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»Na ja, ich werde mich selbst überzeugen.« Er ergriff ihre Hand.

»Hoffentlich bereuen Sie es nicht, Madame, meine Hilfe in Anspruch genommen zu haben.«

»Warum sollte ich es bereuen?« Ihre Augen weiteten sich vor Staunen.

»Man kann nie wissen«, erwiderte er geheimnisvoll.

»Und ich - ich weiß es auch nicht«, murmelte er vor sich hin, als er die Treppe hinabstieg. Die Cocktail-Party war noch in vollem Schwunge, aber er vermied die Gastgeberin und gelangte ohne weiteres auf die Straße.

»Nein«, wiederholte er. »Ich weiß es nicht.«

Seine Gedanken waren von Margharita Clayton erfüllt.

Diese kindliche Aufrichtigkeit, diese offenherzige Einfalt -waren sie echt? Oder verhüllten sie etwas anderes? Im Mittelalter hatte es solche Frauen gegeben - Frauen, über die sich die Historiker nicht einigen konnten. Er dachte an Maria Stuart, die schottische Königin. Hatte sie in jener Nacht in Kirk o'Fields von der Tat gewußt, die geschehen sollte? Oder war sie völlig unschuldig? Hatten die Verschwörer ihr nichts gesagt? War sie eine dieser kindlich-einfachen Frauen, die sich selbst etwas vormachen und daran glauben können? Er spürte den Zauber, der von Margharita Clayton ausging. Aber von ihrer Unschuld war er nicht völlig überzeugt .

Solche Frauen konnten, auch wenn sie selbst unschuldig waren, die Ursache schwerer Verbrechen sein. Solche Frauen konnten, wenn auch nicht in der Tat, so doch in Absicht und Plänen, selbst Verbrecherinnen sein.

Ihre Hand war es nie, die das Messer hielt ...

Und Margharita Clayton - nein, er wußte es wahrhaftig nicht!

Hercule Poirot fand Major Richs Rechtsanwälte nicht sehr entgegenkommend. Er hatte es auch nicht anders erwartet.

Sie ließen durchblicken, daß es im besten Interesse ihres Klienten sei, wenn Mrs. Clayton sich nicht für ihn einsetzte.

Poirot hatte die Rechtsanwälte auch nur im Interesse der »Korrektheit« aufgesucht. Er hatte genug Beziehungen zum Ministerium des Innern und zu Scotland Yard, um ein Interview mit dem Häftling zu erlangen.

Inspektor Miller, der den Fall Clayton bearbeitete, wurde von Poirot nicht sonderlich geschätzt. Aber bei dieser Gelegenheit verhielt sich der Inspektor nicht feindselig, sondern nur verächtlich.

»Kann an den alten Tattergreis nicht viel Zeit verschwenden«, hatte er zu dem Wachtmeister gesagt, ehe Poirot hereingeführt wurde. »Immerhin muß ich wohl höflich zu ihm sein.«

»Sie müssen wirklich ein Zauberkünstler sein, Monsieur Poirot, wenn Sie hier etwas erreichen wollen«, bemerkte der Inspektor.

»Niemand außer Rich hätte den Burschen töten können.«

»Und der Diener.«

»Oh, das will ich wohl zugeben. Als Möglichkeit natürlich. Aber Sie werden nach dieser Richtung hin nichts entdecken. Überhaupt keine Motive.«

»Das können Sie nicht so ohne weiteres behaupten. Motive sind sehr merkwürdige Gebilde.«

»Aber er war mit Clayton überhaupt nicht bekannt, hat eine völlig harmlose Vergangenheit und scheint durchaus richtig im Kopf zu sein. Ich weiß nicht, was Sie sonst noch verlangen.«

»Ich möchte ausfindig machen, daß Rich das Verbrechen nicht begangen hat.«

»Der Dame zuliebe, wie?« Inspektor Miller grinste. »Sie hat Ihnen wohl zugesetzt. Ein ziemliches Augevoll, nicht wahr? Cherchez la femme - das paßt hier aus dem Effeff. Wenn sie die Gelegenheit gehabt hätte, wissen Sie, hätte sie es selbst tun können.«

»Niemals!«

»Sie können Ihr blaues Wunder erleben. Ich habe so eine Frau gekannt. Räumte etliche Ehemänner aus dem Wege, ohne mit den Wimpern ihrer unschuldsvollen Augen zu zucken. Und jedesmal völlig gebrochen. Die Geschworenen hätten sie am liebsten freigesprochen, wenn es ihnen eben möglich gewesen wäre. Aber das Beweismaterial war unumstößlich.«

»Nun, mein Freund, wir wollen nicht darüber disputieren. Ich möchte mich erdreisten, Sie um einige zuverlässige Angaben zu bitten. Was die Zeitungen drucken, ist wohl Neuigkeit - aber nicht immer die Wahrheit.«

»Na, die müssen auch ihren Spaß haben. Was möchten Sie denn wissen?«

»Die Zeit des Todes. Bitte, so genau wie möglich.«

»Und das kann nicht sehr genau sein, weil die Leiche erst am folgenden Morgen untersucht wurde. Der Tod ist schätzungsweise zehn bis dreizehn Stunden vorher eingetreten. Mit anderen Worten: zwischen sieben und zehn Uhr am Abend vorher. Der Mörder hat die Schlagader getroffen. Der Tod muß also ziemlich rasch erfolgt sein.«

»Und die Waffe?«

»Eine Art italienisches Stilett, ganz klein, aber scharf wie ein Rasiermesser. Niemand hat es je zuvor gesehen oder kann sagen, woher es stammt. Wir werden es aber schon noch herausbekommen. Es erfordert nur etwas Zeit und Geduld.«

»Es hätte nicht im Verlauf eines Streites aufgenommen werden können?«

»Nein. Der Diener behauptet, daß so etwas in der Wohnung nicht vorhanden gewesen sei.«

»Was mich besonders interessiert, ist das Telegramm«, sagte Poirot. »Das Telegramm, das Arnold Clayton nach Schottland rief. War die Aufforderung echt?«

»Nein. Da oben waren keine Schwierigkeiten vorhanden. Der Landverkauf verlief ganz normal.«

»Wer hat denn das Telegramm geschickt - vorausgesetzt, daß ein Telegramm existierte?«

»Es muß eins vorhanden gewesen sein. Nicht, daß wir Mrs. Clayton unbedingt Glauben schenken. Aber Clayton hatte auch dem Diener gegenüber erwähnt, daß er telegrafisch nach Schottland gerufen sei. Ebenfalls Commander McLaren gegenüber.«

»Um welche Zeit hat er mit Commander McLaren gesprochen?«

»Sie nahmen in ihrem Klub gemeinsam einen Imbiß ein, und zwar gegen Viertel nach sieben. Dann fuhr Clayton in einem Taxi nach Richs Wohnung, wo er kurz vor acht eintraf. Danach .«

Miller machte eine vielsagende Handbewegung.

»Hat jemand irgend etwas Merkwürdiges in Richs Verhalten an diesem Abend wahrgenommen?«

»Na, Sie kennen die Menschen ja. Nach dem Ereignis bilden sie sich ein, allerlei entdeckt zu haben, was sie -darauf möchte ich jede Wette eingehen - überhaupt nicht sahen. So behauptet Mrs. Spence, Rich sei den ganzen Abend über sehr zerstreut gewesen, habe nicht immer eine richtige Antwort gegeben, als ob er >etwas auf der Seele habec. Und das hatte er ja auch wohl, wenn er eine Leiche in der Truhe hatte! Er mußte sich doch den Kopf darüber zerbrechen, wie er den verwünschten Kadaver fortschaffen könne!«

»Warum hat er ihn denn nicht fortgeschafft?«

»Da fragen Sie mich zuviel. Hat vielleicht den Mut verloren. Aber es war heller Wahnsinn, es bis zum nächsten Tage aufzuschieben. Er hatte die allerbeste Chance in der Nacht. Es war nämlich kein Nachtportier vorhanden. Er hätte seinen Wagen holen, die Leiche im Kofferraum verstauen, aufs Land hinausfahren und sie irgendwo abladen können. Vielleicht wäre er beim Verstauen der Leiche gesehen worden. Aber das Haus liegt in einer Seitenstraße, und außerdem ist ein Hof vorhanden. Gegen drei Uhr morgens, sagen wir mal, hätte er eine gute Chance gehabt. Aber was tut er statt dessen? Geht zu Bett, schläft bis in die Puppen und findet beim Erwachen die Polizei in der Wohnung!«

»Er ging zu Bett und schlief gut, genau wie ein unschuldiger Mann.«

»Wenn Sie wollen, können Sie es auch so auslegen. Aber glauben Sie es tatsächlich selbst?«

»Die Frage kann ich erst beantworten, wenn ich den Mann mit eigenen Augen gesehen habe.«

»Glauben Sie etwa, einem Menschen die Unschuld an der Nasenspitze ansehen zu können? So einfach ist es nun auch nicht.«

»Das weiß ich, und ich würde nicht daran denken, eine so kühne Behauptung aufzustellen, Ich will nur zu einer Entscheidung kommen, ob der Mann wirklich so dumm ist, wie es den Anschein hat.«

Poirot hatte nicht die Absicht, Charles Rich aufzusuchen, ehe er alle anderen gesehen hatte.

Er begann mit Commander McLaren.

McLaren war ein großer, dunkler, verschlossener Mann mit einem groben, aber angenehmen Gesicht. Er war zurückhaltend und ließ nicht leicht mit sich reden. Doch Poirot besaß Ausdauer.