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Hochachtungsvoll Hugo Cornworthy (Sekretär)

P. S. Bringen Sie bitte diesen Brief mit.

Gewandt nahm der Butler Poirot Hut, Stock und Mantel ab und sagte: »Gestatten Sie, daß ich Sie nach oben in Mr. Cornworthys Zimmer bringe.«

Mit diesen Worten stieg er die breite Treppe hinan, und Poirot folgte ihm, wobei seine Augen voller Wohlgefallen auf solchen Kunstgegenständen ruhten, die einen üppigen, überladenen Charakter hatten. Sein Kunstgeschmack war stets etwas spießig gewesen.

Im ersten Stock klopfte der Butler an eine Tür.

Hercule Poirot zog die Augenbrauen ein wenig in die Höhe. Dies war der erste Mißklang. Denn die besten Butler klopfen nicht an - und dennoch handelte es sich hier zweifellos um einen erstklassigen Butler.

Es war sozusagen der erste Kontakt mit dem exzentrischen Wesen eines Millionärs.

Eine Stimme ertönte aus dem Innern, und der Butler öffnete die Tür. Gleichzeitig meldete er (und wiederum spürte Poirot ein absichtliches Abweichen vom Althergebrachten):

»Der Herr, den Sie erwarten, Sir.«

Poirot trat ins Zimmer. Es war ein ziemlich großer, einfach und praktisch ausgestatteter Raum, der Ablageschränke, einige Sessel und einen großen, imposanten, mit sorgfältig geordneten Papieren bedeckten Schreibtisch enthielt. Die Ecken des Raumes waren in Dämmerlicht gehüllt, denn das einzige Licht kam von einer großen, grünbeschirmten Leselampe, die auf einem kleinen Tisch neben einem der Sessel stand. Sie war so gestellt, daß ihr voller Lichtschein auf jeden fiel, der sich von der Tür her näherte. Hercule Poirot blinzelte ein wenig in dem grellen Licht der mindestens 150kerzigen Birne. Im Sessel saß eine dünne Gestalt in einem Flickenschlafrock - Benedict Farley. Den Kopf hatte er in charakteristischer Haltung vorgestreckt, und die Hakennase ragte hervor wie der Schnabel eines Vogels. Eine weiße Haarmähne erhob sich wie der Kamm eines Kakadus über seiner Stirn. Seine Augen glitzerten hinter dicken Gläsern, als er seinen Besucher mißtrauisch aufs Korn nahm.

»He«, sagte er schließlich, und seine krächzende Stimme klang schrill und barsch. »Sie sind also Hercule Poirot, he?«

»Zu Diensten«, erwiderte Poirot höflich und verbeugte sich.

»Nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz«, sagte der alte Mann gereizt.

Hercule Poirot nahm Platz - im grellen Schein der Lampe.

Aus dem Schatten hinter der Lampe heraus schien der alte Mann ihn aufmerksam zu studieren.

»Wie kann ich wissen, daß Sie Hercule Poirot sind, he?« fragte er verdrießlich. »Sagen Sie mir das mal.«

Abermals zog Poirot den Brief aus der Tasche und reichte ihn Farley.

»Ja«, gab der Millionär grollend zu. »Stimmt. Das habe ich durch Cornworthy schreiben lassen.« Damit faltete er den Brief und warf ihn zurück. »Sie sind also der Knabe, ja?«

Mit einer kleinen Geste sagte Poirot:

»Ich versichere Ihnen, es handelt sich um keine Täuschung.«

Benedict Farley kicherte plötzlich.

»Das behauptet der Taschenspieler ebenfalls, ehe er die Karnickel aus dem Hut nimmt. Dieser Ausspruch gehört mit zum Trick.«

Poirot erwiderte nichts darauf. Farley sagte plötzlich:

»Sie halten mich wohl für einen mißtrauischen alten Mann, wie? Das bin ich auch. Traue keinem! Das ist mein Motto. Man kann auch niemandem trauen, wenn man reich ist. Nein, nein, das geht nicht.«

»Sie wünschten mich zu konsultieren«, mahnte Poirot sanft.

»Ganz recht. Kaufe immer das Beste. Das ist mein Motto. Gehe zum Fachmann ohne Rücksicht auf die Kosten. Es ist Ihnen sicher aufgefallen, Monsieur Poirot, daß ich nicht nach Ihrem Honorar gefragt habe. Das werde ich auch nicht tun. Schicken Sie mir später die Rechnung - ich werde schon keinen Stunk machen. Diese Idioten in der Molkerei bildeten sich ein, mir zwei neun für Eier berechnen zu können, während der Marktpreis zwei sieben ist - diese Schwindlerbande! Ich lasse mich nicht beschwindeln. Aber mit dem Mann an der Spitze ist es anders. Er ist das Geld wert. Ich stehe selbst an der Spitze. Ich weiß Bescheid.«

Hercule Poirot erwiderte auch hierauf nichts. Er hörte aufmerksam zu, den Körper ein wenig zur Seite geneigt.

Hinter seiner unbeweglichen Fassade verbarg er eine gewisse Enttäuschung. Er konnte nicht genau sagen, worum es eigentlich ging. Soweit hatte sich Benedict Farley charaktergetreu aufgeführt - das heißt, er hatte der volkstümlichen Vorstellung entsprochen. Und doch war Poirot enttäuscht.

Dieser Mann, sagte er sich, ist ein Scharlatan, nichts weiter als ein Scharlatan!

Er hatte andere Millionäre gekannt, die auch exzentrisch waren. Aber in beinahe jedem Falle hatte er eine gewisse Kraft gespürt, eine innere Energie, die Achtung gebot. Wenn sie einen Flickenschlafrock getragen hätten, so hätten sie es getan, weil sie einen solchen Schlafrock gern trugen. Doch Benedict Farleys Schlafrock war in erster Linie - so schien es Poirot jedenfalls - ein Bühnenrequisit. Und der Mann selbst war im wesentlichen theatralisch. Jedes Wort, das er äußerte, war die reinste Effekthascherei; davon war Poirot überzeugt.

Er wiederholte nochmals kühclass="underline" »Sie wünschten mich zu konsultieren, Mr. Farley.«

Das Verhalten des Millionärs erfuhr eine plötzliche Änderung. Er beugte sich vor, und seine Stimme sank zu einem heiseren Geflüster herab.

»Ja. Ja. Ich möchte hören, was Sie zu sagen haben, was Sie denken ... Geh an die Spitze! Das ist meine Art! Nimm den besten Arzt, den besten Detektiv - die beiden zusammen müssen es schaffen.«

»Noch weiß ich nicht, Monsieur, worum es geht.«

»Natürlich nicht«, fauchte Farley. »Ich habe Ihnen ja noch nichts gesagt.«

Er beugte sich abermals vor und platzte mit einer unvermittelten Frage heraus.

»Was wissen Sie, Monsieur Poirot, von Träumen?«

Der kleine Mann, blickte erstaunt drein. Eine solche Frage hatte er auf keinen Fall erwartet.

»Dafür, Mr. Farley, möchte ich Ihnen Napoleons >Buch der Träume< oder den neuesten Psychologen aus der Harley Street empfehlen.«

Nüchtern erwiderte Farley: »Ich habe es mit beiden versucht.«

Nach einer kleinen Pause fuhr der Millionär fort, zunächst im Flüsterton und dann in einer immer heller werdenden Stimme.

»Es ist derselbe Traum, Nacht für Nacht. Und ich fürchte mich, ich sage Ihnen, ich fürchte mich. Es ist immer dasselbe. Ich bin nebenan in meinem Zimmer. Ich sitze am Schreibtisch und schreibe. Es ist eine Uhr vorhanden. Mein Blick fällt darauf, und ich sehe die Zeit: genau achtundzwanzig Minuten nach drei. Immer dieselbe Zeit, verstehen Sie. Und wenn ich die Zeit sehe, Monsieur Poirot, weiß ich, daß ich es tun muß. Ich will es nicht tun, ich verabscheue es, aber ich muß es tun .«

Seine Stimme war ganz schrill geworden.

Unbeirrt fragte Poirot: »Und was müssen Sie unbedingt tun?«

»Um achtundzwanzig Minuten nach drei«, erwiderte Benedict Farley heiser, »öffne ich die zweite Schublade von oben an der rechten Seite meines Schreibtisches, nehme den Revolver heraus, den ich dort liegen habe, lade ihn und trete ans Fenster. Und dann . und dann .«

»Ja?«

Im Flüsterton sagte Benedict Farley: »Dann erschieße ich mich.«

Schweigen. Nach einer Weile sagte Poirot:

»Und das ist Ihr Traum?«

»Ja.«

»Jede Nacht derselbe?«

»Ja.«

»Was geschieht, nachdem Sie sich erschossen haben?«

»Ich wache auf.«

Poirot nickte langsam und nachdenklich vor sich hin.

»Haben Sie eigentlich einen Revolver in dieser besonderen Schublade? Es würde mich interessieren.«

»Ja.«

»Warum?«

»Aus alter Gewohnheit. Man muß auf alles vorbereitet sein.«

»Worauf, zum Beispiel?«

Gereizt erwiderte Farley: