Langsam nickte er, als hätte er ja gesagt. Verstehst du? fragte der Astrogator mit den Augen. Ich verstehe, antwortete Rohan mit einem Blick. Aber als ihm alles immer mehr bewußt wurde, da fühlte er, daß das nicht sein konnte, daß niemand das Recht hatte, so etwas von ihm zu verlangen, nicht einmal er selbst. Er schwieg weiter. Er schwieg, aber nun tat er bereits, als ahnte er nichts, als wüßte er von nichts. Er klammerte sich an die naive Hoffnung, das verleugnen zu können, was in ihren Blicken hin— und hergegangen war, denn es war nicht ausgesprochen worden. Er könnte Begriffsstutzigkeit vortäuschen, denn er wußte, er spürte es, Horpach würde niemals von selbst zu ihm sprechen.
Aber der andere sah das, er sah alles. So saßen sie reglos. Horpachs Blick wurde weicher. Weder Erwartung lag jetzt darin noch zwingende Zudringlichkeit, nur Mitgefühl, als wollte er sagen: Gut, ich verstehe. Meinetwegen.
Der Kommandant senkte den Kopf. Eine Sekunde noch, und das Unausgesprochene wäre verschwunden, und beide könnten tun, als wäre nichts geschehen. Aber der gesenkte Blick gab den Ausschlag. Rohan hörte sich selbst sagen: „Ich gehe.“
Horpach seufzte tief auf, aber Rohan merkte es nicht, er war erschrocken über die eigenen Worte.
„Nein“, sagte Horpach, „so gehst du mir nicht.“ Rohan schwieg. „Ich konnte es dir nicht sagen“, begann der Astrogator.
„Ich durfte nicht mal einen Freiwilligen suchen. Dazu bin ich nicht berechtigt. Aber nun weißt du selbst, daß wir so nicht abfliegen können. Nur ein einzelner Mann kann dort hineingelangen und wieder herauskommen. Ohne Schutzhelm, Maschinen und Waffen.“
Rohan vernahm seine Stimme wie von fern.
„Ich erläutere dir jetzt meinen Plan. Du denkst darüber nach. Du kannst ihn verwerfen, denn nach wie vor bleibt alles noch unter uns. Ich stelle es mir so vor: Ein Sauerstoffgerät aus Silikon. Kein Metall. Ich schicke zwei unbemannte Geländefahrzeuge. Sie ziehen die Wolke auf sich und werden von ihr vernichtet. Zur gleichen Zeit startet ein dritter Geländewagen mit einem Mann. Das ist eigentlich das größte Risiko, weil er möglichst nahe heranfahren muß, um keine Zeit für den Marsch durch die Wüste zu verlieren. Der Sauerstoffvorrat reicht 18 Stunden. Ich habe hier Photogramme von der ganzen Schlucht und ihrer Umgebung.
Ich glaube, man sollte einen anderen Weg einschlagen als die bisherigen Expeditionen. So nahe wie möglich an den Nordrand des Hochplateaus heranfahren und von dort zu Fuß über die Felsen hinuntersteigen; in den oberen Teil der Schlucht. Wenn sie überhaupt irgendwo sind, dann dort. Dort hätten sie überleben können. Das Gelände ist schwierig, voller Höhlen und Klüfte. Falls du alle findest oder auch nur einen…“
„Eben. Wie soll ich sie fortbringen?“ fragte Rohan und spürte den Kitzel trotziger Genugtuung. Hier ging der Plan in die Brüche. Wie leicht Horpach ihn doch opferte…
„Du hast ein geeignetes, leichtes Betäubungsmittel. So etwas gibt es. Du gebrauchst es natürlich nur, wenn der Gefundene nicht laufen will. Zum Glück können sie in diesem Zustand ja laufen.“
Zum Glück, dachte Rohan. Er ballte die Fäuste unter dem Tisch, damit Horpach es nicht bemerkte. Er hatte keine Angst, noch nicht. Alles war viel zu unwirklich.
„Sollte sich die Wolke für dich interessieren, so mußt du dich steif auf den Boden legen. Ich habe an ein Präparat für diesen Fall gedacht, aber es würde zu spät wirken. Bleibt nur der Kopfschutz, der Stromsimulator, von dem Sax gesprochen hat.“
„Gibt es den schon?“ fragte Rohan. Horpach verstand den verborgenen Sinn dieser Frage, aber er blieb ruhig.
„Nein. Aber er läßt sich binnen einer Stunde herstellen.
Ein im Haar verborgenes Netz. Ein kleines Gerät, das Stromstöße erzeugt. Es wird in den Kragen des Skaphanders eingenäht. Ich gebe dir jetzt eine Stunde Zeit. Ich würde dir mehr geben, aber mit jeder weiteren Stunde wird die Aussicht auf Rettung geringer. Sie ist ohnehin minimal.
Wann entscheidest du dich?“
„Ich habe mich bereits entschieden.“
„Dummer Junge. Hörst du nicht, was ich dir sage? Das vorhin habe ich nur gesagt, weil du begreifen solltest, daß wir noch nicht starten dürfen.“
„Sie wissen ohnehin, daß ich gehe.“
„Du gehst nicht, wenn ich es dir nicht erlaube. Vergiß nicht: Der Kommandant bin immer noch ich. Vor uns liegt ein Problem, dem alle persönlichen Ambitionen untergeordnet werden müssen.“
„Ich verstehe“, sagte Rohan. „Sie wollen nicht, daß ich mich genötigt fühle. Schön. Gilt für das, was wir jetzt äußern, ebenfalls unsere Vereinbarung?“
„Ja.“
„Dann möchte ich wissen, was Sie an meiner Stelle täten.
Wir tauschen die Rollen — umgekehrt wie eben…“
Horpach schwieg eine Weile.
„Und wenn ich sagte, daß ich nicht gehen würde?“
„Dann gehe ich auch nicht. Aber ich weiß, daß Sie die Wahrheit'sagen.“
„Dann gehst du nicht? Ehrenwort? Nein, nein… Ich weiß, das ist nicht nötig.“
Der Astrogator stand auf.
Da erhob sich auch Rohan. „Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“
Der Astrogator sah ihn an. Er war größer, bedeutend kräftiger gebaut, breiter in den Schultern. Seine Augen hatten den gleichen müden Ausdruck wie zu Beginn des Gesprächs.
„Du kannst gehen“, sagte er.
Rohan straffte sich unwillkürlich und wandte sich der Tür zu. Da machte der Astrogator eine Bewegung, als wollte er ihn zurückhalten, am Arm fassen, aber Rohan bemerkte es nicht. Er verließ den Raum, und Horpach blieb reglos an der Tür zurück. Lange stand er so.
Der „Unbesiegbare“
Die ersten beiden Geländefahrzeuge rollten vor Tagesanbruch die Rampe hinunter. Noch waren die Dünenhänge auf der Sonnenseite schwarz, von nächtlicher Finsternis überschattet. Das Kraftfeld tat sich auf, gab den Maschinen den' Weg frei und schloß sich wieder unter blauem Lichterfunkeln.
Auf dem hinteren Trittbrett des dritten Wagens, gleich unter dem Heck des Raumkreuzers, saß Rohan, im Skaphander, ohne Helm und Schutzbrille, nur die kleine Maske des Sauerstoffgeräts vor dem Mund. Er hielt die Knie mit den Händen umspannt, weil er so bequemer den hüpfenden Sekundenzeiger beobachten konnte.
In der linken Brusttasche seines Schutzanzuges trug er vier Ampullen, in der rechten dünn gepreßte Nährkonzentrattabletten, und die Taschen der Knieschützer bargen kleine Instrumente: einen Strahlungsmesser, eine kleine Magnetuhr, einen Kompaß und eine Mikrophotogramm— Geländekarte, nicht größer als eine Postkarte. Man mußte sie durch eine starke Lupe betrachten. Er war mit einer sechsfachen Rolle aus feinstem Plastseil gegürtet, von seiner Kleidung waren alle Metallteile entfernt worden. Das Drahtgeflecht im Haar merkte er überhaupt nicht, es sei denn, er verzog absichtlich die Kopfhaut. Er spürte auch nicht den kreisenden Strom darin, aber er konnte den im Kragen eingenähten Mikrosender kontrollieren, wenn er den Finger an diese Stelle legte. Der kleine, harte Zylinder tickte gleichmäßig, und sein Puls war bei Berührung deutlich zu fühlen.
Im Osten hing ein roter Streifen am Himmel, auch war Wind aufgekommen. Er peitschte die Sandgipfel der Dünen.
Die niedrigen Kraterzacken am Horizont schienen allmählich in einer Flut von Rot zu zerfließen. Rohan hob den Kopf. Zwischen ihm und dem Raumschiff sollte keine zweiseitige Verbindung eingerichtet werden, weil ein Sender sofort Rohans Anwesenheit verraten hätte. Aber in seinem Ohr klemmte ein winziger Empfangsapparat, nicht größer als ein Obstkern. Der „Unbesiegbare“ konnte ihm — zumindest eine Zeitlang — seine Signale senden. Jetzt begann es im Apparat gerade zu sprechen, und es war beinahe, als vernähme er eine Stimme in seinem Kopf.