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Zu seiner Enttäuschung sah er Elena jedoch erst wieder, als es bereits dämmerte. Es war kaum eine Minute an diesem Tag vergangen, in der er nicht auf die eine oder andere Weise an sie gedacht hatte, und die meisten dieser Gedanken waren von einer Art gewesen, die ihm beinahe unangenehm war. Und die ihn ziemlich verwirrte. Andrej hatte keineswegs gelogen, als er Abu Dun - und auch sich selbst - gegenüber behauptet hatte, Elena interessiere ihn nicht als Frau. Schon der Umstand, dass sie einem anderen gehörte - und dass dieser andere zudem das Oberhaupt der Sinti-Familie war - verbot es von selbst, in ihr irgendetwas anderes zu sehen, als eben genau das: Die Frau eines anderen. Und was er am Morgen mit ihr erlebt hatte, war auch nicht unbedingt das, was er sich normalerweise von einem Weibsbild hätte gefallen lassen. Und dennoch: Die dunkelhaarige Zigeunerin ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Als er später am Nachmittag ihre Stimme vernahm und sich zu ihr umdrehte, da versetzte es ihm einen kurzen, aber tief gehenden Stich, sie an Laurus' Seite zu sehen; ein Gefühl, für das er sich einen Moment lang so schämte, als stände es ihm ins Gesicht geschrieben.

Und möglicherweise war dem auch so, denn Laurus sagte zwar kein Wort, und auch seine Miene änderte sich nicht, aber irgendetwas in seinem Blick tat es. Andrej rief sich in Gedanken zur Ordnung, sah sich zugleich aber auch in seiner Meinung bestätigt, vor diesem Mann besser auf der Hut zu sein.

»Andreas!« Elena lächelte ihn so freundlich an, als wäre am Morgen nichts geschehen. Rason hatte behauptet, sie hätte sich über seine Einmischung geärgert, aber wenn das so war, dann hatte sie diesen Ärger offenbar wieder vergessen. »Wie ich sehe, hast du dich ja bereits gut eingearbeitet. Dein Talent als Handwerker scheint größer zu sein als das als Kaufmann.«

Da er nichts zu sagen wusste, reagierte Andrej nur mit einem Schulterzucken und einem verlegenen Lächeln. In Elenas Augen erschien ein spöttisches Glitzern, und er begriff, dass sie ihn herausfordern wollte, nur nicht, wozu. Doch noch bevor er möglicherweise einen Fehler begehen und eine unangemessene Frage stellen konnte, mischte sich Laurus ein.

»Ich habe gehört, dass du heute mit Anka reden wolltest?«

Andrej nickte. »Ja.«

»Worüber?«

Diesmal antwortete Andrej nicht gleich. Er sah Laurus prüfend an, hütete sich jedoch, in diesen Blick irgendetwas zu legen, dass einer Herausforderung auch nur nahe kam, und überlegte sich jedes Wort seiner Antwort sehr gründlich. »Sie ist eine sehr interessante alte Frau, wie ich finde. Sie weiß eine Menge.«

»Und du willst eine Menge wissen.«

»Es gibt da etwas, das nur sie mir beantworten kann«, erwiderte Andrej.

»Was?«

»Es hat nichts mit Euch zu tun«, sagte Andrej. »Nur mit einem Mädchen, das ich einmal kannte. Ich bin ein bisschen überrascht. Hat Euer Sohn Euch nichts erzählt?«

»Alessa, ja.« Laurus deutete ein Nicken an. Sein Gesicht war noch immer ausdruckslos, aber in seinem Blick schien nun etwas Lauerndes zu liegen. Andrej wusste nicht zu sagen, ob es sich dabei um reine Neugier handelte, oder aber um etwas, vor dem er sich besser in Acht nahm. »Was Anka dir erzählt hat, ist die Wahrheit«, fuhr Laurus fort. »Wir kannten sie kaum. Und dasselbe gilt für ihre Familie. Du hast dieses Mädchen geliebt?«

»Ich kannte sie ebenfalls kaum, aber ich -«

»Das eine schließt das andere nicht aus«, fiel ihm Elena ins Wort, noch immer lächelnd, aber jetzt mit einem Funkeln im Blick, das ihn irritierte. »Du hättest mich fragen sollen.«

»Dich?«, fragte Andrej überrascht.

»Ich habe mich damals um das Mädchen gekümmert«, erwiderte Elena. »Und auch um seine Familie. Wenn du jemandem die Schuld für ihren Tod geben willst, dann mir.«

»Schuld?« Andrej war völlig verwirrt. »Das ist nicht das, was ich wissen wollte.«

»Nun, was immer es ist, du wirst dich gedulden müssen«, sagte Laurus. »Anka wird deine Fragen beantworten, und Elena ebenfalls. Aber nicht jetzt. Wir haben Wichtigeres zu tun. Und Anka ist sehr alt und schwach. Ihre Tage sind gezählt. Wenn du mit ihr reden willst, komm zu mir, und ich werde sehen, was ich für dich tun kann.«

Vielleicht war es ein Glück, dass Andrej keine Gelegenheit erhielt, über diese sonderbare Antwort nachzudenken, oder gar auf sie zu reagieren. Denn aus dem rückwärtigen Teil des Lagers näherte sich Bason, heftig mit den Armen wedelnd und in so scharfem Tempo, dass es schon fast einem Rennen gleichkam. Einige der Männer unterbrachen ihre Arbeiten, und auch Laurus' Kopf flog herum. Eine tiefe Falte erschien zwischen seinen weißen Augenbrauen.

»Besuch«, sagte Bason kurzatmig, nachdem er endlich bei ihnen angelangt war. Andrej spannte sich instinktiv. Etwas an Basons Haltung und in seinem gehetzten Blick alarmierte den Krieger in ihm. Unauffällig trat er ein kleines Stück näher, als Bason sich an seine Schwester wandte: »Ich glaube, es ist dieser Bäcker, mit dem du heute Morgen verhandelt hast.«

Elena nickte. »Er hat versprochen, das Mehl selbst zu bringen«, sagte sie. »Dafür dürfen er und seine Familie unserer Vorstellung zusehen.«

»Aber er ist allein«, erklärte Bason. »Und wenn er Mehl dabei hat, dann ist es nicht besonders viel, denn es müsste in seine Satteltaschen passen.«

Elena und Laurus wechselten einen überraschten Blick und setzten sich ohne ein weiteres Wort in die Richtung in Bewegung, aus der Bason gekommen war. Nach einem winzigen Moment des Zögerns schlossen sich Bason und Andrej ihnen an.

Sie mussten das Lager halb durchqueren, bevor sie den Besucher sahen, den Bason angekündigt hatte. Er war tatsächlich zu Pferde gekommen; auf einem klapperigen alten Gaul, der nicht so aussah, als könne er das Gewicht eines ausgewachsenen Mannes noch ohne Schmerzen tragen. Und es war nicht der Mann, mit dem Elena und Andrej am Morgen verhandelt hatten. Dennoch erkannte Andrej ihn wieder: Es handelte sich um den jungen Burschen, den er am Morgen in Begleitung des Bäckers gesehen hatte; vielleicht einer der Gesellen, möglicherweise auch sein Sohn. Wenn das Pferd schon erschöpft wirkte, so schien sein Reiter am Ende seiner Kräfte zu sein. Er zitterte, und sein Gesicht war leichenblass. Doch je näher sie ihm kamen, desto sicherer war Andrej, dass es nicht Erschöpfung war, was er in den Augen des jungen Burschen las. Es hätte seiner Vampyrsinne nicht bedurft, um zu begreifen, dass der Junge Angst hatte. Doch wovor?

»Du kommst früh«, eröffnete Elena das Gespräch. Ihre Stimme klang kühl, hart an der Grenze zur Unfreundlichkeit, und gerade herausfordernd genug, den armen Jungen noch mehr einzuschüchtern.

Ihre Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Bursche hielt ihrem Blick nur einen halben Herzschlag lang Stand, dann sah er nervös zu Boden und begann tatsächlich mit den Füßen zu scharren, als er antwortete: »Ich ... mein Vater schickt mich. Es ... gibt ein Problem.«

Elena nickte. »Die Satteltaschen deines Pferdes sind nicht groß genug.«