Dann war das Bild wieder leer und stach mit seinem silbrigen Weiß in die Augen. Jeden Moment mußte die Maschine bereits in Direktübertragung auftauchen. Der Bootsmann am Radarschirm war bereit, eine Außenbugfernsehkamera über die Spitze des Raumschiffes auszufahren, durch die das Blickfeld vergrößert wurde. Der Nachrichtentechniker schoß die nächste Sonde ab. Der Zyklop schien sich nicht geradenwegs auf den „Unbesiegbaren“ zuzubewegen, der ihn in voller Kampfbereitschaft unter der Wölbung des Kraftfeldes erwartete. In gleichmäßigen Abständen stoben Fernsehsonden aus seinem Bug.
Rohan wußte, daß der „Unbesiegbare“ eine Ladung Antimaterie aufhalten konnte, aber die Stoßenergie abzufangen, mußte Verluste der Energiereserven verursachen.
In dieser Situation hielt er es für das vernünftigste umzukehren, das heißt, sich auf eine stationäre Umlaufbahn zu begeben. Jede Minute rechnete er mit dem Befehl, aber Horpach schwieg unbegreiflich, als glaubte er, das Elektro— nengehirn der Maschine würde zur Besinnung kommen.
Tatsächlich fragte er, mit schwerem Blick den Bewegungen der dunklen Gestalt folgend, die lautlos zwischen den Dünen dahinglitt: „Sie rufen ihn doch?“
„Jawohl. Keine Verbindung.“
„Sendet: Sofort stop!“
Die Techniker machten sich an den Pulten zu schaffen.
Zwei-, drei-, viermal zuckten Lichtstreifen unter ihren Händen auf.
„Keine Antwort, Astrogator.“
Warum startet er nicht? Rohan konnte es nicht fassen.
Will er sich die Niederlage nicht eingestehen? Was für ein Blödsinn! Horpach! Er hat sich bewegt… jetzt… jetzt. befiehlt er… Aber der Astrogator trat nur einen Schritt zurück.
„Kronotos?“
Der Kybernetiker näherte sich ihm. „Hier.“
„Was können sie mit ihm gemacht haben?“
Rohan war betroffen. Horpach hatte „sie“ gesagt, als hätte er es wirklich mit denkenden Gegnern zu tun.
„Die autonomen Stromkreise sind auf Kriotronen“, begann Kronotos, und es war zu spüren, daß er nur Vermutungen aussprechen würde. „Die Temperatur ist angestiegen, sie haben die Supraleitfähigkeit verloren…“
„Wissen Sie das, Doktor, oder rätseln Sie herum?“
fragte der Astrogator.
Es war ein sonderbares Gespräch. Alle starrten den Bildschirm an, auf dem der Zyklop jetzt ohne Übertragung durch die Sonde zu sehen war und mit flüssigen und doch etwas unsicheren Bewegungen vorwärtskroch — er wich mitunter vom Kurs ab, als wäre er noch im Zweifel, welchem Ziel er eigentlich zustrebte. Er schoß ein paarmal auf die nun überflüssige Telesonde, ehe er sie traf. Sie sahen sie wie eine grelle Leuchtkugel fallen.
„Das einzige, was ich mir vorstellen kann, ist eine Resonanz“, sagte der Kybernetiker nach kurzem Zögern. „Wenn sich ihr Feld mit der Selbstwecktendenz des Hirns gedeckt hat…“
„Und das Kraftfeld?“
„Ein Kraftfeld schirmt ein magnetisches Feld nicht ab.“
„Schade“, bemerkte der Astrogator trocken.
Allmählich ließ die Spannung nach, weil der Zyklop nun offensichtlich nicht mehr auf das Mutterschiff zusteuerte.
Die Entfernung zwischen ihnen, die eine Minute zuvor sehr klein gewesen war, wurde wieder größer. Das Fahrzeug, das der menschlichen Kontrolle entzogen war, wandte sich hinaus in die Weiten der nördlichen Wüste.
„Der Chefingenieur wird mich vertreten“, sagte Horpach. „Die anderen Herren bitte ich nach unten.“
Die lange Nacht
Rohan wurde vor Kälte wach. Verschlafen kuschelte er sich unter seiner Decke zusammen und preßte das Gesicht ins Kissen. Er versuchte, das Gesicht mit den Händen zuzudecken, aber immer heftigere Kälte umfing ihn. Er wußte, daß er zu sich kommen mußte, aber er zögerte den Augenblick hinaus, ohne zu wissen warum. Mit einemmal richtete er sich im Dunkeln in seiner Koje auf. Ein eisiger Lufthauch traf ihn mitten ins Gesicht. Er sprang aus der Koje und tastete sich leise fluchend zur Klimaanlage. Als er sich hingelegt hatte, war ihm so heiß gewesen, daß er den Knopf auf kalt gedreht hatte.
Allmählich erwärmte sich die Luft in der kleinen Kajüte, trotzdem konnte er, unter der Decke zusammengekauert, nicht wieder einschlafen. Er blickte auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr — drei Uhr Bordzeit. Wieder nur drei Stunden Schlaf, dachte er wütend. Er fror noch immer.
Die Beratung hatte lange gedauert, erst um Mitternacht waren sie auseinandergegangen. Soviel Gerede um nichts und wieder nichts, dachte er. Jetzt, in dieser Dunkelheit, hätte er wer weiß was darum gegeben, in der Raumstation zu sein. Nichts mehr hören und sehen von der verfluchten Regis iii, von ihrem toten und wie der Tod erfinderischen Alptraum! Die meisten Strategen hatten geraten, auf Umlaufbahn zu gehen, nur der Chefingenieur und der Chefphysiker hatten von Anfang an Horpachs Meinung vertreten: bleiben, solange wie möglich. Die Chance, die vier Vermißten aus Regnars Gruppe zu finden, stand vielleicht eins zu hunderttausend, oder nicht einmal soviel. Wenn sie nicht schon vorher umgekommen waren, dann konnte nur große Entfernung vom Kampfplatz sie vor der Atomhölle gerettet haben. Rohan hätte sehr gern erfahren, ob der Astrogator nur wegen der vier Leute nicht gestartet war oder ob dabei andere Überlegungen eine Rolle gespielt hatten.
Wie sich die Sache hier ansah, das war eine Seite; ganz anders würde sie in den dürren Worten eines Berichts und im ruhigen Licht der Raumstätion wirken. Dort würde man sagen, daß sie die Hälfte der Geländefahrzeuge und die Hauptwaffe, den Zyklopen mit dem Antimateriewerfer, eingebüßt hatten, der künftig eine zusätzliche Gefahr für jedes Raumschiff darstellen würde, das auf dem Planeten landete, daß sie sechs Menschenleben zu beklagen hatten und daß darüber hinaus die halbe Besatzung krankenhausreif und für Jahre, vielleicht für immer, fluguntauglich war. Und wegen dieser Verluste an Menschen, Maschinen und der besten Geräte waren sie vor mikroskopisch winzigen Kristallen, den Geschöpfen eines kleinen Wüstenplaneten, dem toten Überbleibsel der auf der Erde längst überholten Leierzivilisation, davongelaufen — denn was wäre jetzt eine Umkehr anderes als eine ganz gewöhnliche Flucht.
Aber war Horpach ein Mensch, der solche Beweggründe berücksichtigte?
Vielleicht wußte er selbst nicht genau, warum er nicht startete? Vielleicht wartete er auf irgend etwas?
Aber auf was? Freilich, die Biologen hatten von der Möglichkeit gesprochen, jene toten Insekten mit ihrer eigenen Waffe zu schlagen. Wenn diese Art eine Evolution durchgemacht hatte, schlußfolgerten sie, so könnte man ihre weitere Entwicklung steuern. Zunächst müsse man bei einer erheblichen Menge eingefangener Exemplare Mutationen, bestimmte Erbveränderungen, hervorrufen, die im Laufe der Vermehrung bei den nachfolgenden Generationen wieder auftreten und die ganze kristalline Rasse unschädlich machen würden.
Es müsse eine sehr spezifische Veränderung sein, eine Veränderung, die sofort einen Nutzeffekt verspreche und zugleich bewirke, daß der neue Typ eine Achillesferse, einen wunden Punkt aufweise, den man angreifen könne. Aber das war eben das übliche, spekulative Geschwätz von Theoretikern: Sie hatten keine Ahnung, was für eine Mutation, was für eine Veränderung das sein sollte, wie sie zu erreichen war, wie viele dieser verfluchten Kristalle zu fangen waren, ohne abermals einen Kampf wagen zu müssen, in dem eine Niederlage noch größer sein könnte als am Tage zuvor. Selbst wenn alles gut ginge, wie lange müßte man auf die Ergebnisse dieser neuen Evolution warten? Doch nicht nur Tage und Wochen. Sollten sie etwa um die Regis kreisen wie auf einem Karussell, ein Jahr, zwei oder gar zehn Jahre? All das hatte keinen Sinn.
Rohan merkte, daß er die Klimaanlage zu weit aufgedreht hatte: Wieder war es zu heiß geworden. Er schleuderte die Decke weg, stand auf, wusch sich, kleidete sich rasch an und verließ die Kabine.