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»Ziehen Sie die Vorhänge wieder auf, und lassen Sie Licht und Luft herein. Der Raum braucht das. Er bedarf einer gründlichen Reinigung. Es wird, glaube ich, noch lange dauern, bis er von dem geläutert ist, das ihn jetzt durchzieht - von dem anhaltenden Hauch des Hasses.«

Mit offenem Munde half der Diener Poirot in den Mantel und schien ganz verwirrt zu sein. Poirot, der mit Vorliebe unverständliche Äußerungen machte, ging flotten Schrittes die Treppe hinunter auf die Straße.

Sobald Poirot nach Hause kam, rief er Inspektor Miller an.

»Was ist eigentlich mit Claytons Koffer geschehen? Seine Frau sagte mir, er habe einen gepackt.«

»Er hatte ihn im Klub beim Portier abgegeben und dann wohl vergessen.«

»Was enthielt er?«

»Na, das Übliche, ein Hemd zum Wechseln und Toilettensachen.«

»Sehr gründlich.«

»Was haben Sie denn vermutet?«

Poirot ging nicht auf die Frage ein, sondern sagte:

»Was den Dolch angeht, so möchte ich Ihnen den Vorschlag machen, der Putzfrau habhaft zu werden, die Mrs. Spences Haus reinigt, und ausfindig zu machen, ob sie jemals einen solchen Gegenstand dort herumliegen sah.«

»Mrs. Spence?« Miller pfiff vor sich hin. »Wandern Ihre Gedanken etwa auch nach dieser Richtung? Den Spences ist der Dolch gezeigt worden. Sie kannten ihn nicht.«

»Fragen Sie sie noch einmal.«

»Meinen Sie etwa -«

»Und dann lassen Sie mich wissen, was sie sagen.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie entdeckt zu haben

130 glauben.«

»Lesen Sie den Othello, Miller. Studieren Sie die Charaktere in Othello. Wir haben einen davon übersehen.«

Er legte den Hörer auf. Dann wählte er Lady Chattertons Nummer, aber die Leitung war besetzt.

Ein wenig später versuchte er es noch einmal. Abermals ohne Erfolg. Er ließ seinen Diener George kommen und gab ihm den Auftrag, die Nummer so lange anzurufen, bis er eine Antwort bekäme.

Er setzte sich in einen Sessel, streifte sorgfältig seine Lackschuhe ab, streckte seine Zehen und lehnte sich zurück.

»Ich bin alt«, sagte er vor sich hin. »Ich werde leicht müde.« Sein Gesicht erhellte sich. »Aber die Gehirnzellen funktionieren noch. Zwar langsam - aber sie funktionieren. Ja, Othello. Wer hatte noch davon gesprochen? Ach ja. Mrs. Spence. Der Koffer ... der Schirm ... die Leiche, die wie ein schlafender Mann dalag. Ein raffinierter Mord. Überlegt, geplant und, wie ich glaube, mit Genuß ausgeführt!«

George meldete, daß Lady Chatterton am Apparat sei.

»Hier ist Hercule Poirot, Madame. Kann ich wohl mit Ihrem Gast sprechen?«

»Aber natürlich! Oh, Monsieur Poirot, haben Sie etwas Wundervolles geleistet?«

»Noch nicht«, erwiderte Poirot. »Aber vielleicht kommt es noch.«

Kurz darauf ließ sich Margharitas ruhige, sanfte Stimme vernehmen.

»Madame, als ich Sie fragte, ob an jenem Abend alles im Raum an seinem Platz gewesen sei, runzelten Sie die Stirn, als ob Sie sich an etwas erinnerten. Dann entfiel es Ihnen wieder. Hätte es die Stellung des Wandschirms sein können?«

»Der Wandschirm? Aber ja, natürlich. Er stand nicht an seinem gewohnten Platz.«

»Haben Sie an dem Abend getanzt?«

»Ja, eine Zeitlang.«

»Mit wem am meisten getanzt?«

»Mit Jeremy Spence. Er ist ein wundervoller Tänzer. Charles tanzt auch gut, aber nicht glänzend. Er tanzte mit Linda, und hin und wieder wechselten wir. Jock McLaren tanzt nicht. Er holte die Platten hervor, sortierte sie und legte die auf, die wir uns wünschten.«

»Und später hörten Sie ernste Musik?«

»Ja.«

Es entstand eine Pause. Dann sagte Margharita:

»Monsieur, was bedeutet dies alles? Haben Sie ... besteht irgendwelche Hoffnung?«

»Ist es Ihnen eigentlich jemals bewußt, Madame, was die Menschen Ihrer Umgebung fühlen?«

Aus ihrer Stimme klang leichte Überraschung, als sie sagte:

»Ich - glaube wohl.«

»Ich glaube nicht. Ich glaube, Sie haben nicht die leiseste Ahnung. Das ist die Tragödie Ihres Lebens. Aber die Tragödie ist für die anderen - nicht für Sie.

Heute erwähnte jemand mir gegenüber Othello. Ich fragte Sie, ob Ihr Gatte eifersüchtig sei, und Sie erwiderten, das müsse er wohl sein. Aber Sie sagten es ganz sorglos. Sie sagten es, wie Desdemona es gesagt haben würde, ohne eine Gefahr zu wittern. Desdemona erkannte ebenfalls Eifersucht, aber sie verstand sie nicht, weil sie selbst nie Eifersucht empfunden hatte oder empfinden konnte. Sie ahnte, glaubte ich, nichts von der Gewalt einer heftigen physischen Leidenschaft. Sie liebte ihren Gatten mit der romantischen Glut einer Heldenverehrung, sie liebte ihren Freund Cassio als einen nahen Gefährten . Ich glaube, sie machte die Männer verrückt, wie sie selbst einer tiefen Leidenschaft nicht fähig war . Mache ich mich Ihnen verständlich, Madame?«

Es trat eine Pause ein, und dann ertönte Margharitas Stimme - kühl, lieblich, ein wenig verwirrt:

»Ich verstehe nicht ganz, was Sie da sagen ...«

Poirot seufzte und sagte in nüchternem Ton:

»Heute abend statte ich Ihnen einen Besuch ab.«

Inspektor Miller war nicht leicht zu überreden. Aber Hercule Poirot war auch nicht leicht abzuschütteln. Knurrend streckte Inspektor Miller schließlich seine Waffen.

». obgleich ich nicht einsehe, was Lady Chatterton damit zu tun hat.«

»Eigentlich nichts. Sie hat einer Freundin einen Unterschlupf geboten, das ist alles.«

»Und die Sache mit den Spences - woher wußten Sie das eigentlich?«

»Daß das Stilett von dort kam? Nur eine Vermutung. Eine Bemerkung, die Teremy Spence machte, gab mir die Idee. Ich deutete an, daß das Stilett wohl Margharita Clayton gehörte, und er zeigte mir, daß er mit Sicherheit wußte, daß dies nicht zutraf.« Nach einer kleinen Pause fragte er: »Was haben Sie gesagt?«

»Gaben zu, daß es sehr einem Zierdolch glich, den sie einstmals besaßen. Aber er war vor einigen Wochen abhanden gekommen, und sie hatten ihn ganz vergessen. Rich hat ihn ihnen wohl entwendet.«

»Ein Mann, der gern sichergeht, dieser Mr. Jeremy Spence«, bemerkte Poirot. Dann murmelte er vor sich hin: »Vor einigen Wochen . Ja, ja, das Planen begann vor langer Zeit.«

»Hm? Wie meinten Sie?«

»Wir sind da«, sagte Poirot, als das Taxi vor Lady Chattertons Haus in Cheriton Street hielt, und entlohnte den Chauffeur.

Margharita Clayton wartete oben in ihrem Zimmer auf sie. Ihre Züge verhärteten sich, als sie Miller sah.

»Ich wußte nicht -«

»Sie wußten nicht, wer der Freund war, den ich mitzubringen beabsichtigte?«

»Inspektor Miller zählt nicht zu meinen Freunden.«

»Das hängt ganz davon ab, ob Sie Gerechtigkeit ausgeübt sehen wollen oder nicht, Mrs. Clayton. Ihr Gatte ist ermordet worden -«

»Und nun müssen wir vom Täter reden«, warf Poirot rasch ein. »Dürfen wir Platz nehmen, Madame?«

»Ich bitte Sie«, wandte sich Poirot an seine beiden Zuhörer, »mir geduldig zuzuhören. Ich glaube jetzt zu wissen, was an jenem verhängnisvollen Abend in Major Richs Wohnung geschah. Wir sind alle miteinander von einer falschen Annahme ausgegangen - von der Annahme, daß nur zwei Personen die Gelegenheit hatten, Mr. Clayton in der Truhe zu verstecken, nämlich Major Rich und William Burgess. Aber wir haben uns geirrt - es war eine dritte Person in der Wohnung, die eine ebenso gute Möglichkeit hatte.«

»Und wer war das?« fragte Miller skeptisch. »Der Liftboy?«

»Nein. Arnold Clayton.«

»Was sagen Sie da? Er hat seine eigene Leiche versteckt?«

»Natürlich nicht seinen toten, sondern seinen lebendigen Körper. Mit anderen Worten: er hat sich in der Truhe versteckt. Ein Vorkommnis, das sich im Laufe der Geschichte oft wiederholt hat. Mir kam dieser Gedanke, sobald ich sah, daß man ganz kürzlich Löcher in die Truhe gebohrt hatte. Warum war das geschehen? Nun, damit genügend Luft in der Truhe vorhanden war. Und warum war der Wandschirm an jenem Abend aus seiner üblichen Stellung verschoben? Um die Truhe vor den Personen im Raum zu verbergen, damit der versteckte Mann von Zeit zu Zeit den Deckel heben, seine verkrampften Glieder lockern und besser hören konnte, was gesagt wurde.«