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Er wollte auf die Uhr blicken, aber es gelang ihm nicht, die Hand auch nur eine Sekunde lang vor die Augen zu halten. Mit gebeugten Knien versuchte er, die entsetzlichen Stöße, die ihm die Eingeweide ordentlich durcheinanderrüttelten, abzufangen. Mit einemmal ging die Maschine vorn hoch und stürzte seitlich in die Tiefe. Die Bremsen kreischten, aber schon rutschte von allen Seiten Geröll nach und prasselte klirrend auf die dünnen Panzerplatten. Der Wagen wendete krampfhaft, schleuderte und glitt eine Weile auf der Seite durch das Steinmeer, dann hörte diese Bewegung auf.

Langsam richtete sich die Maschine auf und kroch wieder hartnäckig hangaufwärts. Jetzt sah Rohan bereits die Schlucht. Er erkannte sie an den schwärzlichen, an Krummholz erinnernden, gräßlichen Gestrüppflecken, die die stehlen Felsen überzogen. Etwa eine halbe Meile trennte ihn vom Rande der Schlucht. 34 Kilometer…

Der Hang, den er noch zu überqueren hatte, sah aus wie ein einziges Meer aus chaotisch übereinandergeworfenen Felstrümmern. Es schien unmöglich, daß die Maschine sich dort einen Weg würde bahnen können. Er hatte es bereits aufgegeben, nach passierbaren Stellen zu suchen, da es ohnehin nicht bei ihm lag, den Wagen zu steuern. So bemühte er sich vielmehr, die beiderseits des Talkessels aufragenden Felswände nicht aus den Augen zu lassen. Jede Sekunde konnte die schwarze Wolke daraus hervorquellen.

„Rohan… Rohan…“, hörte er plötzlich. Das Herz schlug ihm höher. Er erkannte Horpachs Stimme.

„Der Wagen wird dich wahrscheinlich nicht ans Ziel bringen. Wir können von hier aus die Neigung des Hanges nicht genau überblicken, aber du hast vielleicht nur noch fünf oder sechs Kilometer Fahrt vor dir. Wenn der Wagen steckenbleibt, mußt du zu Fuß weiter. Ich wiederhole…“

Höchstens 42 oder 43 Kilometer… Also bleiben mir ungefähr 17. In diesem Gelände sind das wenigstens vier Stunden, wenn nicht mehr, rechnete Rohan blitzschnell. Aber vielleicht täuschen sie sich und der Wagen kommt durch.

Die Stimme verstummte, und wieder war nur das rhythmische Singen der Sonde zu vernehmen. Rohan biß fester auf das Mundstück der Sauerstoffmaske. Es hatte ihm bei den heftigen Stößen die Lippen aufgerieben. Die Sonne berührte nun nicht mehr den nahen Bergkamm, aber sie war auch nicht höher gestiegen. Vor den Augen hatte er große und kleine Gesteinsbrocken und Felsplatten, manchmal griff ihr kalter Schatten nach ihm. Der Wagen fuhr jetzt viel langsamer. Als Rohan den Blick hob, sah er winzige Federwolken über den Himmel segeln. Ein paar Sterne glitzerten. Plötzlich geschah etwas Sonderbares mit dem Fahrzeug: Das Heck sackte ab, das Vorderteil hob sich steil.

Der Wagen bäumte sich auf wie ein scheuendes Pferd. Eine Sekunde, und er wäre in die Tiefe gestürzt und hätte Rohan unter sich begraben, wenn er nicht mit einem Satz abgesprungen wäre. Er fiel auf Knie und Hände. Durch die dicken Schutzhandschuhe und die Schienbeinschützer fühlte er den harten Aufprall, er schlitterte etwa zwei Meter über das Geröll, ehe er Halt fand. Die Räder stöhnten noch einmal auf, dann stand die Maschine.

„Achtung, Rohan! Das ist Kilometer 39… Der Wagen kommt nicht weiter. Du mußt zu Fuß gehen.. Orientiere dich nach der Karte. Das Fahrzeug bleibt dort, für den Fall, daß du nicht anders zurück kannst. Du bist jetzt am Schnittpunkt der Koordinaten 46 und…“

Rohan richtete sich langsam auf. Jeder Muskel schmerzte.

Aber nur die ersten Schritte fielen ihm schwer. Er lief sich ein. Er wollte so rasch wie möglich von dem zwischen zwei Felsschwellungen eingeklemmten Wagen fort. Unter einem großen Gesteinsobelisken setzte er sich nieder, zog die Karte aus der Tasche und versuchte, sie einzurichten. Das war nicht einfach. Endlich hatte er seinen Standort bestimmt.

Vom oberen Rand der Schlucht trennte ihn etwa ein Kilometer in Luftlinie, aber an dieser Stelle war an einen Abstieg nicht zu denken. Eine einzige Schicht aus Metallgestrüpp bedeckte die Hänge. Er ging also bergan und fragte sich die ganze Zeit, ob er den Abstieg auf den Grund der Schlucht an einer näher gelegenen, nicht an der, vorgesehenen Stelle wagen sollte. Denn dorthin würde er wenigstens vier Stunden brauchen. Selbst wenn es gelänge, mit dem Wagen zurückzufahren, mußte er für den Rückweg weitere fünf Stunden rechnen, und wieviel Zeit würde allein der Abstieg in die Schlucht beanspruchen, von der Suche ganz zu schweigen. Mit einemmal schien ihm der ganze Plan kein Gran gesunden Menschenverstandes zu enthalten. Es war einfach eine ebenso eitle wie heroische Geste, mit der Horpach ihn geopfert hatte, um das eigene Gewissen zu beschwichtigen.

Eine Weile war er so wütend — er hatte sich wie ein kleiner Schuljunge hinters Licht führen lassen, denn der Astrogator hatte alles im vorhinein festgelegt —, daß er seine Umgebung kaum wahrnahm. Allmählich faßte er sich. Es gibt kein Zurück, hämmerte er sich ein, ich werde es versuchen.

Wenn mir der Abstieg nicht gelingt, wenn ich bis drei Uhr niemanden gefunden habe, dann kehre ich um. Es war Viertel nach sieben. Er bemühte sich, mit langen, gleichmäßigen, aber nicht zu raschen Schritten voranzukommen, weil der Sauerstoffverbrauch bei jeder Anstrengung ruckhaft anstieg. Am rechten Handgelenk befestigte er den Kompaß, um nicht von der einmal gewählten Richtung abzuweichen.

Einige Male mußte er jedoch Klüfte mit abschüssigen Wänden umgehen. Die Schwerkraft war auf der Regis bedeutend geringer als auf der Erde, das ließ ihm wenigstens selbst in diesem schwierigen Gelände verhältnismäßig viel Bewegungsfreiheit. Die Sonne war höher gestiegen.

Sein Gehör, das die ständige Begleitung all der Laute gewohnt war, mit denen ihn auf den bisherigen Expeditionen die Maschinen wie mit einer schützenden Barriere umringt hatten, war nun wie bloßgelegt und besonders reizempfindlich.

Dann und wann vernahm er nur, jetzt viel schwächer als zuvor, das rhythmische Singen der Sonde.

Dafür erregte jeder Windstoß, der um die Felszacken fauchte, seine Aufmerksamkeit, da er darin das wohlbekannte feine Summen zu hören glaubte, an das er sich so gut erinnerte. Allmählich hatte er sich an den Marschschritt gewöhnt und konnte nun, mechanisch von Stein zu Stein stapfend, ungehindert nachdenken. Er trug einen Schrittzähler in der Tasche. Er wollte nicht zu früh nach dem Zeiger sehen und entschloß sich, das erst nach einer Stunde zu tun. Doch er hielt es nicht aus und zog das uhrähnliche, kleine Gerät hervor, bevor die Stunde vorüber war. Aber er war schmerzlich enttäuscht. Keine drei Kilometer hatte er zurückgelegt. Große Höhenunterschiede hatte er überwinden müssen, das hatte ihn aufgehalten. Also nicht drei, auch nicht vier Stunden, sondern wenigstens noch sechs, dachte Rohan. Er zog die Karte hervor und richtete sie kniend von neuem ein. 700 bis 800 Meter weiter östlich war der Kämm der Schlucht zu sehen. Die ganze Zeit war er ungefähr parallel dazu marschiert. An einer Stelle wurde das schwarze Gesträuch an den Hängen von einer fadendünnen, gewundenen Lücke geteilt; wahrscheinlich war das ein ausgetrocknetes Bachbett. Er bemühte sich, es genauer zu erkennen. Auf den Knien, in dem Wind, der ihm um die Ohren pfiff, durchlebte er Augenblicke der Unentschlossenheit.

Als wüßte er selbst nicht genau, was er tat, erhob er sich, steckte mechanisch die Karte ein, bog rechtwinklig von seiner bisherigen Richtung ab und strebte der Steilwand der Schlucht zu.

Er näherte sich den stummen, zerklüfteten Felsen, als könnte sich jeden Augenblick der Boden unter ihm auftun.

Entsetzliche Angst krampfte ihm das Herz zusammen.

Doch er ging weiter, noch immer mit den Händen ausholend, die ihm furchtbar leer schienen. Mit einem Ruck blieb er stehen und schaute ins Tal, auf die Wüste hinunter, wo der „Unbesiegbare“ war. Er konnte das Raumschiff nicht sehen, es war hinter dem Horizont. Das wußte er, doch er blickte in diesen rötlichen Himmel, der sich langsam mit bauschigen Wolken füllte. Das Singen der Sondensignale wurde so schwach, daß er nicht sicher war, ob er es sich vielleicht nur noch einbildete. Warum schwieg der „Unbesiegbare“?