»Vielleicht habe ich nur noch nie eine Frau wie dich getroffen«, antwortete er und versuchte diesmal, sie mit beiden Armen sie zu sich hinabzuziehen.
Diesmal ließ sie es geschehen. Lachend warf sie sich auf ihn und küsste ihn flüchtig auf die Lippen, stemmte aber dann die Hände gegen seine Brust und zog den Kopf zurück, als er aus diesem Kuss mehr machen wollte als ein neckisches Spiel.
»Du bist ein miserabler Lügner, Andreas«, sagte sie. »Aber charmant.«
»Ich habe noch ganz andere Qualitäten«, antwortete er. Mit einem entschlossenen Ruck zog er sie wieder zu sich, um sie gegen ihren Willen nun wirklich zu küssen.
Diesmal wehrte sich Elena nicht. Dafür biss sie ihn so kräftig in die Unterlippe, dass er sie mit einem Schmerzensschrei losließ und sich überrascht aufrichtete. Elena glitt von ihm herunter und stand auf. »He!«, protestierte er. »Das hat weh getan!«
»Das sollte es auch«, antwortete Elena lachend. »Stell dich nicht so an, großer Krieger. Wenn Laurus von dem erfährt, was wir hier getan haben, dann wird er dir noch sehr viel mehr wehtun.«
Verwirrt fuhr sich Andrej mit dem Handrücken über den Mund. Die Unterlippe war aufgeplatzt und hatte kurz geblutet, aber die Wunde begann sich schon wieder zu schließen, und er wollte nicht, dass Elena das sah. Vermutlich reichte ihr menschliches Sehvermögen ohnehin nicht aus, um alle Details seines Gesichts in dem hier herrschenden Zwielicht auszumachen, aber Andrej hatte gelernt, auch mit dem Unwahrscheinlichen zu rechnen. So wischte er das Blut auf seinen Lippen nicht wirklich ab, sondern verteilte es lediglich ein bisschen.
»Das wird dich lehren, nicht noch einmal die Tugend einer ehrenhaften Frau zu missachten«, sagte Elena lachend. Sie trat einen weiteren Schritt von seinem Bett zurück, wie, um sich außer Reichweite zu bringen, sah aber mit spöttischem Blick auf ihn hinab und betastete dann ihren Mund. Ein einzelner Tropfen von Andrejs Blut glitzerte auf ihren Lippen wie eine rote Träne. Dich sie wischte ihn nicht fort. Sie leckte ihn mit der Zungenspitze auf. Andrej erstarrte. Ein Schlag ins Gesicht hätte ihn kaum härter und unerwarteter treffen können.
»Was ... warum hast du das getan?«, murmelte er fassungslos. Elena schwieg einen Moment, dann neigte sie den Kopf und sah ihn mit einem Ausdruck vollkommener Verständnislosigkeit an. »Was?«
»Das Blut«, murmelte Andrej. »Du hast... das Blut...« Verständnislos hob Elena erneut die Fingerspitzen an ihre Lippen. Dann ließ sie den Arm mit einem Achselzucken wieder sinken. »Und? Glaubst du, nach den letzten beiden Stunden wäre mir noch irgendetwas an dir fremd?«
»Nein«, sagte Andrej betreten. Gleichzeitig schalt er sich einen Narren. Wieso reagierte er so hysterisch auf etwas, das unter normalen Liebenden allerhöchstens ungewöhnlich, wenn nicht anrührend war, und bei dem sich Elena mit Sicherheit nichts gedacht hatte? »Entschuldige. Ich war nur ... überrascht.«
Die Zigeunerin lachte. »Dann warte ab, bis wir uns besser kennen gelernt haben, Andreas. Ich bin vielleicht noch für eine Menge Überraschungen gut. Und jetzt sollte ich wirklich gehen. Ich muss deinem Freund seine Medizin bringen. Und darauf achten, dass er sie auch nimmt.«
Andrej nickte stumm und sah zu, wie sie den Wagen verließ. Die Lampe, die sie mitgebracht hatte, war längst erloschen, und nachdem Elena gegangen war, schien auch das Mondlicht, das durch die Fenster fiel, plötzlich blasser zu werden, sodass er in Schatten und fast vollkommene Stille gehüllt zurückblieb. Und plötzlich hatte er Angst.
Und er wusste nicht einmal, wovor.
Ein unsanftes Rütteln an seiner Schulter weckte ihn am nächsten Morgen.
Noch bevor Andrej die Augen aufschlug, ließ er ein gequältes Stöhnen hören, denn das erste, was er nach dem Aufwachen spürte, war ein rasender Kopfschmerz, der seinen Schädel von innen heraus zu zertrümmern schien.
Flatternd öffneten sich seine Lider, die er jedoch sofort wieder zusammenpresste, denn das Sonnenlicht stach ihm wie glühende Messer in die Augen. Dazu kam das unwillige Gerüttel an seiner Schulter, das noch immer nicht aufhörte und ihm weitere Qual bereitete. Er versuchte, die Hand zur Seite zu schieben, aber es gelang ihm nicht. Sein Arm schien einen Zentner zu wiegen; er hatte kaum die Kraft, ihn zu heben.
»Machst du jetzt endlich die Augen auf, oder muss ich einen Eimer Wasser holen?«, fragte eine wohlbekannte und sehr gereizt klingende Stimme.
Andrej versuchte es noch einmal, wobei er vorsichtshalber den Kopf zur Seite drehte, um nicht direkt in Richtung Fenster zu blicken. Über ihm schwebte ein riesiger schwarzer Schatten, der ihn ärgerlich anblickte.
»Abu Dun?«, fragte er.
»Es sei denn, du kennst noch einen schwarzen, sieben Fuß großen, ehemaligen Sklavenhändler, der ein gut gehendes Geschäft und ein erfülltes Leben gegen die undankbare Aufgabe eingetauscht hat, dich auf deinen haarsträubenden Abenteuern zu begleiten und ständig den Kopf für dich hinzuhalten«, knurrte Abu Dun. »Was ist los mit dir? Hattest du eine harte Nacht, oder hast du leichtsinnigerweise in den Spiegel gesehen und bist endlich zu dem Schluss gekommen, dass du dringend mehr Schönheitsschlaf brauchst?«
Andrej drehte sich ächzend herum und richtete sich unsicher auf. Seine Augen hatten sich an das Licht gewöhnt, und auch der Schmerz hinter seiner Stirn war jetzt nicht mehr ganz so schlimm wie noch vor Augenblicken. Dennoch gelang es ihm nicht, den Schlaf so rasch und mühelos abzuschütteln, wie er es gewohnt war. »Wie ich sehe, geht es dir besser«, murmelte er, während er sich auf die Knie aufstützte und das Gesicht in den Händen verbarg. »Ich bin im Moment allerdings nicht sicher, ob das ein Grund zur Freude ist.« Abu Dun lachte rau. »Der Zaubertrank, den mir die Hexe gegeben hat, hat seine Wirkung getan, ja«, bestätigte er. »Wenn du willst, frage ich sie, ob sie auch etwas für dich hat. Du siehst aus, als könntest du ein wenig Medizin gebrauchen.«
»Bitte, Abu Dun«, murmelte Andrej. »Ich habe Kopfschmerzen. Und ich fühle mich miserabel.«
Abu Dun riss ungläubig die Augen auf. »Kopfschmerzen? Du?« Plötzlich grinste er. »Sag nicht, du hast einen Kater.«
»Dazu müsste ich gestern getrunken haben.« Andrej nahm die Hände vom Gesicht, sah Abu Dun einen Moment lang müde an und versuchte dann, aufzustehen. Es gelang ihm erst im zweiten Ansatz, und er war so unsicher, dass er torkelte. Zu allem Überfluss streckte Abu Dun die Hand aus, um ihn zu stützen.
»Schon gut«, sagte Andrej hastig. »So schlimm ist's nun auch wieder nicht.«
Abu Dun grinste noch immer, aber es war ein Grinsen ohne Beteiligung der Augen. Solange sie zusammen waren, hatte er seinen Freund in einem solchen Zustand höchstens nach einer schweren oder tödlichen Verwundung erlebt. Niemals jedoch nach einem ganz normalen Schlaf.
Andrej rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen und atmete tief ein und aus, um seine Lungen mit Sauerstoff zu füllen. Es half nur wenig; die Benommenheit fiel zwar langsam von ihm ab, aber die Müdigkeit blieb, und er fühlte sich noch immer sehr schwach. Als er sich das nächste Mal zu Abu Dun herum drehte und ihn ansah, war das Grinsen des Nubiers endgültig erloschen, und aus der Verwirrung in seinem Blick war echte Sorge geworden.
Andrej sah an sich herab und stellte fest, dass er nackt war. Peinlich berührt drehte er sich um, suchte in den zerwühlten Laken nach seiner Hose und entdeckte sie schließlich am Ende des Raums auf dem Boden. Während er sich anzog, beobachtete er Abu Dun unauffällig aus den Augenwinkeln.
Der Nubier starrte ihn an, dann blickte er stirnrunzelnd auf das zerwühlte Bett, auf Andrejs Kleider, die überall im Raum verteilt waren - und plötzlich breitete sich ein mokantes Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Oh«, sagte er. »Ich verstehe. Du hattest eine harte Nacht. Es gibt ja auch ein paar wirklich hübsche Mädchen hier im Lager. Hätte allerdings nicht gedacht, dass du so schnell -« Er brach ab. Seine Augen wurden groß und rund, und das anzügliche Grinsen machte einem Ausdruck tiefster Bestürzung Platz. »Elena!«, rief er.