»Du verdammter Esel hast mit Elena -«
»Was ich getan habe und mit wem, geht dich einen feuchten Kehricht an«, unterbrach ihn Andrej scharf. »Oder schreibe ich dir vor, was du mit wem tust?«
»Aber Elena!«, ereiferte sich Abu Dun. »Bei Allah, bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Weißt du nicht, was uns blüht, wenn Laurus dahinter kommt?«
»Er wird uns davonjagen«, antwortete Andrej. »Und? Das ist doch genau das, was du willst, oder etwa nicht?«
»Ich glaube nicht, dass das so einfach laufen würde«, antwortete Abu Dun grimmig. »Und das weißt du auch. Ganz davon abgesehen, dass er Elena vielleicht umbringen wird.«
»Jetzt sag nicht, du sorgst dich um sie.« Abu Dun schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Aber um dich. Und um mich.« Er ächzte vernehmlich. »Egal, ich will nicht mit dir streiten. Du hast Recht. Es geht mich nichts an. Sag mir lieber, was zum Teufel mit dir los ist.« Andrej sah überrascht hoch. Dass Abu Dun so rasch aufgab - noch dazu, wenn er sich so unzweifelhaft im Recht wusste - war mehr als ungewöhnlich. Und er verstand auch dessen Frage nicht. »Was meinst du damit?« Der riesenhafte Nubier machte eine Kopfbewegung zum Fenster. Die Helligkeit dahinter war noch immer so gleißend, dass Andrej die Augen zusammenkneifen musste. Und er konnte spüren, dass dieser Tag noch heißer war als die vorher gehenden. »Es ist fast Mittag.«
»Was?!«
»Bason hat schon zwei Mal nach dir gefragt, und sein Bruder auch. Er hat mich gebeten, dich zu wecken, bevor Laurus es tut. Also, was ist mit dir? Seit wann schaffst du es morgens nicht mehr aus den Federn?«
»Ich weiß nicht«, gestand Andrej. »Ich ... fühle mich nicht gut.«
»Ich dachte immer, du kannst nicht krank werden.«
»Ja, das dachte ich bis heute auch«, antwortete Andrej. Er hob die Schultern. »Vielleicht waren es diese verdammten Ratten.«
Die Worte taten ihm schon Leid, bevor er sie ausgesprochen hatte. Abu Duns Gesicht verdüsterte sich, als er an den Zwischenfall in der Mühle zurückdachte. Aber Andrej war ziemlich sicher, dass es nicht die Erinnerung an die Ratten war, die ihm zu schaffen machte. Zu seiner Erleichterung sprach ihn der Nubier jedoch nicht darauf an, sondern zuckte nur mit versteinerter Miene die Achseln.
Andrej hatte sich mittlerweile vollständig angekleidet und ließ sich noch einmal auf die Bettkante sinken, um sich die Stiefel anzuziehen. »Wie ich sehe, geht's dir dafür umso besser«, sagte er. »Der Trank von Anka scheint gewirkt zu haben.«
»Vielleicht war es auch die gute Pflege«, sagte Abu Dun augenzwinkernd. »Die beiden jungen Täubchen, die sich um mich gekümmert haben, verstanden ihr Handwerk. Die eine hat die ganze Nacht neben meinem Lager gewacht.«
Ächzend schlüpfte Andrej in den zweiten Stiefel. Dann erhob er sich und griff nach seinem Schwertgurt, um ihn langsam und umständlich anzulegen. Allein der Gedanke, in das grelle Tageslicht und die unbarmherzige Hitze hinauszutreten, bereitete ihm Übelkeit, und er fühlte sich noch immer so unendlich schwach und müde, dass er Angst hatte, im Stehen einzuschlafen. Was ist nur los mit mir?
Abu Dun machte eine ausholende Handbewegung. »Einen richtigen kleinen Palast hast du ja hier«, sagte er spöttisch.
»Was hast du getan, dass Laurus dir diese noble Unterkunft zugewiesen hat?«
»Sie reicht auch für zwei«, bemerkte Andrej. »Aber glaube bloß nicht, dass ich dir helfe, dein Gepäck hereinzutragen.«
»Mir gefällt mein Zelt«, erwiderte Abu Dun, und mit einem vielsagenden Blick auf das Bett fügte er hinzu: »Außerdem möchte ich nicht stören.« Andrej zog verärgert die Stirn kraus und verließ den Wagen. Der Freund folgte ihm.
Abu Dun hatte die Wahrheit gesagt. Die Sonne stand im Zenit und tat ihr Möglichstes, um das Lager in einen Backofen zu verwandeln. Die Luft zwischen den Zelten flirrte vor Hitze, und das Licht war so grell, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Immerhin half ihm die Bewegung, die Benommenheit abzuschütteln. Er wandte sich zu Abu Dun um. »Rason hat also nach mir gefragt?«
Der Nubier hob die Schultern. »Vielleicht war es auch Bason«, meinte er. »Ich kann die beiden kaum auseinander halten. Er sagt, ihr hättet eine Vereinbarung, und du wärst ihm noch was schuldig.«
»Stimmt«, knurrte Andrej. »Ich muss ihm noch die andere Hand brechen.«
Abu Dun blickte ihn fragend an, aber Andrej ignorierte ihn und ging los. Er wusste nicht, wo er nach Bason suchen sollte, war aber ziemlich zuversichtlich, dass der Junge sich irgendwo in der Nähe der Bühne herumtrieb. Abu Dun holte mit raschen Schritten zu ihm auf, und wieder stellte Andrej erstaunt fest, wie gut sich der Nubier erholt zu haben schien. Seinen Bewegungen war nicht die mindeste Spur von Schwäche anzusehen, die Wangen waren voll, die Augen strahlend - kurz, der ganze Kerl strotzte nur so vor Kraft und Gesundheit.
Er war genau der Abu Dun, den er seit drei Jahren kannte, nicht der Mann, der binnen einer Woche zwei Mal schwer verletzt worden war und soeben eine Nacht im Fieberwahn durchgestanden hatte. Und dann fiel Andrej auf, dass selbst die kleinen Schrammen und größeren Wunden, die der Nubier davongetragen hatte, fast vollkommen verheilt waren. Er wusste, Abu Dun hatte die Konstitution eines Ochsen und tat Dinge mit einem Schulterzucken ab, die einen anderen Mann umgebracht hätten, aber er hatte noch nie erlebt, dass der Schwarze sich so schnell erholte.
Der Gedanke entglitt ihm, bevor er ihn weiter verfolgen konnte, aber er nahm sich vor, Elena bei nächster Gelegenheit nach der Zusammensetzung des Trankes zu fragen, den Anka gebraut hatte.
Sie fanden Bason nicht bei der Bühne, doch ein anderer Sinti sagte ihnen, dass er und sein Bruder in den kleinen Forst gegangen wären, um Holz zu schlagen. Bei der Erwähnung des Waldstückchens jenseits des Lagers fuhr Abu Dun fast unmerklich zusammen, und auch Andrej sah besorgt zu den Bäumen hin. Nahezu gleichzeitig machten sie auf dem Absatz kehrt und stapften Richtung Wald davon. Andrej war plötzlich froh, seine Waffe mitgenommen zu haben.
Das ungute Gefühl, das die Worte des Sinti in ihm geweckt hatten, wurde stärker, je mehr sie sich den Bäumen näherten. Andrej lauschte in das von Schatten erfüllte Dunkel hinein, und er nahm nichts wahr, was nicht da sein sollte, aber das beruhigte ihn keineswegs. Auch bei Handmanns Mühle hatte er die Anwesenheit der Dämonen erst gespürt, als es zu spät war. Andrej schauderte, als ihm auffiel, dass er insgeheim das gleiche Wort für diese unheimlichen Kinder benutzt hatte wie Pater Flock. Noch vor zwei Tagen hätte er diesen Gedanken als völlig lächerlich abgetan, doch mittlerweile fragte er sich immer häufiger, ob es so etwas wie Dämonen und Teufel tatsächlich gab. Immerhin war er seinem eigenen Dämon schon begegnet; ein Dämon, der vielleicht nicht aus der Hölle stammte, aber womöglich von einem Ort, der noch schlimmer war ...
Seine Befürchtungen erwiesen sich jedoch als unbegründet. Schon während sie sich dem Waldrand näherten, hörten sie Stimmen und das Splittern und Brechen von Holz, dann ein helles Lachen, das Andrej als das Basons identifizierte.
Laut die Namen der beiden Sinti rufend, drangen sie ins Unterholz vor. Sie trafen die Brüder nur wenige Schritte vom Waldrand entfernt an, wo Rason dabei war, mit einer Handaxt Äste von den Bäumen zu schlagen, die sein Bruder sorgfältig aufschichtete. Der Stapel war allerdings schon jetzt so hoch, dass selbst zwei Mann ihn unmöglich wegtragen konnten.
»Andrej, Abu Dun!« Rason wedelte aufgeregt mit der Axt umher. »Seid ihr gekommen, um uns zu helfen?«
»Ihr seht nicht so aus, als ob ihr Hilfe bräuchtet«, antwortete Andrej. Er nickte Rason zu und warf dann einen etwas längeren Blick auf dessen Bruder. Basons rechte Hand war so dick verbunden, dass sie fast unförmig wirkte, aber er schien trotzdem keine Mühe zu haben, sie zu benutzen, wie Andrej erleichtert feststellte.