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»Monsieur Poirot, wie wunderbar, daß Sie gekommen sind! Nein, trinken Sie nicht diesen garstigen Martini. Ich habe etwas Besonderes für Sie - eine Art Sirup, den die Scheiche in Marokko trinken. Ich habe ihn oben in meinem kleinen Zimmer.«

Auf dem Wege nach oben erwähnte sie:

»Ich habe diese Party nicht abgeblasen, weil es ungeheuer wichtig ist, daß keiner ahnt, was hier vor sich geht, und ich habe den Dienstboten unerhörte Belohnungen versprochen, wenn nichts ausgeplappert wird. Man möchte schließlich nicht sein Haus von Reportern belagert sehen. Und die arme Seele hat auch schon so viel durchmachen müssen.«

Lady Chatterton machte im ersten Stock nicht halt, sondern eilte weiter in den nächsten. Keuchend und etwas verblüfft folgte ihr Poirot.

Im zweiten Stock blieb Lady Chatterton stehen und stieß nach einem raschen Blick über das Geländer eine Tür auf, wobei sie ausrief:

»Ich habe ihn, Margharita! Ich habe ihn! Hier ist er!«

Sie trat triumphierend zur Seite, um Poirot eintreten zu lassen, und machte die beiden rasch miteinander bekannt.

»Dies ist Margharita Clayton, eine sehr, sehr liebe Freundin von mir. Sie werden ihr helfen, nicht wahr? Margharita, dies ist der wundervolle Hercule Poirot. Er wird alles tun, was du ihm sagst - nicht wahr, lieber Monsieur Poirot?«

Und ohne auf eine Antwort zu warten, die sie offenbar als positiv voraussetzte, stürzte sie aus dem Zimmer und die Treppe hinunter, während sie ziemlich indiskret zurückrief:

»Ich muß leider zu all diesen gräßlichen Leuten zurückkehren.«

Die Frau, die in einem Sessel am Fenster gesessen hatte, erhob sich und kam auf ihn zu. Poirot hätte sie auch erkannt, selbst wenn Lady Chatterton ihren Namen nicht erwähnt hätte: diese breite, sehr breite Stirn, das dunkle Haar, das so beschwingt daraus emporstieg, und die grauen, weit auseinanderstehenden Augen. Sie trug ein enganliegendes, hochgeschlossenes Kleid in einem stumpfen Schwarz, das die schönen Linien ihres Körpers und die magnolienhafte Weiße ihrer Haut betonte. Ihr Gesicht war eher ungewöhnlich als schön. Sie war von einer Aura mittelalterlicher Einfachheit umgeben - von einer seltsamen Unschuld, die, wie Poirot dachte, eine vernichtendere Wirkung ausüben konnte als eine wollüstige Raffiniertheit. Wenn sie sprach, tönte aus ihren Worten eine gewisse kindliche Offenheit. »Abbie sagt, Sie wollen mir helfen.«

Sie blickte ihm ernst und forschend ins Gesicht.

Einen Augenblick lang stand Poirot ganz still und unterzog sie einer genauen Prüfung, was durchaus nicht unhöflich wirkte. Es war eher der freundliche, aber durchdringende Blick, mit dem ein berühmter Arzt einen neuen Patienten betrachtet.

»Sind Sie sicher, Madame«, sagte er schließlich, »daß ich Ihnen helfen kann?«

Eine leichte Röte stieg in ihre Wangen.

»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«

»Was wünschen Sie denn von mir, Madame?«

»Oh!« Sie schien überrascht. »Ich dachte, Sie wüßten, wer ich bin.«

»Ich weiß, wer Sie sind. Ihr Gatte wurde getötet - erdolcht, und ein gewisser Major Rich ist wegen Mordverdachts verhaftet worden.«

Die Röte in ihren Wangen vertiefte sich.

»Major Rich hat meinen Mann nicht getötet.«

Pfeilschnell entgegnete Poirot:

»Warum nicht?«

Sie starrte ihn verblüfft an. »Wie - wie, bitte?«

»Ich habe Sie verwirrt - weil ich nicht dieselbe Frage gestellt habe wie alle anderen, die Polizei, die Rechtsanwälte, ... warum sollte Major Rich Arnold Clayton töten? Ich aber frage das Gegenteil. Ich frage Sie, Madame, warum Sie davon überzeugt sind, daß Major Rich ihn nicht getötet hat.«

»Weil« - sie hielt einen Augenblick inne - »weil ich Major Rich so gut kenne.«

»Sie kennen Major Rich so gut«, wiederholte Poirot mit ausdrucksloser Stimme. Nach einer kleinen Pause fragte er scharf: »Wie gut?«

Ob sie die Bedeutung seiner Frage verstand, konnte er nicht raten. Er dachte bei sich: Hier ist eine Frau, die entweder sehr einfach oder sehr raffiniert ist. Viele Menschen müssen versucht haben, das bei Margharita Clayton zu ergründen .

»Wie gut?« Sie blickte ihn zweifelnd an. »Seit fünf Jahren - nein, es sind schon fast sechs.«

»So war das eigentlich nicht gemeint. Sie müssen einsehen, Madame, daß ich Ihnen scheinbar impertinente Fragen stellen muß. Vielleicht werden Sie die Wahrheit sprechen, vielleicht aber auch lügen. Es ist manchmal sehr notwendig für eine Frau zu lügen. Frauen müssen sich verteidigen, und die Lüge kann eine gute Waffe sein. Aber es gibt drei Menschen, Madame, denen eine Frau die Wahrheit sagen sollte: ihrem Beichtvater, ihrem Friseur und ihrem Privatdetektiv - wenn sie ihm vertraut. Vertrauen Sie mir, Madame?«

Margharita Clayton schöpfte tief Atem.

»Ja«, sagte sie. »Das tue ich.« Und setzte hinzu: »Ich muß es ja.«

»Na schön. Was soll ich also für Sie tun? Ausfindig machen, wer Ihren Gatten ermordet hat?«

»Das auch - ja.«

»Aber es ist nicht wesentlich, wie? Sie wünschen in erster Linie, daß ich Major Rich von dem Mordverdacht befreien soll, ja?«

Sie nickte rasch, dankbar.

»Das - und sonst nichts?«

Eine unnötige Frage, das sah er ein. Margharita Clayton war eine Frau, die nur eins zur Zeit im Auge hatte.

»Und jetzt eine sehr impertinente Frage, Madame. Sie und Major Rich sind ineinander verliebt, ja?«

»Wenn Sie damit sagen wollen, daß wir ein Verhältnis miteinander hatten - nein.«

»Aber er war in Sie verliebt?«

»Ja.«

»Und Sie - waren in ihn verliebt?«

»Ich glaube, ja.«

»Sie scheinen nicht ganz sicher zu sein, wie?«

»Doch - jetzt bin ich sicher.«

»Aha! Sie haben also Ihren Gatten nicht geliebt?«

»Nein.«

»Sie antworten mit bewundernswerter Schlichtheit. Die meisten Frauen hätten das Verlangen, ihre Gefühle bis ins einzelne zu erklären. Wie lange waren Sie verheiratet?«

»Elf Jahre.«

»Können Sir mir ein wenig von Ihrem Gatten erzählen? Wie war er als Mensch?«

Sie runzelte die Stirn.

»Es ist schwierig. Ich weiß eigentlich gar nicht, was für ein Mensch Arnold war. Er war sehr ruhig, sehr reserviert. Man konnte seine Gedanken nicht erraten. Natürlich war er klug, jeder sagte, er sei brillant - in seiner Arbeit, meine ich. Aber er - ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll - er hat sein ureigenes Wesen nie enthüllt.«

»War er in Sie verliebt?«

»O ja. Das muß er schon gewesen sein. Sonst hätte er sich nicht so aufgeregt -« Sie brach plötzlich ab.

»Über andere Männer? Das wollten Sie doch sagen, wie? Er war also eifersüchtig?«

Wieder sagte sie:

»Das muß er schon gewesen sein.« Und dann, als ob sie spürte, daß die Redensart einer Erklärung bedurfte, fuhr sie fort:

»Manchmal sprach er tagelang kein Wort mit mir.«

Poirot nickte nachdenklich.

»Diese Gewalttätigkeit - die in Ihr Leben gekommen ist. Haben Sie sie zum ersten Male erlebt?«

»Gewalttätigkeit?« Sie runzelte die Stirn und errötete dann.

»Meinen Sie etwa den armen jungen Mann, der sich erschossen hat?«

»Ja«, erwiderte Poirot. »So etwas habe ich wohl gemeint.«

»Ich hatte keine Ahnung, daß er so viel für mich empfand. Er tat mir sehr leid. Er schien so scheu, so einsam zu sein. Er muß wohl sehr neurotisch gewesen sein. Und dann die beiden Italiener - ein Duell. Es war lächerlich. Jedenfalls ist keiner dabei umgekommen,. Gott sei Dank . Und offen gestanden, war mir an keinem der beiden etwas gelegen. Ich habe nicht einmal eine Zuneigung vorgetäuscht.«