»Dann ist es ja gut«, sagte Flock.
Es sollte verbindlich klingen, doch etwas an diesen Worten - an der Art, wie er sie aussprach - alarmierte Andrej. »Vielleicht dürfte ich einen Vorschlag machen?«, sagte er.
Elena sah ihn fragend an, und auch der Geistliche wirkte überrascht, als hätte es für ihn außer Frage gestanden, dass die Angelegenheit nun erledigt sei. Dennoch nickte er.
Andrej wandte sich zu dem Krämer und seinen beiden Söhnen um. »Ihr habt gesagt, Ihr hättet weniger für die Waren bekommen, als Euer Einstandspreis gewesen ist?«
Der Krämer nickte.
»Und wie hoch wäre dieser Preis?«
Der Mann nannte ihm nach kurzem Zögern eine Summe, die Andrej auch glaubhaft erschien. Kurz suchte er den Blick des Geistlichen, und Flock deutete ein Nicken an. So fuhr Andrej fort: »Dann schlage ich vor, wir zahlen Euch die Differenz, damit Ihr wenigstens ohne Schaden aus diesem Handel hervorgeht. Wir selbst haben einen überaus günstigen Preis erzielt, und auch wir legen keinen Wert darauf, einen schlechten Eindruck zu hinterlassen.«
Er sah zwar nicht in Elenas Richtung, aber er konnte deutlich spüren, dass er in diesem Moment einen ziemlich schlechten Eindruck bei ihr hinterließ. Aber so wie die Dinge standen, hätte sie wohl kaum etwas anderes tun können, als seinem Vorschlag mit einem Lächeln zuzustimmen.
»Fürwahr ein weiser Entschluss«, sagte Flock. »Wenn ich ehrlich sein soll, hätte ich Euch so viel Besonnenheit gar nicht zugetraut.«
»Weil ich mit dem fahrenden Volk unterwegs bin, oder weil ich ein Schwert trage?«, fragte Andrej. Am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen. Was sollte das jetzt?
»Jetzt habt Ihr mich ertappt«, erklärte Flock schmunzelnd. »Wie ich bereits sagte: Auch ich bin nur ein Mensch und nicht frei von vorgefassten Urteilen - auch wenn ich gerade erleben muss, wie schädlich sie manchmal sind.«
Es erschien Andrej angebracht, das Thema nicht weiter auszuwalzen. Er erwiderte Flocks Worte nur mit einem Lächeln, wandte sich zu Elena um und machte eine auffordernde Geste. Sie hatte sich fast ebenso gut in der Gewalt wie der Geistliche. Andrej war nicht einmal sicher, ob der kurze, zornige Blick, den sie ihm zuwarf, ihrer Unbeherrschtheit zuzuschreiben war. Gleich darauf lächelte sie, zog ihren Geldbeutel hervor und zählte die in Frage stehende Summe ab. Nicht ohne Verblüffung nahm der Krämer sodann die Münzen entgegen und ging ohne ein weiteres Wort davon. Seine beiden Söhne folgten ihm.
»Wirklich ein weiser Entschluss, Andreas«, beteuerte Flock, während er den dreien nachsah. »Ihr seid ein interessanter Mann. Befindet sich Euer Lager vor der Stadt?«
»Zehn Meilen entfernt«, antwortete Elena, bevor Andrej etwas sagen konnte. »Wir bleiben dort für zwei oder drei Tage. Vielleicht kommen wir auch hierher, aber das steht noch nicht fest.«
»Zehn Meilen?« Flock wiegte nachdenklich den Kopf. »Ein ordentlicher Fußmarsch, aber so weit nun auch wieder nicht. Ich denke, ich werde Euch besuchen, Andreas. Ich freue mich darauf, mich mit Euch zu unterhalten.«
Elena hatte während der gesamten Heimreise kein Wort mit ihm gesprochen, aber ihre Schweigsamkeit war von anderer Art als die auf dem Hinweg.
Nur ein einziges Mal hatte Andrej versucht, ein Gespräch mit ihr zu beginnen, und es nach dem zornigen Blick, den sie ihm zugeworfen hatte, aufgegeben. Elena war wütend auf ihn, und er war ziemlich sicher, dass der Grund dafür ganz bestimmt nicht die wenigen Kupfermünzen waren, die sie dem Krämer hatte geben müssen. Sie hatten trotz allem einen wirklich guten Handel abgeschlossen, und Laurus würde zufrieden sein. Doch er mochte nicht weiter in sie dringen. Elena war und blieb ihm rätselhaft, aber sie hatten zwei Stunden Fahrt vor sich, und er hoffte, dass diese Zeit reichen würde, um ihren schlimmsten Zorn verrauchen zu lassen.
Das Lager war komplett aufgebaut, als sie es am frühen Nachmittag erreichten, aber es ähnelte kaum mehr dem, das Andrej in der vergangenen Nacht gesehen hatte. Statt in willkürlicher Anordnung, standen die Wagen nun in einem zum Dorf hin offenen Dreiviertelkreis, und die meisten Aufbauten waren mit bunten Wimpeln und Fähnchen geschmückt. Im Zentrum erhob sich ein hölzernes Podest von sicherlich zehn mal zwanzig Schritten, hinter dem eine bunt bemalte Leinwand aufgespannt worden war, die grüne Wiesen, einen strahlenden Sommerhimmel und ein kunstvoll ausgeschmücktes Märchenschloss auf einem steilen Hügel zeigte. Dies war zweifellos die Bühne, auf der das Schauspiel aufgeführt werden sollte, von dem Rason am Morgen gesprochen hatte.
Nur ein einziges, großes Feuer brannte, über dem ein blank polierter, kupferner Kessel hing. Von den zahlreichen Zelten, die er in der vergangenen Nacht gesehen hatte, waren nur zwei übrig geblieben. Die Pferde waren auf einer kleinen Koppel untergebracht, die Elena und er auf ihrem Weg passierten. Andrej hielt vergebens nach seinem und Abu Duns Tier Ausschau.
Elena lenkte den Wagen in den hinteren Teil des Lagers. Drei oder vier Männer - unter ihnen auch Rason - kamen ihnen entgegen, um die mitgebrachten Waren auszuladen. Elena sprang vom Kutschbock und eilte hoch erhobenen Hauptes davon. Andrej stieg ebenfalls ab und wollte mit zupacken, doch bevor er den Wagen auch nur halb umkreist hatte, sprach ihn Rason an.
»Hattet ihr Streit?«
Andrej war überrascht. »Woher weißt du das?«
»Sie ist meine Schwester«, antwortete Rason, während er der Davoneilenden einen sonderbaren Blick nachwarf. »Ich kann spüren, wenn sie wütend ist. Was hast du ihr getan?«
Andrej zuckte mit den Schultern. »Eigentlich nichts«, sagte er. »Ich war im Gegenteil der Meinung, ihr einen Gefallen getan zu haben.«
»Und wie sah dieser Gefallen aus?«
Andrej berichtete wahrheitsgemäß, was sich in der Stadt zugetragen hatte, wobei er lediglich die Rolle des Geistlichen ein wenig herunterspielte.
Rason hörte wortlos zu, nickte ein paar Mal, und als Andrej fertig war, maß er ihn mit einem fast mitleidigen Blick. »Damit hast du dich bei Elena nicht sehr beliebt gemacht.«
»Aber wieso?«, wunderte sich Andrej. »Ich wollte nur nicht...«
»... dass sie Ärger bekommt, verstehe«, unterbrach ihn Rason, schüttelte aber dennoch den Kopf. »Vielleicht ist es meine Schuld. Ich hätte dich warnen sollen. Tut mir Leid. Aber wenn Elena eines auf der Welt hasst, dann ist es, wenn sich jemand in ihre Geschäfte einmischt.«
»Das war kein Geschäft«, protestierte Andrej. »Das grenzte an Diebstahl.« Er lächelte, um seinen Worten etwas von ihrer Schärfe zu nehmen, aber Rason schüttelte noch einmal den Kopf.
»Elena ist ungemein stolz darauf, immer die besten Preise für uns herauszuhandeln. Niemand ist so gut im Feilschen wie sie, und es ist ihr Ehrgeiz, stets ein noch besseres Geschäft zu machen als beim letzten Mal.«
»Das hättest du mir wirklich sagen können«, erwiderte Andrej.
»Ja, vermutlich.« Rason sah noch einmal in die Richtung, in der seine Schwester verschwunden war, dann lachte er leise. »Mach dir nichts draus. Sie ist eine temperamentvolle Frau, aber sie verzeiht genauso schnell, wie sie wütend wird. Du wirst sehen, spätestens heute Abend hat sie die Sache wieder vergessen. Aber nimm noch einen guten Rat von mir an: Misch dich nie wieder ein, wenn sie versucht, ein Geschäft zu machen.«
»Werde ich mir merken«, versprach Andrej. »Hast du übrigens Abu Dun gesehen?«
»Deinen einsilbigen Freund? Schon, aber das ist eine Weile her. Er ist weggeritten.«
»Weggeritten?«
Andrejs Frage musste erschrockener geklungen haben, als ihm selbst klar war, denn Rason hob besänftigend die Hände. »Ohne sein Gepäck natürlich. Ich glaube nicht, dass er vorhatte, hier seine Zelte abzubrechen.«
»Hat er gesagt, wohin er wollte?«
»Nein, ich hab aber gesehen, dass er wieder dahin zurückgeritten ist, von wo wir gekommen sind«, antwortete Rason. »Vielleicht wollte er einfach nur einen klaren Kopf bekommen.«