoßen, die verwittert und brökkelig waren. Jedes Anstoßen des Energiefeldes an einen Felsenpfeiler konnte also eine ganze Steinlawine auslösen.
Sie bangten natürlich nicht um sich, sondern um die Vermißten, die der Steinschlag, wenn sie in der Nähe waren, verletzen oder töten konnte.
Etwa eine Stunde war seit der Unterbrechung der Funkverbindung vergangen, als auf dem Bildschirm der Magnetometer dicht an dicht Blitze aufflammten. Anscheinend funktionierten die Peilgeräte nicht, denn als sie die Richtung ablesen wollten, aus der die Impulse kamen, zeigten sie alle Himmelsrichtungen auf einmal an. Erst mit Hilfe der Amperemeter und der Polarisatoren konnte festgestellt werden, daß das Gesträuch an den Wänden der Schlucht die Schwankungen des Magnetfeldes verursachte. Nun erst wurden die Männer gewahr, daß dieses Gestrüpp anders aussah als in dem Teil der Schlucht, den sie bereits hinter sich hatten: Es schimmerte nicht rostrot wie dort, und die Sträucher, aus denen es bestand, waren höher, größer und gewissermaßen schwärzer, weil an ihren Drähten oder Zweigen sonderbare Verdickungen klebten. Rohan ließ sie nicht näher untersuchen, weil er nicht riskieren wollte, das Schutzfeld zu öffnen.
Sie fuhren nun etwas schneller weiter, und die Impulsmesser und die Magnetometer meldeten eine immer andere Aktivität. Blickte man in die Höhe, so sah man hier und da über der Fläche des schwärzlichen Dickichts die Luft zittern, als wäre sie hoch erhitzt, und hinter dem zweiten Felsentor bemerkten sie, daß über dem Strauchwerk leichte Wölkchen aufstiegen, die an abziehenden Rauch erinnerten. Doch das war so hoch oben auf dem Hang, daß selbst mit dem Fernglas nicht auszumachen war, was sie wirklich darstellten. Jarg allerdings, der Augen hatte wie ein Luchs, behauptete, diese Rauchwölkchen sähen aus wie ein Schwarm kleiner Insekten.