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So langte er an der breitesten Stelle der Schlucht an, die hier in einen von felsigen Höhen gerahmten Talkessel mündete.

Rund zwei Kilometer entfernt lag das Felsentor, der Ort der Katastrophe. Jetzt erst wurde ihm bewußt, wie sehr ihm der Olfaktometer fehlen würde. Er hätte ihm behilflich sein können, menschliche Spuren aufzufinden, doch das Gerät wäre für einen Fußgänger zu schwer gewesen. Er mußte also ohne ihn auskommen. Er blieb stehen und musterte die Felsen. Daß jemand in dem Metallgestrüpp Zuflucht gesucht hatte, war ausgeschlossen. Blieben nur die Grotten, Höhlen und Felsmulden — von seinem Standort aus zählte er vier. Hohe Felsschwellen mit senkrechten Wänden, die nicht alltägliche Ersteigungsschwierigkeiten verhießen, entzogen deren Inneres seinem Blick. Daher entschloß er sich, als erstes der Reihe nach die Grotten zu untersuchen.

Schon vorher, an Bord des Raumkreuzers, hatte er zusammen mit den Ärzten und den Psychologen überlegt, wo die Verschollenen zu suchen seien, das heißt, wo sie sich versteckt haben könnten. Aber im Grunde hatte ihm diese Beratung nicht viel genützt, weil das Verhalten eines Amnesiegelähmten unberechenbar ist. Daß sich die Vermißten zu viert von Regnars übrigen Leuten entfernt hatten, deutete auf eine Aktivität hin, die sie von den anderen unterschied.

Und in gewisser Hinsicht ließ auch die Tatsache, daß die Spuren der vier bis zu dieser Stelle auf dem abgesuchten Gelände nicht auseinandergeführt hatten, darauf hoffen, sie alle zusammen zu finden — natürlich nur, wenn sie überhaupt noch am Leben waren und sich nicht oberhalb des Felsentores in verschiedene Richtungen gewandt hatten.

Rohan suchte nacheinander zwei kleine und vier größere Grotten ab, in die er verhältnismäßig leicht gelangte — er brauchte nur ein paar große, schräge Felsplatten zu überklettern.

Das war ungefährlich und dauerte nur wenige Minuten.

In der letzten Grotte stieß er auf zum Teil überschwemmte Metalltrümmer, die er anfangs für das Skelett des zweiten Arctans hielt; aber sie waren uralt und erinnerten nicht an eine ihm bekannte Konstruktion. In einem flachen Tümpel, der sichtbar war, weil die glatte, wie polierte Gewölbedecke spärliches Tageslicht widerspiegelte, lag eine merkwürdige, längliche Form, die ein wenig einem fünf Meter langen Kreuz ähnelte. Das Blech, das sie von außen umgeben haben mochte, war längst zerfallen, hatte sich auf dem Grunde mit Schlamm vermischt und eine rostrot gefärbte Masse gebildet. Rohan konnte sich nicht erlauben, diesen ungewöhnlichen Fund, vielleicht das Wrack eines jener Makroautomaten, die durch die Siegerin der toten Evolution, die Wolke, ausgerottet worden waren, genauer zu untersuchen. Er prägte sich nur das Bild ein: verschwommene Umrisse von Bändern und Stangen, die wohl mehr zum Fliegen als zum Gehen gedient hatten. Die Uhr gebot immer größere Eile, und unverzüglich machte er sich daran, die nächsten Höhlen abzusuchen. Doch sie waren so zahlreich — von der Talsohle aus waren sie bisweilen als schwarz gähnende Fenster in den steilen Felswänden zu sehen gewesen —, und die häufig wassergefüllten, unterirdischen Gänge, die hier und da zu senkrecht abfallenden Schächten und Gräben mit eiskalten, gurgelnden Rinnsalen führten, hatten so viele Windungen, daß er nicht wagte, weit in sie vorzu— stoßen. Außerdem besaß er nur eine kleine Handlampe, die verhältnismäßig schwaches Licht gab und besonders in den weitläufigen Grotten mit ihren hohen Deckengewölben und den unzähligen Galerien, auf die er einigemal stieß, machtlos war. Schließlich, als er vor Erschöpfung beinahe zusammenbrach, ließ er sich auf einem riesigen, von den Sonnenstrahlen erwärmten, flachen Stein am Ausgang einer eben durchsuchten Höhle nieder, kaute einige Riegel des Preßkonzentrats und spülte die trockenen Bissen mit Wasser aus dem Wildbach hinunter. Mehrmals glaubte er das Rauschen der heranziehenden Wolke zu hören, aber es war wohl nur das Echo der Sisyphusarbeit jenes Arctans, das von den oberen Talregionen herüberhallte. Als er seine schmalen Vorräte verzehrt hatte, war ihm bedeutend wohler.

Am meisten wunderte ihn, daß ihn die gefährliche Nachbarschaft immer weniger kümmerte: das schwarze Dickicht, das sich die Hänge hinaufschob, wohin er auch blickte.

Er kletterte den Felsvorsprung vor der Höhle hinunter, auf dem er gerastet hatte, und gewahrte eine Art dünnen, rostigen Streifens, der sich über die trockenen Steine auf der anderen Talseite zog. Als er dort eintraf, erkannte er Blutspuren.

Sie waren völlig eingetrocknet und hatten sich verfärbt, und wäre nicht das ausnehmend helle Weiß des Felsengesteins gewesen, das an Kalkstein erinnerte, so wären sie ihm gewiß entgangen. Er versuchte herauszubekommen, welche Richtung der Verletzte eingeschlagen hatte, aber es gelang ihm nicht. So marschierte er denn aufs Geratewohl talaufwärts, von dem Gedanken beflügelt, daß es sich vielleicht um einen Mann handelte, der bei dem Kampf zwischen dem Zyklopen und der Wolke verwundet worden war und die Kampfstätte hatte verlassen wollen. Die Spuren kreuzten sich, an manchen Stellen brachen sie ab, doch schließlich führten sie ihn in die Nähe einer Höhle, die er als eine der ersten abgesucht hatte. Um so größer war seine Oberraschung, als sich herausstellte, daß sich neben dem Eingang ein senkrechter, schachtähnlicher, enger Spalt auftat, den er zuvor nicht bemerkt hatte. Dort endete die Blutspur.

Rohan ließ sich auf die Knie nieder und beugte sich über das halbdunkle Loch. Obwohl er auf das Schlimmste gefaßt war, vermochte er einen gepreßten Aufschrei nicht zu unterdrücken, denn er erblickte Benningsens Kopf, der ihm mit leeren Augenhöhlen und gebleckten Zähnen entgegenstarrte.

Er erkannte ihn am Goldrand der Brille, deren Gläser wie durch eine Ironie des Schicksals heil geblieben waren und im Widerschein des Lichtes, das von der über diesen Felsensarg geneigten Kalksteinplatte einfiel, in reinem Glanz funkelten. Der Geologe war eingeklemmt zwischen Gesteinsbrocken, deshalb war sein Körper, mit den Schultern in die natürliche Verkleidung des Steinschachtes eingekeilt, senkrecht stehengeblieben. Rohan wollte die Überreste des Mannes nicht so zurücklassen, aber als er sich ein Herz faßte und den Leichnam anzuheben versuchte, da spürte er durch den dicken Stoff des Schutzanzuges hindurch, daß er sich unter seinem Griff auflöste. Durch die Einwirkung der Sonnenstrahlen beschleunigt, die jeden Tag hier hereindrangen, hatte die Verwesung bereits ihr Werk getan. Rohan öffnete nur den Reißverschluß an der Brusttasche des Anzuges und entnahm ihr die Erkennungsmarke des Wissenschaftlers. Bevor er seinen Weg fortsetzte, wälzte er mit letzter Kraft eine der zunächst liegenden Felsplatten heran und deckte die Felsengruft damit zu.

Der erste war gefunden. Als Rohan sich ein ganzes Stück von jener Stelle entfernt hatte, fiel ihm ein, daß er eigentlich den Leichnam auf Radioaktivität hätte prüfen müssen, denn ihr Grad konnte in gewissem Sinne das Schicksal Benningsens und auch der anderen aufklären. Eine hohe Strahlungskonzentration wäre nämlich der Beweis gewesen, daß sich der Tote in der Nähe des Atomkampfortes aufgehalten hatte. Aber er hatte es vergessen, und nichts hätte ihn jetzt bewogen, den Stein wieder wegzuschieben. Gleichzeitig wurde Rohan sich bewußt, welch große Rolle bei seiner Suche der Zufall spielte, denn er hatte doch zweifellos vorher rund um diese Stelle alles sehr gründlich abgesucht.

Von einem neuen Gedanken beseelt, folgte er jetzt hastig der Blutspur, um ihren Anfang zu finden. Sie führte in beinahe gerader Linie ins Tal hinunter, als strebte sie dem atomaren Schlachtfeld zu. Aber bereits ein paar hundert Schritte weiter bog sie plötzlich ab. Der Geologe hatte sehr viel Blut verloren, desto erstaunlicher war es, daß er so weit gekommen sein sollte. Die Steine, die seit der Katastrophe nicht ein einziger Regentropfen genetzt hatte, waren stark mit Blut befleckt. Rohan erklomm ein paar wackelige, große Blöcke und war nun in einer weitläufigen, beckenähnlichen Mulde unterhalb einer kahlen Felsrippe. Das erste, was er sah, war die unnatürlich große, metallene Fußsohle eines Roboters. Er lag auf der Seite und war offensichtlich durch eine Weyr-Serie mittendurch gespalten. Etwas weiter entfernt lehnte an einem Stein in halb sitzender Stellung, fast in zwei Hälften zusammengeklappt, ein Mann mit einem Helm, dessen Wölbung rußgeschwärzt war. Der Mann war tot. Der Werfer hing noch an der schlaffen Hand und berührte mit dem blitzenden Lauf den Boden. Rohan wagte nicht gleich, den Mann anzufassen, sondern kniete nur bei ihm nieder und versuchte, ihm ins Gesicht zu blikken, aber es war genauso von der Verwesung verunstaltet wie Benningsens Gesicht. Da entdeckte er die breite, flache Geologentasche, die über der anscheinend geschrumpften Schulter des Mannes hing. Es war Regnar selbst, der Leiter der Expedition, — die im Krater überfallen worden war. Die Radioaktivitätsmessungen ergaben, daß der Arctan mit einer Weyr-Ladung zertrümmert worden war: der Indika tor registrierte die — charakteristischen Isotope seltener Erden.