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Als er näher kam, wurden einige der Sinti auf ihn aufmerksam. Köpfe wurden zusammengesteckt, es wurde getuschelt und auch der eine oder andere verstohlene Blick ausgetauscht. Auf einigen Gesichtern glaubte Andrej gar einen betroffenen Ausdruck zu erkennen. Die meisten Zigeuner jedoch winkten ihm freundlich zu, und einige bedeuteten ihm sogar, näher zu kommen. Unbewusst suchte sein Blick nach Elena, aber er konnte weder sie noch ihren Mann in der Menge erkennen.

Dafür eilte Bason ihm entgegen, aufgeregt mit beiden Händen gestikulierend und einen Ausdruck echter Freude auf dem Gesicht. »Andreas! Endlich bist du wach! Ich hatte schon Angst, ich müsste einen Eimer Wasser verschwenden, um dich zu wecken.«

»Warum hast du's nicht getan?«, fragte Andrej. Er sah wieder zur Bühne hoch. Der stampfende Takt der Musik war schneller geworden, und auch der alberne Schaukampf hatte an Tempo gewonnen. Die beiden vermeintlichen Angreifer starben gerade zum ungefähr fünfundvierzigsten Mal unter Abu Duns kraftvollen Hieben, was sie aber nicht daran hinderte, sich sogleich wieder zu erheben und nun sogar die Taktik zu ändern: Während der eine der beiden wie wild mit seinem Schwert auf ihn eindrosch, um ihn zu beschäftigen, versuchte der andere, hinter Abu Dun zu gelangen. Natürlich blieb es bei dem Versuch. Der Nubier wartete, bis der Junge fast an ihm vorbei war, dann fegte er ihm mit einem blitzschnellen Tritt die Füße unter dem Körper weg und stieß seinen Krummsäbel so kraftvoll neben den Hals des Angreifers in den Bretterboden, dass die Klinge zitternd stecken blieb.

Die Zuschauer honorierten diese Aktion mit tosendem Beifall, und auch Bason nickte anerkennend. »Dein Freund kann gut mit dem Schwert umgehen«, bemerkte er. »Ich bin froh, dass er nicht unser Feind ist.«

»Wenn Abu Dun euer Feind wäre«, antwortete Andrej ernst, dann wären die beiden Possenreißer da oben längst tot.

Für einen Moment sah Bason ihn mit einem Ausdruck an, der Andrej einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Dann aber lächelte er wieder so strahlend und ehrlich, wie er es von ihm gewohnt war. »Gottlob seid ihr ja nicht unsere Feinde.«

Andrej erwiderte sein Lächeln, aber er spürte auch, dass es kühler ausfiel als beabsichtigt. »Was soll dieser Mumpitz?«, fragte er und nickte Richtung Bühne.

»Gefällt's dir nicht?«, fragte Bason mit gespielter Enttäuschung. »Du willst keine ehrliche Antwort, oder?«

»Welcher Künstler will schon eine ehrliche Antwort auf die Frage, ob sein Stück gefällt?«

»Dein Stück?«

Bason machte ein verlegenes Gesicht. »Ich gestehe, ich habe es geschrieben. Das war auch der Grund, warum ich deinen Freund gebeten habe, eine Rolle darin zu übernehmen.«

Andrej blickte kopfschüttelnd zu Abu Dun hinauf. Der Nubier war mittlerweile in die Defensive gegangen und tat so, als koste es ihn immer größere Mühe, die Angriffe der beiden Jungen abzuwehren - Andrej mutmaßte allerdings, dass es ihn immer größere Mühe kostete, sie aus Versehen nicht doch noch zu verletzen. Theaterwaffen hin oder her, er hatte selten jemanden gesehen, der sich im Kampf so ungeschickt bewegte wie die beiden ›Angreifer‹.

»Welche Rolle spielt er?«, fragte er. »Die des Hofnarren?«

»Er stellt das türkische Heer dar«, antwortete Bason ernst. »Bei der Schlacht um Prag.«

»Die muss ich wohl verpasst haben«, erwiderte Andrej.

Die gespielte Enttäuschung auf Basons Gesicht nahm noch zu. »Es hat nie eine Schlacht um Prag gegeben?« Er zuckte mit den Schultern. »Macht nichts, klingt auf jeden Fall gut. Die Türken verwüsten das Land, töten die Männer, plündern die Städte, und reiben das christliche Herr auf, bis sich die tapferen Bauern und Handwerker zusammentun und selbst eine Armee aufstellen.«

»Und das türkische Heer natürlich in die Flucht schlagen?«, vermutete Andrej.

»Nach einem langen und harten Kampf, ja«, bestätigte Bason. Und wie aufs Stichwort brachte in diesem Moment einer der beiden Burschen seinen ersten Treffer mit dem Spielzeugschwert an. Andrej zuckte leicht zusammen, als er das dumpfe Geräusch hörte, mit dem die hölzerne Klinge gegen Abu Duns Arm prallte, und auch der Nubier stieß einen grunzenden Schmerzenslaut aus. Für den Bruchteil einer Sekunde war Andrej alarmiert, als er sah, wie sich Abu Duns Gesicht vor Wut verzerrte - aber der junge Dummkopf dort oben hatte Glück. Der Nubier fasste sich, ehe sein Jähzorn die Oberhand gewinnen konnte, und der Kopf des Narren blieb auf seinen Schultern.

»Ich weiß, das ist keine besonders originelle Handlung«, gestand Bason, der Andrejs Schweigen vermutlich falsch gedeutet hatte. »Aber die Leute mögen so etwas. Und sie werden deinen Freund dort oben lieben. Bisher haben wir uns selbst als Türken verkleidet, aber mit einem echten Sarazenen-Krieger gewinnt das Stück doch sehr an Glaubhaftigkeit.«

»Willst du einen Rat von mir?«, fragte Andrej.

Bason nickte heftig. »Ich hätte dich sowieso gefragt. Dein Freund hat erzählt, dass ihr gegen die Türken gekämpft habt?«

Andrej ignorierte die Bemerkung und machte eine Kopfbewegung Richtung Bühne, auf der Abu Dun gerade unter einem heftiger als notwendig angedeuteten Stich in die Knie ging und mit nicht nur gespieltem Schmerz die Hände gegen den Leib schlug. »Wenn du die Rolle der Helden nicht dauernd neu besetzen willst, dann solltest du deinen Schauspielern raten, nicht ganz so hart zuzuschlagen. Abu Dun ist vielleicht der erste richtige Sarazene, den ihr seht, aber glaub' mir, er ist auch der jähzornigste Araber, den du jemals treffen wirst.«

Für einen Moment blickte Bason stirnrunzelnd zum Podest, auf dem Abu Dun mittlerweile zu Boden gefallen war. Einer der beiden Sinti stand über ihm und hatte anscheinend Gefallen an der Idee gefunden, dem Schwarzen die stumpfe Spitze seines Holzschwertes an die Kehle zu setzen, ohne zu ahnen, wie nahe er daran war, die gleiche Erfahrung mit einem echten Säbel zu machen. »Ja«, sagte Bason zögernd und mit einem schiefen Lächeln. »Ich ... werde es ihnen sagen. Künstlerschicksal«, seufzte er.

Andrej erwiderte sein Lächeln nicht, sondern sah wieder fassungslos zu Abu Dun, sich fragend, warum der Nubier dieses Possenspiel mitmachte. Er hoffte zwar inständig, daß die gestrige hässliche Szene zwischen ihnen die letzte ihrer Art gewesen war, war aber zugleich auch Realist genug, um zu wissen, dass diese Hoffnung kaum mehr als ein frommer Wunsch sein konnte. Er kannte Abu Dun nun wahrlich lange genug, um sagen zu können, dass der Nubier im Grunde seines Herzens ein sehr vernünftiger und kluger Mann war, zugleich aber auch so störrisch und uneinsichtig sein konnte wie ein Kind. Selbst wenn er wusste, dass er im Unrecht war, hieß das noch lange nicht, dass er das zugeben würde.

»Du siehst nicht begeistert aus«, bemerkte Bason. »Gefällt dir das Stück wirklich nicht?«

»Willst du die Wahrheit hören?«, fragte Andrej.

Basons Grinsen wurde noch eine Spur breiter. »Untersteh' dich!«

»Es ist entwürdigend«, sagte Andrej. »Und es ist nicht besonders gut.«

Bason blinzelte. Für einen Moment wirkte er ehrlich verletzt, dann drehte er sich um und sah wieder zur Bühne hoch, wo das Stück offensichtlich seinem Höhepunkt entgegenstrebte: Irgendwie war Abu Dun wieder auf die Beine gekommen, wich aber nun vor den ungeschickten Hieben der Holzschwerter in gespielter Panik zurück, wobei er sich größte Mühe gab, ebenso tölpelhaft zu wirken wie seine Gegner.

Bason seufzte. »Der Künstler in mir hätte vielleicht eine etwas weniger drastische Ausdrucksweise bevorzugt«, gestand er. »Möglicherweise hast du Recht.« Er schwieg einen Moment, in dem er Andrej auf eine nachdenkliche Weise ansah, die diesem gar nicht gefiel, dann fragte er mit veränderter, hoffnungsvoller Stimme: »Vielleicht sollte ich dir auch eine Rolle in das Stück schreiben?«