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»Vernünftige Menschen?«, stieß Handmann hervor. Er hatte den Arm gesenkt, sodass das rote Licht der Kerze nun sein Gesicht von unten beschien, was ihm einen völlig veränderten, fast dämonischen Ausdruck, verlieh. »Ich weiß nicht, wer du bist, Mann. Du redest anders als diese Hexe, und du siehst auch nicht aus wie einer von ihrem Volk. Aber was sie und ihresgleichen angeht, so sind sie für mich keine Menschen. Sie haben mir nichts getan. Aber das müssen sie auch nicht, damit ich weiß, womit ich es zu tun habe.«

Er hätte vermutlich noch mehr und noch sehr viel Unangenehmeres gesagt, doch in diesem Moment ertönte hinter ihnen ein leises Knacken, und eine dunkel gekleidete Gestalt kam auf dem Weg auf sie zu. Im ersten Moment hätte Andrej sie für Abu Dun halten können, doch als sie einen Schritt näher kam, sah er, dass der Neuankömmling ein gutes Stück kleiner als der Nubier war. Auch trug er keinen schwarzen Kaftan samt dazugehöriger Kopfbedeckung, sondern eine einfache braune Kutte, und sein einziger Schmuck war ein kleines Holzkreuz, das an einer geflochtenen Kordel um seinen Hals hing.

Es war Bruder Flock, der Geistliche, den er am Morgen in der Stadt getroffen hatte. Allerdings wirkte er jetzt nicht mehr annähernd so freundlich wie noch vor Stunden. Seine Miene hatte sich verfinstert, und in seinen Augen funkelte mühsam unterdrückter Zorn. Ohne Andrej oder Elena auch nur eines Blickes zu würdigen, marschierte der Geistliche geradewegs zwischen ihnen hindurch und auf den Müller zu, der instinktiv ein Stück in den Schutz seines Hauses zurückwich. »Ist es das, was ich Euch gelehrt habe, Handmann?«, fragte Flock, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. »Hast du die Worte des Herrn tatsächlich schon vergessen? Du sollst nicht falsches Zeugnis reden, wider deinen Nächsten.«

Der Müller wirkte für einen Moment verunsichert, fast eingeschüchtert, dann aber straffte er die Schultern und reckte trotzig das Kinn vor. »Es heißt auch, du sollst keine anderen Götter haben neben mir«, stießt er hervor. »Ich werde diesen Heiden nichts verkaufen.«

Der Ausdruck auf dem Gesicht des Geistlichen änderte sich. Er wirkte jetzt eher traurig denn wütend. Drei, vier Atemzüge lang sah er sein Gegenüber unverwandt an, doch als die erhoffte Reaktion ausblieb, wandte er sich mit einem enttäuschten Seufzer an Andrej. »Es tut mir Leid, Andreas«, sagte er. »Ich bitte Euch, schließt nicht von diesem aufbrausenden Narren auf alle anderen Menschen hier.«

»Ganz bestimmt nicht«, sagte Elena, noch bevor Andrej antworten konnte, in einem Ton, der ihre Worte Lügen strafte. Darüber hinaus hatte sie sich zumindest äußerlich hervorragend im Griff, aber Andrej spürte den Zorn, der hinter der fast maskenhaften Starre ihres Gesichts brodelte. »Viele Eurer Brüder haben wir ja bereits kennen gelernt. Und bei den meisten hatte ich das Gefühl, dass sie die Bedeutung des Wortes ›Gastfreundschaft‹ noch kennen.«

»Gastfreundschaft!« Handmann stieß das Wort hervor wie etwas Obszönes. »Du hast sie mit deinen Hexenkräften verzaubert! Nimm deinen Bann von ihnen, und wir werden sehen, was sie unter Gastfreundschaft verstehen!«

»Handmann!«, schnappte Flock. »Das ist jetzt aber wirklich genug!«

Tatsächlich verstummte der Müller, aber sein Blick wanderte unstet zwischen Elenas und dem Geistlichen hin und her, und Andrej hätte seiner besonderen Fähigkeiten nicht bedurft, um zu begreifen, dass der Respekt, welcher der Grund seines plötzlichen Schweigens war, einzig Flocks Gewand galt, nicht ihm, und schon gar nicht dem, was er sagte.

»Ich ... mache Euch einen Vorschlag«, sagte Andrej, zögernd und mit einem warnenden Seitenblick in Elenas Richtung. Der Müller antwortete nicht, sah ihn aber fragend an, und Andrej fuhr mit einem bemühten Lächeln fort: »Wir Zahlen Euch den üblichen Preis, und wir werden auch Euren Freunden in der Stadt noch einen angemessenen Nachschlag Zahlen.«

Er konnte hören, wie Elena scharf die Luft einsog, und Flock sah ihn stirnrunzelnd an. Aber Handmann reagierte nicht so, wie er gehofft hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte auch er überrascht, ja beinahe fassungslos, dann aber - nach einem trotzigen Blick in Flocks Richtung - verzog er nur abfällig die Lippen und zischte:

»Eher verfüttere ich mein Korn an die Ratten, als dass ich Euch auch nur ein Gramm davon gebe!«

»Ganz, wie du willst«, sagte Elena. »Ganz, wie du willst, du Narr.« Damit drehte sie sich um, warf wütend den Kopf in den Nacken und verschwand, hoch aufgerichtet und mit schnellen Schritten, in der Dunkelheit.

Andrej wollte ihr schon nacheilen, aber Bruder Flock vertrat ihm den Weg und sagte in besänftigendem Tonfalclass="underline" »Lass gut sein, Andreas. Im Moment ist vermutlich jedes weitere Wort zu viel.«

Andrej schwieg und blieb unschlüssig stehen.

»Das war nicht das, was ich Euch in der Sonntagsmesse gelehrt habe, Bruder Handmann«, wandte sich Flock nun an den Müller. Er klang enttäuscht, nicht wirklich wütend, eher ein wenig verbittert.

Doch seine Worte erzielten auch diesmal nicht die Reaktion, auf die er gewartet hatte. Handmann warf dem Geistlichen einen fast verächtlichen Blick zu und machte Anstalten, wieder in seine Behausung zu verschwinden. Im letzten Moment jedoch schien er es sich anders überlegt zu haben. »Es ist spät, Bruder Flock. Wollt Ihr nicht noch hereinkommen und eine Stärkung für den Rückweg zu Euch nehmen?«, fragte er.

Für eine Sekunde spannten sich die Muskeln an Flocks Hals, und er sah ganz so aus, als wolle er explodieren. Dann aber beließ er es bei einem knappen Kopfschütteln, auf das der Müller mit einem ebenso knappen Achselzucken reagierte, bevor er die Tür hinter sich schloss.

»Es tut mir wirklich Leid, Andreas«, sagte Flock, nachdem sie eine Weile in unbehaglichem Schweigen nebeneinander dagestanden hatten. Er seufzte leise. »Ich verstehe das nicht. Normalerweise sind die Leute hier nicht so. Es sind gute Menschen, das musst du mir glauben.«

Andrej hob nur die Schultern. Er kannte weder die Menschen in dieser Gegend noch Flock gut genug, um sich ein Urteil zu bilden, und er kannte sich selbst gut genug um zu wissen, dass er dem Geistlichen gegenüber gewiss nicht unvoreingenommen war. Flock kam ihm wie ein aufrechter Mann vor, aber er trug das Gewand und sprach die Sprache derjenigen, die ihm alles genommen hatten, was sein Leben ausgemacht hatte, und denen er weder verzeihen konnte noch wollte. Statt einer Antwort, drehte er sich um und sah in die Richtung, in der Elena verschwunden war. Es war erst wenige Momente her, aber er konnte sie trotz seiner scharfen Augen schon nicht mehr sehen. Er vermutete, dass sie in ihrem Zorn einfach in den Wald hineinmarschiert war. Vielleicht, dachte er spöttisch, um ein paar Bäume zu treten.

Flock deutete sein Schweigen offensichtlich falsch, denn als er weiter sprach, klang seine Stimme fast flehend. »Es ist wirklich nicht so, wie es vielleicht aussieht, Andreas.«

Andrej sah ihn ruhig an. »Wie sieht es denn aus?«

»Wie ich schon sagte, die Leute hier sind gute Menschen«, antwortete Flock. »Aber ich kann sie auch ein wenig verstehen. Nicht, dass ich gutheiße, was Handmann getan hat, aber man muss versuchen, sie zu verstehen.«

»Warum?«

»Nun, es sind ...« Flock rang sichtbar um Worte und wich seinem Blick aus. »... Dinge vorgekommen, als das Fahrende Volk das letzte Mal hier war.«

»Dinge?«

Der Geistliche druckste einen Moment herum. »Es wurde gestohlen, und es gab einen Kampf, bei dem einer der Männer aus der Stadt schwer verletzt wurde.« Andrej schnaubte abfällig. »Ich verstehe. Die Zigeuner sind in der Stadt: Holt die Kinder ins Haus, und nehmt die Wäsche von der Leine! Das ist es doch, was Ihr sagen wollt, nicht wahr?«

»Nein!«, sagte Flock eine Spur zu hastig und zu laut. »Oder vielleicht doch. Aber nicht so, wie Ihr glaubt.«

»Was glaube ich denn?« Andrej war selbst überrascht über den aggressiven Ton in seiner Stimme. Etwas hier machte ihn nervös, und es war nicht allein Handmanns Reaktion oder das, was Flock ihm erzählt hatte.