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Aber sie wurde unterbrochen. Gerald Martin, hochrot im Gesicht, halb erstickt, deutete mit dem Zeigefinger auf sie.

»Der Kaffee! Mein Gott, der Kaffee!«

Sie blickte ihn starr an.

»Ich weiß jetzt, warum er so bitter war. Du Teufelin! Du hast deinen Trick zum drittenmal angewendet!«

Seine Hände umklammerten die Armlehnen seines Sessels. Er war nahe daran, sie anzuspringen.

»Du hast mich vergiftet!«

Alix war vor ihm zum Kamin zurückgewichen. Sie wollte schon die Lippen öffnen, um es abzustreiten, dann hielt sie ein. Jede Sekunde würde er sie anfallen. Sie nahm alle Kraft zusammen. Ihre Augen hielten seinem Blick stand.

»Ja«, sagte sie, »ich habe dich vergiftet. Das Gift wirkt schon. Du kannst schon nicht mehr aus dem Sessel aufstehen. Du kannst dich nicht mehr bewegen.«

Da. Was war das? Schritte auf der Straße. Das Quietschen des Gartentores. Dann Schritte auf dem Weg zum Haus. Die äußere Tür öffnete sich.

»Du kannst dich nicht bewegen«, wiederholte sie.

Dann schlüpfte sie an ihm vorbei und flüchtete kopfüber aus dem Zimmer. Ohnmächtig fiel sie in die Arme von Dick Windyford.

»Mein Gott, Alix!« rief er aus.

Dann wandte er sich an den Mann neben ihm, eine große, wackere Gestalt in Polizeiuniform.

»Sehen Sie nach, was passiert ist!«

Er legte Alix behutsam auf eine Couch und beugte sich über sie.

»Mein kleines Mädchen«, murmelte er, »mein armes kleines Mädchen. Was haben sie mit dir gemacht?«

Ihre Lider zuckten, und ihre Lippen murmelten seinen Namen.

Dick fuhr hoch, als der Polizist seinen Arm berührte.

»In dem Zimmer ist nichts, Sir, außer einem Mann, der in einem Sessel sitzt. Es sieht aus, als hätte er einen schweren Schock erlitten, und ...«

»Nun, Sir, er ist tot.«

Sie waren überrascht, als sie Alix' Stimme hörten. Sie sprach wie im Traum; ihre Augen waren noch geschlossen.

»Und dann«, sagte sie, als ob sie etwas zitierte, »starb er.«

Die spanische Truhe

Pünktlich auf die Minute, wie immer, betrat Hercule Poirot den kleinen Raum, wo Miss Lemon, seine tüchtige Sekretärin, ihre Instruktionen für den Tag erwartete.

Auf den ersten Blick schien Miss Lemon gänzlich aus Kanten und Winkeln zu bestehen und befriedigte somit Poirots Verlangen nach Symmetrie.

Womit jedoch nicht gesagt sein soll, daß Poirot sich sonst bei Frauen von seiner Leidenschaft für geometrische Präzision beherrschen ließ. Im Gegenteil, er war altmodisch und hatte eine kontinentale Vorliebe für Kurven - ja sogar für üppige Kurven. Frauen sollten in seinen Augen Frauen sein. Er liebte sie wohlgerundet, farbenprächtig, exotisch.

Doch Miss Lemon hatte er nie als eine Frau angesehen. Sie war eine menschliche Maschine - ein Präzisionsinstrument. Von nahezu erschreckender Tüchtigkeit. Sie war achtundvierzig Jahre alt und besaß auch nicht die geringste Spur von Phantasie.

»Guten Morgen, Miss Lemon.«

»Guten Morgen, Monsieur Poirot.«.

Poirot setzte sich hin, und Miss Lemon legte die sorgfältig nach Kategorien geordnete Morgenpost vor ihn auf den Tisch. Dann nahm sie wieder Platz und saß mit gezücktem Bleistift und aufgeschlagenem Stenogrammheft erwartungsvoll da.

Aber dieser Morgen sollte eine leichte Änderung in der gewohnten Routine bringen. Poirot hatte die Morgenzeitung bei sich, und sein Blick glitt voller Interesse über die großen, fetten Schlagzeilen.

DAS GEHEIMNIS DER SPANISCHEN TRUHE.

NEUESTE ENTHÜLLUNGEN.

»Sie haben gewiß die Morgenzeitungen gelesen, Miss Lemon?«

»Ja, Monsieur Poirot. Die Nachrichten von Genf sind nicht sehr gut.«

Mit einer umfassenden Handbewegung fegte Poirot die Nachrichten von Genf beiseite.

»Eine spanische Truhe«, sagte er sinnend vor sich hin. »Können Sie mir verraten, Miss Lemon, was man eigentlich unter einer spanischen Truhe versteht?«

»Ich nehme an, Monsieur Poirot, daß es eine Truhe ist, die ursprünglich aus Spanien stammte.«

»Das sollte man vernunftgemäß annehmen. Sie besitzen also auch keine genaueren Sachkenntnisse?«

»Diese Truhen stammen gewöhnlich aus der Elisabethani-schen Periode, glaube ich. Sie sind geräumig und reichlich mit Messingbeschlägen verziert. Wenn sie gut gepflegt und poliert sind, sehen sie sehr nett aus. Meine Schwester hat eine solche Truhe bei einer Auktion erstanden und bewahrt Leinenwäsche darin auf. Sie sieht sehr hübsch aus.«

»Ich bin überzeugt, daß in einem Hause, das einer Ihrer Schwestern gehört, alles Mobiliar tadellos gepflegt ist«, erklärte Poirot mit einer galanten Verbeugung.

Dann blickte er wieder in die Zeitung und studierte die Namen: Major Rich, Mr. und Mrs. Clayton, Commander McLaren, Mr. und Mrs. Spence. Namen, nichts weiter als Namen für ihn. Und doch waren es alle menschliche Individuen, besessen von Haß, Liebe, Furcht. Ein Drama, in dem er, Hercule Poirot, keine Rolle spielte. Und doch hätte er sich so gern damit befaßt. Sechs Menschen auf einer Abendgesellschaft, in einem Raum mit einer großen spanischen Truhe an der Wand, sechs Menschen, von denen fünf schwatzten, schmausten, Schallplatten auflegten, tanzten, und der sechste tot war, tot in der spanischen Truhe ...

Ach, seufzte Poirot. Was für einen Spaß mein lieber Freund Hastings an diesem Problem gehabt hätte! Die Sprünge, die seine romantische Phantasie gemacht haben würde! Was für Torheiten er geäußert hätte! Ah, ce eher Hastings, wie sehr ich ihn in diesem Augenblick vermisse .

Seufzend wanderte sein Blick zu Miss Lemon hinüber. Miss Lemon die klugerweise merkte, daß Poirot nicht in der Stimmung war, Briefe zu diktieren, hatte die Schutzhülle von ihrer Schreibmaschine genommen und wartete auf den Moment, wo sie mit rückständigen Arbeiten fortfahren konnte. Nichts hätte sie weniger interessieren können als unheimliche spanische Truhen, die Leichen enthielten.

Abermals seufzend blickte Poirot auf ein fotografiertes Gesicht hinab. Zeitungsreproduktionen waren nie besonders gut, und diese Aufnahme war entschieden verschmiert - aber was für ein Gesicht!. Mrs. Clayton, die Gattin des Ermordeten ...

Einer plötzlichen Eingebung folgend, schob er Miss Lemon die Zeitung hin.

»Sehen Sie mal«, gebot er. »Betrachten Sie einmal dieses Gesicht.«

Miss Lemon leistete gehorsam und gefühllos seiner Aufforderung Folge.

»Was halten Sie von ihr, Miss Lemon? Das ist Mrs. Clayton.«

Miss Lemon warf abermals einen gleichgültigen Blick auf das Bild und bemerkte:

»Sie ähnelt ein wenig der Frau unseres Bankdirektors, als wir in Croydon Heath wohnten.«

»Interessant«, meinte Poirot. »Seien Sie doch so gut und erzählen Sie mir etwas von dieser Bankdirektorsfrau.«

»Nun, es ist eigentlich keine sehr angenehme Geschichte, Monsieur Poirot.«

»Das habe ich mir bereits gedacht. Fahren Sie bitte fort.«

»Man hörte viel Gerede - über Mrs. Adams und einen jungen Künstler. Dann erschoß sich Mr. Adams. Aber Mrs. Adams wollte den anderen Mann nicht heiraten, und er versuchte sich zu vergiften, wurde jedoch gerettet. Schließlich heiratete Mrs. Adams einen jungen Rechtsanwalt. Es folgten weitere Unannehmlichkeiten, glaube ich. Aber um die Zeit hatten wir Croydon Heath bereits verlassen, und ich habe nicht mehr viel darüber gehört.«

Hercule Poirot nickte ernst. »Sie war wohl sehr schön, ja?«

»Nun, schön im eigentlichen Sinne wohl nicht. Aber sie schien etwas an sich zu haben ...«

»Ganz richtig. Was ist dieses gewisse Etwas, das sie besitzen - die Sirenen dieser Welt? Frauen wie die schöne Helena, Kleopatra ...?«

Miss Lemon schob energisch einen Bogen Papier in ihre Maschine.

»Wirklich, Monsieur Poirot, darüber habe ich nie nachgedacht. Es erscheint mir alles sehr töricht. Wenn die Menschen sich nur an ihre Arbeit halten und über solche Dinge nicht nachdenken wollten, wäre alles viel besser.«