»Nein. Sie waren eben nur - da! Und wo Sie sind -passiert etwas! Die Erfahrung habe ich schon früher in meinem Leben gemacht. Eben weil Sie gleichgültig sind, werden die Männer zum Wahnsinn getrieben. Aber für Major Rich haben Sie tatsächlich etwas übrig. Daher -müssen wir tun, was wir können.«
Er schwieg eine Zeitlang, während sie ernst vor ihm saß und ihn beobachtete.
»Wir wenden uns nun von den Persönlichkeiten ab, die oft das wirklich Wichtige darstellen, und den einfachen Tatsachen zu. Ich weiß nur, was in den Zeitungen gestanden hat. Auf Grund dieser Darstellungen hatten nur zwei Personen Gelegenheit, Ihren Gatten zu töten, konnten nur zwei Personen ihn getötet haben - Major Rich und sein Diener.«
Eigensinnig wiederholte sie:
»Ich weiß, daß Charles ihn nicht getötet hat.«
»Dann muß es also der Diener gewesen sein. Geben Sie das zu?«
»Ich sehe, was Sie meinen«, sagte sie zweifelnd.
»Aber es will Ihnen nicht so recht einleuchten, ja?«
»Es erscheint einfach - phantastisch!«
»Und doch besteht die Möglichkeit. Ihr Gatte erschien zweifellos in der Wohnung, da seine Leiche dort gefunden wurde. Wenn die Aussage des Dieners auf Wahrheit beruht, hat Major Rich den Mord begangen. Wenn aber die Aussage des Dieners falsch ist? Dann hat der Diener Ihren Gatten getötet und die Leiche vor der Rückkehr seines Herrn in der Truhe versteckt. Von seinem Standpunkt aus eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Leiche loszuwerden. Er brauchte nur am nächsten Morgen >den Blutfleck zu bemerken< und >die Leiche zu entdeckend Der Verdacht würde sofort auf Rich fallen.«
»Aber warum sollte der Diener meinen Mann töten wollen?«
»Ja, warum? Das Motiv kann nicht auf der Hand liegen. Sonst hätte die Polizei Nachforschungen angestellt. Möglicherweise wußte Ihr Gatte etwas über den Diener, was ihm zur Schande gereichte, und stand im Begriff, Major Rich davon in Kenntnis zu setzen. Hat Ihr Gatte jemals mit Ihnen über diesen Burgess gesprochen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Glauben Sie, daß er es getan hätte, wenn sich die Sache so verhalten hätte?«
Sie runzelte die Stirn.
»Es ist schwierig, etwas darüber zu sagen. Wahrscheinlich nicht. Er sprach nicht viel über andere Menschen. Wie ich Ihnen schon sagte, war er reserviert.«
»Er war also ein Mann, der seine Meinungen für sich behielt. Nun, was für eine Meinung haben Sie von Burgess?«
»Er ist kein Mann, der einem sehr auffällt. Ein ziemlich guter Diener. Ausreichend, aber nicht besonders geschliffen.«
»Wie alt?«
»Etwa sieben- oder achtunddreißig, denke ich. Während des Krieges war er Offiziersbursche, aber kein regelrechter Soldat.«
»Wie lange war er bei Major Rich?«
»Nicht sehr lange. Vielleicht anderthalb Jahre.«
»Haben Sie nie bemerkt, daß er Ihrem Gatten gegenüber ein merkwürdiges Verhalten an den Tag legte?«
»Wir waren nicht so sehr oft dort. Nein, ich habe überhaupt nichts bemerkt.«
»Nun schildern Sie mir bitte die Vorgänge des Abends. Um welche Zeit waren Sie geladen?«
»Acht Uhr fünfzehn bis acht Uhr dreißig.«
»Und was für eine Party sollte es sein?«
»Nun, gewöhnlich wurden Drinks gereicht, und es gab ein kaltes Büfett - meistens ein sehr gutes. Gänseleberpastete und heißen Toast. Geräucherten Lachs und dergleichen. Manchmal gab es auch ein warmes Reisgericht - Charles hatte ein besonderes Rezept aus dem Nahen Osten mitgebracht - aber das war meist im Winter. Dann hatten wir häufig Musik - Charles besitzt einen sehr guten stereophonischen Plattenspieler. Mein Mann und Jock McLaren begeisterten sich beide für klassische Platten. Auch hatten wir Tanzmusik - die Spences waren leidenschaftliche Tänzer. So war es meistens - ein ruhiger, zwangloser Abend. Charles war ein sehr guter Gastgeber.«
»Und glich dieser besondere Abend den anderen Abenden, die Sie dort verbrachten? Sie haben nichts Ungewöhnliches bemerkt? War alles an seinem Platz?«
»Alles an seinem Platz?« Sie runzelte die Stirn. »Eben als Sie das sagten, hatte ich - nein, es ist wieder verschwunden. Aber da war irgend etwas ...« Wiederum schüttelte sie den Kopf. »Nein. Es war überhaupt nichts Ungewöhnliches an dem Abend. Wir hatten viel Spaß. Alle schienen ungezwungen und glücklich zu sein.«
Sie schauderte. »Und wenn man bedenkt, daß während der ganzen Zeit -«
Poirot hob rasch die Hand.
»Denken Sie nicht daran. Was wissen Sie von den Geschäften, derentwegen Ihr Gatte nach Schottland reisen wollte?«
»Nicht viel. Es handelte sich um einen Disput über den Verkauf von Ländereien, die meinem Mann gehörten. Der Verkauf war offenbar vollzogen, und dann tauchten plötzlich Schwierigkeiten auf.«
»Was hat Ihr Gatte Ihnen genau gesagt?«
»Er kam mit einem Telegramm in der Hand zu mir herein. Soweit ich mich entsinnen kann, sagte er: >Eine höchst ärgerliche Geschichte! Ich muß mit dem Nachtzug nach Edinburgh fahren und morgen früh gleich mit Johnston sprechen. Zu dumm, wenn man schon angenommen hatte, daß die Sache endlich im klaren sei.< Dann fügte er hinzu: >Soll ich Jock anrufen und ihn bitten, dich abzuholen?< Und ich erwiderte: >Unsinn, ich nehme einfach ein Taxi.< Er meinte, daß Jock oder die Spences mich nach Hause bringen würden. Ich fragte ihn dann, ob ich ihm beim Packen helfen solle, und er sagte, er würde nur ein paar Sachen in einen Koffer werfen und dann einen kleinen Imbiß im Klub einnehmen, ehe er zum Bahnhof gehe. Bald darauf ging er fort, und - und das war das letzte Mal, daß ich ihn gesehen habe.«
Ihre Stimme brach ein wenig bei diesen Worten.
Poirot blickte sie sehr fest an.
»Hat er Ihnen das Telegramm gezeigt?«
»Nein.«
»Schade.«
»Warum sagen Sie das?«
Poirot beantwortete ihre Frage nicht. Statt dessen sagte er energisch:
»Nun zur Sache. Wie heißen die Anwälte, die Major Rich vertreten?«
Sie gab ihm die gewünschte Auskunft, und er notierte sich die Adresse.
»Wollen Sie mir ein paar Zeilen für sie mitgeben? Ich möchte nämlich Anordnungen treffen, um Major Rich persönlich zu sehen.«
»Er - befindet sich in Untersuchungshaft.«
»Natürlich. Das ist das übliche Verfahren. Wollen Sie ebenfalls ein paar Zeilen an Commander McLaren und an Ihre Freunde, die Spences, schreiben? Ich möchte mit allen sprechen, und es ist wichtig, daß sie mir nicht gleich die Tür zeigen.«
Als sie sich vom Schreibtisch erhob, sagte er:
»Noch eins. Ich werde mir natürlich mein eigenes Urteil bilden, aber mittlerweile möchte ich von Ihnen hören, was für einen Eindruck Sie von Commander McLaren und Mr. und Mrs. Spence haben.«
»Jock McLaren ist einer unserer ältesten Freunde. Ich kenne ihn schon von meiner Kindheit her. Er macht einen ziemlich strengen Eindruck, aber in Wirklichkeit ist er eine gute Seele - immer derselbe - stets zuverlässig. Er ist nicht heiter und amüsant, aber eine ungeheure Stütze. Arnold und ich haben uns oft auf sein Urteil verlassen.«
»Und zweifellos ist er auch in Sie verliebt, nicht wahr?« Poirot zwinkerte ein wenig mit den Augen.
»Oh, ja«, erwiderte Margharita glückselig. »Er war immer in mich verliebt - aber allmählich ist es ihm gewissermaßen zur Gewohnheit geworden.«
»Und die Spences?«
»Sie sind amüsant und sehr gute Gesellschafter. Linda Spence ist tatsächlich eine ziemlich gescheite Frau. Arnold hat sich gern mit ihr unterhalten. Außerdem ist sie sehr attraktiv.«
»Sind Sie miteinander befreundet?«
»Sie und ich? Gewissermaßen. Obwohl ich sie eigentlich nicht richtig gern habe. Sie ist zu maliziös.«
»Und ihr Gatte?«
»Oh, Jeremy ist bezaubernd. Sehr musikalisch. Versteht auch sehr viel von Gemälden. Er und ich gehen oft zusammen ins Kino ...«