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In dem Raum, der für dieses Datum zur Verfügung stand, war mit Geralds gestochener Schrift eingetragen: 21.00 Uhr. Sonst nichts.

Was hatte Gerald um neun Uhr abends vor? Alix überlegte. Sie lächelte, denn sie sagte sich, wenn das eine Geschichte wäre, eine solche, wie man sie öfter liest, wäre unzweifelhaft mehr darüber aus dem Notizbuch zu entnehmen gewesen. Zumindest hätte es den Namen der anderen Frauen enthalten.

Langsam durchblätterte sie auch die zurückliegenden Eintragungen. Es gab Verabredungen, Besprechungstermine, geheime Anmerkungen über Geschäftsabschlüsse, aber nur einen Frauennamen, nämlich ihren eigenen.

Dennoch, als sie das Büchlein in die Tasche steckte und mit ihrem Blumenstrauß zum Haus ging, spürte sie eine leichte Unruhe. Dick Windyfords Worte kamen ihr in den Sinn, als hätte er sie in diesem Moment wiederholt: »Dieser Mann ist ein völlig Fremder für dich. Du weißt überhaupt nichts über ihn.«

Das stimmte. Was wußte sie von ihm? Gerald war immerhin vierzig. In vierzig Jahren mußte eine Frau in seinem Leben eine Rolle gespielt haben ...

Alix schüttelte ungeduldig den Kopf. Sie durfte solchen Gedanken keinen Platz einräumen. Sie hatte ein viel brennenderes Problem. Sollte sie ihrem Mann erzählen, daß Dick angerufen hatte, oder sollte sie es nicht tun? Es war ja möglich, daß Gerald ihn sowieso im Dorf getroffen hatte. In diesem Fall würde er es sicher, sobald er nach Hause kam, erwähnen. Dann wäre die Sache ohne ihr Zutun entschieden.

Wenn nicht, was dann? Alix gestand sich ein, daß sie lieber nichts sagen würde. Wenn sie ihrem Mann davon erzählte, würde er sicher vorschlagen, Dick einzuladen. Dann müßte sie ihm erklären, daß Dick sich schon selbst einladen wollte, daß sie aber eine Ausrede gebraucht hatte, um sein Kommen zu verhindern. Und wenn Gerald sie dann fragen würde, weshalb sie das getan habe - was sollte sie dann sagen? Ihm ihren Traum erzählen? Er würde doch nur lachen, oder, was noch schlimmer wäre, er würde sagen, er verstehe nicht, warum sie diesem Traum eine derartige Wichtigkeit beimesse.

Endlich beschloß Alix, nichts zu erwähnen. Es war das erste Geheimnis, das sie von ihrem Mann hatte, und sie war nicht glücklich dabei.

Als sie hörte, wie Gerald kurz vor dem Mittagessen aus dem Ort zurückkam, eilte sie in die Küche, und um ihre Verlegenheit zu verbergen, gab sie sich sehr beschäftigt mit dem Kochen. Sie merkte sofort, daß Gerald Dick Windyford nicht getroffen hatte. Alix war erleichtert und zugleich beklommen. Jetzt war sie zur Verschwiegenheit verdammt.

Erst am Abend nach dem Essen, als sie in dem eichengetäfelten Wohnzimmer saßen, fiel Alix das Notizbuch wieder ein.

»Hier hast du etwas, mit dem du die Blumen gegossen hast«, sagte sie und warf es ihm in den Schoß.

»Das habe ich wohl in den Randbeeten verloren, was?«

»Ja. Und jetzt kenne ich alle deine Geheimnisse.«

»Nicht schuldig«, lachte Gerald und schüttelte den Kopf.

»Wie steht's mit deinem Vorhaben heute abend um neun Uhr?«

»Ach, das?« Er schien einen Augenblick etwas überrumpelt, dann lächelte er, als ob ihm irgend etwas ganz besonderen Spaß machte.

»Es ist eine Verabredung mit einem außergewöhnlich netten Mädchen, Alix. Sie hat braunes Haar, blaue Augen und ist dir sehr ähnlich.«

»Ich verstehe nicht«, antwortete Alix mit vorgetäuschter Strenge.

»Du weichst mir aus.«

»Nein, das tue ich nicht. Spaß beiseite - ich wollte nur nicht vergessen, heute abend einige Negative zu kopieren. Ich möchte gern, daß du mir dabei hilfst.«

Gerald Martin war ein begeisterter Fotograf. Er besaß eine altmodische Kamera mit hervorragenden Linsen und entwickelte seine Filme in einem kleinen Keller, den er als Dunkelkammer eingerichtet hatte.

»Und das muß genau um neun Uhr sein«, neckte ihn Alix.

»Mein liebes Kind«, erwiderte Gerald, und eine Spur Gereiztheit lag in seiner Stimme, »man sollte eine Sache immer für eine ganz bestimmte Zeit planen. Dann erledigt man seine Arbeit ordnungsgemäß.«

Alix saß eine oder zwei Minuten still und beobachtete ihren Mann, wie er in seinem Sessel lag und rauchte, betrachtete den zurückgeworfenen dunklen Kopf, die klargezeichneten Linien seines glattrasierten Gesichts, die gegen den düsteren Hintergrund abstachen. Und plötzlich, aus heiterem Himmel, überfiel sie eine Welle der Panik, und bevor sie sich zurückhalten konnte, rief sie: »Ach, Gerald! Ich wünschte, ich wüßte mehr über dich!«

Ihr Mann wandte sich ihr mit erstauntem Gesicht zu.

»Aber, meine liebe Alix, du weißt alles über mich. Ich habe dir von meiner Jugendzeit in Northumberland erzählt, von meinem Leben in Südafrika und von den letzten zehn Jahren in Kanada, die mir Erfolg brachten.«

»Ach, Geschäfte«, meinte Alix wegwerfend.

Plötzlich lachte Gerald auf.

»Ich weiß, was du meinst - Liebesaffären. Ihr Frauen seid doch alle gleich. Etwas anderes interessiert euch nicht.«

Alix fühlte, wie ihr der Hals trocken wurde, während sie undeutlich murmelte: »Nun, aber es muß doch - Liebesaffären gegeben haben. Ich meine, wenn ich nur wüßte ...«

Wieder trat minutenlang Stille ein. Unwillig runzelte Gerald Martin die Stirn. Als er zu reden anfing, tat er es ernst und ohne eine Spur von seiner vorherigen neckenden Art.

»Alix, hältst du dieses Blaubart-Gehabe für klug? Es gab Frauen in meinem Leben. Ich streite es nicht ab. Du würdest es mir auch sowieso nicht glauben. Aber ich kann dir ehrlich versichern, daß keine von ihnen mir etwas bedeutete.«

Es war eine Aufrichtigkeit in seinem Ton, die Alix beruhigte.

»Zufrieden?« fragte er mit einem Lächeln. Dann blickte er sie mit einem Anflug von Neugierde an. »Wie bist du eigentlich ausgerechnet heute abend auf dieses unerquickliche Thema gekommen?«

Alix stand auf und begann ruhelos hin und her zu laufen.

»Ach, ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Ich war schon den ganzen Tag über nervös.«

»Das ist seltsam«, sagte Gerald leise, als spräche er mit sich selbst, »sehr seltsam.«

»Was ist daran seltsam?«

»Aber, mein liebes Kind, ich habe das nur so gesagt, weil du gewöhnlich ausgeglichen und nett bist.«

»Heute war alles dazu angetan, mich zu verärgern«, beichtete sie. »Sogar der alte George. Er hatte so eine lächerliche Idee im Kopf, daß wir nach London fahren würden. Er sagte, du hättest es ihm erzählt.«

»Wo hast du ihn getroffen?« fragte Gerald scharf.

»Er kam statt Freitag schon heute zur Arbeit.«

»Der verdammte alte Dummkopf«, schnauzte Gerald zornig.

Alix blickte ihn überrascht an. Das Gesicht ihres Mannes war vor Wut verzerrt. Niemals vorher hatte sie ihn so aufgebracht gesehen. Als er ihr Erstaunen bemerkte, bemühte er sich, seine Selbstkontrolle wiederzugewinnen.

»Na, er ist auch ein verflixter alter Schwätzer«, knurrte er.

»Was hast du denn zu ihm gesagt, daß er auf solche Ideen kommt?«

»Ich? Ich habe überhaupt nichts gesagt. Wenigstens - ach ja, jetzt erinnere ich mich. Ich habe einen kleinen Witz gemacht und ihm erzählt, daß ich am Morgen nach London fahre. Das hat er wohl ernst genommen. Vielleicht hört er auch nicht mehr richtig. Du hast ihn natürlich aufgeklärt?«

Gespannt wartete er auf ihre Antwort.

»Sicher. Aber er ist einer von der Sorte alter Männer, die sich von einer Idee nicht mehr abbringen lassen.«

Dann erzählte sie Gerald von Georges Behauptung, das Haus habe nur zweitausend Pfund gekostet.

Gerald war einen Augenblick still, dann sagte er langsam:

»Ames war gewillt, zweitausend Pfund in bar und den Rest in Pfandbriefen zu nehmen. Ich nehme an, daß er das durcheinandergebracht hat.«

»Wahrscheinlich«, stimmte Alix zu.

Dann blickte sie auf die Uhr.

»Wir sollten anfangen, Gerald. Fünf Minuten nach dem Plan!«

Ein undefinierbares Lächeln trat in sein Gesicht.