Er rannte geradenwegs auf den Wahnsinnigen zu, der sich damit vergnügte, den Weyr-Werfer abzufeuern. „Hält!
Deckung! Deckung!“ schrie Rohan aus Leibeskräften, doch ehe Jarg verwirrt stehenblieb, traf eine furchtbare Entladung seinen linken Arm. Rohan erblickte sein Gesicht, als die abgerissene Schulter hochgeschleudert wurde und das Blut aus der entsetzlichen Wunde spritzte. Der Schütze schien das gar nicht zu bemerken, und Jarg sah maßlos erstaunt erst auf den blutenden Stumpf, dann auf den abgefetzten Arm, wankte und sank zu Boden.
Der Mann mit dem Weyr-Werfer stand auf. Rohan beobachtete, daß der unablässige Feuerstrahl aus dem erhitzten Werfer nach Kieselerde riechende Funken aus den Steinen schlug. Der Mann taumelte vorwärts. Er bewegte sich wie ein Säugling, der eine Spielzeugklapper in den Händen hielt. Die Flamme durchzuckte die Luft zwischen zwei nebeneinander sitzenden Männern; sie schlossen vor dem blendenden Strahl nicht einmal die Augen. Noch eine Sekunde, und einer von ihnen würde die ganze Ladung ins Gesicht bekommen.
Rohan riß den eigenen Weyr aus der Hülle — es war eine reine Reflexhandlung — und schoß ein einziges Mal. Der Mann schlug sich mit beiden Armen heftig an die Brust, seine Waffe knallte auf die Steine, und er selbst stürzte mit dem Gesicht darauf.
Da fuhr Rohan hoch. Die Dämmerung brach herein. So rasch wie möglich mußten alle abtransportiert werden. Er hatte nur seinen kleinen Amphibienwagen, und als er ein Geländefahrzeug startfertig machen wollte, stellte sich heraus, daß zwei von ihnen an der schmalsten Stelle des Felsentores zusammengestoßen waren und nur mit Hilfe eines Kranes hätten getrennt werden können. So blieb nur der hintere Energoboter, der höchstens fünf Leute aufnehmen konnte, und er hatte neun — lebende, die nicht bei Sinnen waren. Er hielt es für das beste, alle zusammenzuholen, sie zu fesseln, damit sie weder flüchten noch sich etwas antun konnten, zu ihrem vorläufigen Schutz die Felder der beiden Energoboter einzuschalten und selbst Hilfe herbeizuschaffen.
Er gedachte keinen mitzunehmen, weil sein kleiner Wagen völlig wehrlos war und er im Falle eines Angriffs lieber nur die eigene Haut riskieren wollte.
Es war bereits stockfinster, als er mit seiner unheimlichen Arbeit fertig war. Die Männer hatten sich ohne jeden Widerstand fesseln lassen. Er steuerte den hinteren Energoboter zurück, um mit seinem Amphibienfahrzeug freie Bahn zu haben, stellte die beiden Emitoren auf, schaltete von weitem das Schutzfeld ein, ließ alle Gefesselten in seinem Bereich und machte sich auf den Weg.
So war am siebenundzwanzigsten Tag nach der Landung schon fast die halbe Besatzung des „Unbesiegbaren“ außer Gefecht gesetzt.
Die Niederlage
Wie jede wahre Geschichte, so klang auch Rohans Erzählung merkwürdig und ungereimt. Warum hatte die Wolke weder ihn noch Jarg angegriffen? Warum hatte sie Terner nicht angerührt, bevor er das Amphibienfahrzeug verließ?
Warum war Jarg erst geflohen und dann zurückgekommen?
Diese Frage war verhältnismäßig leicht zu beantworten.
Er war sicherlich umgekehrt, als die panische Angst von ihm gewichen war und ihm bewußt wurde, daß er ungefähr fünfzig Kilometer vom Raumschiff entfernt war und es mit dem vorhandenen Sauerstoffvorrat zu Fuß nicht erreichen würde.
Die anderen Fragen blieben Rätsel, deren Lösung für alle Leben oder Tod bedeuten konnte. Aber überlegungen und Hypothesen mußten zurücktreten vor der Notwendigkeit zu handeln.
Horpach erfuhr nach Mitternacht von der Katastrophe der Rohan-Gruppe; eine halbe Stunde später startete er.
Einen Raumkreuzer an eine nur zweihundert Kilometer entfernte Stelle zu fliegen ist eine undankbare Aufgabe.
Das Schiff muß die ganze Zeit hindurch senkrecht über dem Antriebsfeuer mit verhältnismäßig geringer Geschwindigkeit gesteuert werden und verbraucht so übermäßig viel Treibstoff. Da die Triebwerke hierfür nicht eingerichtet waren, mußten ständig Elektroautomaten eingesetzt werden; trotzdem schwebte der Stahlkoloß leicht schaukelnd durch die Nacht, wie von sanft wogenden Wellen getragen.
Für einen Beobachter auf der Regis ihr wäre das sicherlich ein ungewöhnlicher Anblick gewesen: diese im Schein der ausgestoßenen Flammen kaum sichtbare Silhouette, die sich wie auf einer Feuersäule durch die Finsternis schob.
Kurs zu halten war auch keine Kleinigkeit. Man mußte über die Atmosphäre steigen und dann wieder mit dem Heck voran in sie eintauchen.
All das beanspruchte die volle Aufmerksamkeit des Astrogators, zumal da der gesuchte Krater unter einem dünnen Wolkenschleier verborgen lag. Schließlich setzte der „Unbesiegbare“ noch vor Tagesanbruch im Krater auf, zwei Kilometer von Regnars alter Station entfernt. Superkopter, Maschinen und Baracken wurden sofort im Kraftfeldbereich des Kreuzers aufgestellt, und ein gutausgerüsteter Bergungstrupp hatte gegen Mittag alle Überlebenden von Rohans Gruppe eingeholt. Sie waren zwar gesund, aber geistesabwesend. Zwei Räume mußten zusätzlich als Lazarett eingerichtet werden, weil im eigentlichen Bordlazarett kein Platz mehr frei war. Nun erst machten sich die Wissenschaftler daran, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen, dem Rohan seine Rettung zu verdanken hatte und das — wäre nicht der tragische Zwischenfall mit dem Werfer in der Hand eines Wahnsinnigen gewesen — auch Jarg gerettet hätte.
Es war unbegreiflich, denn beide hatten sich weder in Ausrüstung und Kleidung noch im Aussehen von den anderen unterschieden. Und daß sie mit Terner zu dritt in dem kleinen Geländefahrzeug gewesen waren, durfte wohl ebensowenig von Bedeutung gewesen sein.
Gleichzeitig stand Horpach vor der unangenehmen Entscheidung, was weiter zu tun sei. Eins war klar: Er konnte mit Tatsachen zur Flottenbasis zurückkehren, die die Heimkehr rechtfertigten und das tragische Ende des „Kondors“
aufhellten. Was die Wissenschaftler am meisten beschäftigte — die metallenen Pseudoinsekten, ihre Symbiose mit den „Maschinenpflanzen“, die auf dem Gestein wucherten, und schließlich die Frage nach dem „Psychismus“ der Wolke (es war ja nicht einmal bekannt, ob nur eine oder mehrere Wolken existierten und ob sich alle kleineren Wolken zu einem geschlossenen System verbinden konnten) —, all das zusammen hätte ihn nicht bewegt, auch nur eine Stunde länger auf Regis in zu bleiben, wenn nicht noch immer vier Männer von Regnars Gruppe, unter ihnen Regnar selbst, gefehlt hätten.
Die Spuren der Vermißten hatten Rohans Gruppe in die Schlucht geführt. Zweifellos würden die Wehrlosen dort umkommen, selbst wenn die leblosen Bewohner der Regis sie unbehelligt lassen sollten. Deshalb mußte die ganze Umgebung abgesucht werden, weil die Verunglückten jeder Fähigkeit vernunftgelenkten Handelns beraubt und allein auf die Hilfe des „Unbesiegbaren“ angewiesen waren.
Das einzige, was einigermaßen feststand, war der Umkreis, auf den sich die Suchaktion erstrecken mußte, weil sich die Männer auf ihren Irrwegen durch die Grotten und Schluchten nicht mehr als einige Dutzend Kilometer von dem Krater hatten entfernen können. Sie hatten nur noch wenig Sauerstoff in den Apparaten, doch die Ärzte versicherten, es sei nicht lebensgefährlich, die Atmosphäre des Planeten zu atmen, und bei dem Zustand der Leute hatte eine Benommenheit, die durch im Blut gelöstes Methan hervorgerufen wurde, natürlich keine ernste Bedeutung.
Das Gelände, das für die Suchaktion in Frage kam, war nicht allzu ausgedehnt, aber ausgesprochen schwierig und unübersichtlich. Alle Winkel und Spalten, Grotten und Höhlen durchzukämmen würde selbst unter günstigen Voraussetzungen Wochen dauern. Unter den Felsschichten der gewundenen Schluchten und der Täler lag, nur an manchen Stellen mit ihnen verbunden, ein zweites System unterirdischer, vom Wasser ausgespülter Gänge und Grotten verborgen.
Es war durchaus möglich, daß die Verschollenen sich in einem dieser Verstecke aufhielten, außerdem war kaum damit zu rechnen, sie alle an einem Ort zu finden. Des Gedächtnisses beraubt, waren sie hilfloser als Kinder, denn die wären zumindest zusammengeblieben. Obendrein war diese Gegend als Niststelle der schwarzen Wolke bekannt. Die riesigen Anlagen des „Unbesiegbaren“ und seine technische Ausrüstung waren bei der Suchaktion nicht recht zu gebrauchen.