»Soll ich jetzt beeindruckt sein, dass du das zugibst, oder beunruhigt?«, stichelte Elena.
Andrej bedachte sie mit einem verärgerten Blick, zog es darüber hinaus aber vor, zu schweigen. Auch ohne das, was Bason gesagt hatte, war ihm klar, dass er Elena am Vormittag mehr als nur ein wenig verstimmt hatte. Aber er glaubte, unter ihrer typisch weiblichen Stichelei noch etwas anderes zu spüren, etwas, das ihn verwirrte. War es Feindseligkeit? Wenn ja, so verstand er nicht warum. Gut, er hatte einen Fehler gemacht, aber so schlimm war das alles nun auch wieder nicht.
»Heb' dir dein Misstrauen auf, bis wir mit diesem Klotzkopf von Müller gesprochen haben ... wie war noch sein Name?«
»Handmann.«
»Handmann«, nickte Elena. »Und bevor wir sein gastliches Haus betreten, Andreas: Überlass' mir das Reden. Tu dir selbst und mir einen Gefallen und sag nichts.«
»Es sei denn, du stellst mir eine Frage, oder gibst mir einen Befehl?«, erkundigte sich Andrej.
»Genau.«
Er wusste nicht, ob Elena die Ironie seiner Worte tatsächlich nicht verstanden hatte, oder ob sie es einfach vorzog, sie zu ignorieren. Er konnte auch nicht sagen, was ihn mehr geärgert hätte.
Hinter einem der Fenster erschien das flackernde Eicht einer Kerze, gerade als sie Halt machten und abstiegen. Wer immer dort drinnen war, musste über ein fast ebenso scharfes Gehör verfügen wie Andrej - oder sie erwartet haben.
Er warf Elena einen mahnenden Blick zu und bedeutete ihr, zurück zu bleiben, und er war nicht überrascht, als sie darauf nur mit einem spöttischen Blick reagierte und ihren Schritt sogar beschleunigte, um die Mühle vor ihm zu erreichen.
Die Tür wurde geöffnet, und eine hochgewachsene Gestalt erschien im Rahmen. Andrej blieb unwillkürlich stehen und musste sich beherrschen, um nicht zu grinsen, als er den Müller sah. Handmann war fast einen Kopf größer als er selbst, dabei aber so dürr, dass man Angst haben musste, er könne bei der ersten unvorsichtigen Bewegung einfach in der Mitte durchbrechen wie ein trockener Zweig. Der Mann trug ein bis auf die Köchel reichendes Nachthemd, das schon bessere Tage gesehen hatte, und dazu eine Schlafmütze, deren Zipfel ihm bis auf die Schulter hing. Den rechten Arm, der einen Kerzenständer aus Zinn hielt, hatte er in Kopfhöhe vor sich ausgestreckt. Alles in allem bot er einen absolut lächerlichen Anblick - oder hätte ihn geboten, wäre da nicht der Blick aus seinen dunklen, von schweren Tränensäcken verunzierten Augen gewesen. Er sah Andrej nur kurz an, dann fixierte er Elena, und aus dem Misstrauen in seiner Miene wurde offene Feindseligkeit. »Ihr kommt eher, als ich dachte«, sagte er.
Wenn es etwas gibt, das noch grotesker ist als sein Aussehen, dachte Andrej, dann ist es seine Stimme. Tatsächlich war sie so dunkel und voll tönend wie die eines Mannes, der mindestens das Dreifache seiner Körpermasse auf die Waage brachte.
»Ihr habt uns erwartet?«, fragte Andrej, was ihm unverzüglich einen verärgerten Blick Elenas einbrachte. Allem Anschein nach hatte sie das, was sie vorhin gesagt hatte, durchaus Ernst gemeint.
»Ihr müsst Handmann sein, der Müller«, sagte sie. »Ich bin Elena.«
»Die Hexe.« Handmann nickte. Seine dünnen, fast blutleeren Lippen verzogen sich zu einem geringschätzigen Lächeln. »Ich weiß.«
»Wieso nennt Ihr mich so?«, fragte Elena. »So weit ich weiß, sind wir uns noch nie begegnet.«
»Das ist auch nicht nötig«, erwiderte Handmann schroff. Wieder verirrte sich sein Blick für einen ganz kurzen Moment in Andrejs Gesicht und kehrte dann zu Elena zurück. »Ich hab genug von dir gehört.«
»Ich hoffe, doch nur Gutes«, erwiderte Elena mit einem Lächeln, das selbst einen Stein zum Schmelzen gebracht hätte - nur, dass Handmann leider nicht aus Stein war.
»Wenn du gekommen bist, um deine Zauberkräfte auch an mir auszuprobieren, dann hast du den Weg umsonst gemacht«, sagte er. Seine Stimme klang herausfordernd und fest, und auch sein Blick hielt dem aus Elenas nachtschwarzen Augen Stand - aber Andrej konnte seine Nervosität und die Angst riechen, zumal die Kerze in Handmanns Hand leicht zu zittern begonnen hatte, als er unbewusst einen halben Schritt ins Haus zurückgewichen war.
»Es schmerzt mich, dass Ihr so feindselig seid, guter Mann«, sagte Elena. »Ich weiß nicht, was man Euch über uns erzählt hat, aber glaubt mir, ich bin weder eine Hexe, noch bin ich hier, um Euch zu verzaubern. Wir wollen Handel mit Euch treiben, das ist alles.«
»Ich habe von Eurer Art, Handel zu treiben, gehört«, antwortete Handmann. »Ihr benutzt Eure Zauberkräfte, um ehrliche Männer um ihren verdienten Lohn zu bringen. Das ist Teufelswerk. Und nichts, womit ich etwas zu tun haben will.«
»Ich bitte Euch«, seufzte Elena. Sie machte einen Schritt auf Handmann zu und blieb stehen, als dieser sich mit einem vernehmlichen Japser versteifte. »Wollt Ihr uns nicht hereinbitten, sodass wir in Ruhe über alles reden können?«
Handmann lachte humorlos auf. »Ich weiß, was Ihr bezweckt, Hexe«, sagte er. »Gewiss werde ich Euch nicht hereinbitten. Ich bin nicht so dumm, wie du glaubst.«
»Dumm?«, fragte Andrej. »Was hat Höflichkeit mit Dummheit zu tun?«
Handmann antwortete zu Elena gewandt und ohne Andrej auch nur eines Blickes zu würdigen: »Ich kenne dein Geheimnis. Ich weiß, dass du keine Macht über mich hast, so lange ich dich nicht freiwillig in mein Haus bitte. Und das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Geh! Geh zurück zu deinem gottlosen Pack, und lass mich in Frieden.«
Elena gab einen enttäuschten Laut von sich. Sie blickte einen Moment lang zu Boden und schüttelte dann den Kopf. »Ich bin Euch nicht böse«, sagte sie. »Was Ihr redet, ist Unsinn, aber Ihr scheint mir trotzdem ein ganz vernünftiger Mann zu sein. Wäre ich wirklich eine Hexe, glaubt Ihr, ich würde hier stehen und bitten?«
»Woher soll ich wissen, was in Eurem gottlosen Schädel vor sich geht?«
Andrej war erstaunt, wie gelassen Elena die immer absurder werdenden Anschuldigungen und Beleidigungen hinnahm, aber er spürte auch, dass ihre Geduld fast erschöpft war. »Ihr verderbt Euren Freunden in der Stadt das Geschäft, das ist Euch doch klar?«, sagte er.
»Sie werden mir dafür dankbar sein«, behauptete Handmann. »Sobald Ihr die Stadt verlassen habt und Euer verfluchter Zauber nicht mehr auf sie wirkt.«
»Bitte, guter Mann«, sagte Elena. »Lasst uns doch vernünftig miteinander reden. Ich will nichts Übles von Euch, und ich bin ganz bestimmt keine Hexe. Wir sind nur Menschen, die essen müssen, wir Ihr - und die bereit sind, dafür zu bezahlen.« Sie wirkte irritiert, ein klein wenig auch verärgert, aber viel mehr überrascht; so als wäre sie mit einer Situation konfrontiert worden, auf die sie ganz und gar nicht vorbereitet gewesen war. »Wollt Ihr mehr Geld? Wollt Ihr den Preis in die Höhe treiben?«
Handmann machte ein Geräusch, als wollte er ausspucken. »Für alles Gold der Welt würde ich Euch und Euresgleichen nicht ein Pfund Mehl verkaufen!«
Andrej hörte, wie Elena scharf die Luft einsog, und er wusste auch ohne sie anzusehen, dass sich der Ausdruck auf ihrem Gesicht schlagartig verändert hatte. Bisher hatte sie sich um Beherrschung bemüht; vermutlich hielt sie es wie Andrej selbst, der sich in Situationen wie diesen nicht gestattete, seinem eigenen Zorn zu erliegen. Nun aber war ihre Geduld definitiv erschöpft. Rasch, noch bevor Elena etwas sagen konnte, was die Situation nur verschlimmern würde, trat er daher einen Schritt vor. »Verratet uns, womit wir uns Euren Zorn zugezogen haben«, sagte er. »Wir sind doch vernünftige Menschen. Man kann doch über alles reden.«
Die dunklen Augen des Müllers blitzten auf, und Andrej spürte, dass er einen Fehler gemacht hatte, wenngleich er auch nicht wusste, welchen.