»Ein paar zusätzliche Hände können nie schaden«, antwortete Bason fröhlich.
»Oder zwei«, fügte sein Bruder hinzu.
»Haltet ihr das für klug, ausgerechnet hier Feuerholz zu sammeln?«, wandte Abu Dun ein.
Rason blinzelte und sah den Schwarzen fragend an, und auch sein Bruder ließ die Axt sinken und blickte verständnislos drein.
»Nicht weit von hier ist der Pfaffe überfallen worden«, erklärte der Nubier, »und bisher weiß niemand, wer es war.«
Die Brüder tauschten einen beredten Blick. »Wir wissen uns unserer Haut schon zu wehren«, sagte Bason schließlich. »Außerdem glaube ich kaum, dass der, der das getan hat, noch einmal zurückkommt. Jedenfalls nicht an den gleichen Ort.«
»Und wenn doch, dann bist du der erste, der es erfährt, ich weiß«, sagte Abu Dun. »Habt ihr irgendwelche Spuren gefunden?«
»Nein«, sagte Bason.
»Wir haben aber auch nicht danach gesucht«, fügte Rason hinzu. Er holte aus und schlug seine Axt so kraftvoll in den erstbesten Baumstamm, dass die Klinge fast zur Hälfte darin stecken blieb.
Für einen Mann seiner Statur und seines Alters ist er erstaunlich stark, dachte Andrej. Er wandte sich an Bason. »Was macht deine Hand?«
»Tut kaum noch weh«, antwortete der junge Sinti. »Der Verband wäre gar nicht mehr nötig, aber Elena besteht darauf, damit sich die Wunde nicht entzündet. Manchmal weiß ich nicht, wer ängstlicher ist - sie oder Anka. In einigen Tagen kann ich sie bestimmt wieder ganz normal benutzen.« Plötzlich schmunzelte er. »So lange falle ich natürlich bei meiner eigentlichen Arbeit aus. Du weißt, was das bedeutet?«
»Dass ich Holz sammeln muss?«, fragte Andrej.
Basons Grinsen wurde breiter. »Immerhin war ich bisher die größte Attraktion auf der Bühne«, behauptete er. »Die Leute sind nur gekommen, um einen wahren Meister der Schwertkunst zu sehen. Sie werden enttäuscht sein, wenn ich nicht auftreten kann.«
»Und da meinst du -«, begann Andrej.
»- dass es nur recht und billig ist, wenn du mich vertrittst, bis ich wieder vollkommen genesen bin«, beendete Bason den Satz. »Oder willst du den Rest deines Lebens von einem schlechten Gewissen geplagt werden, weil du nicht vergessen kannst, dass du in meiner Schuld stehst?«
Gegen seinen Willen musste Andrej lachen. Basons Argumentation war so haarsträubend und dabei so dreist, dass sie ihm schon wieder fast gefiel. Es war wie verhext: Selbst wenn er es sich fest vornahm, es gelang ihm einfach nicht, Bason irgendetwas abzuschlagen. »Wir werden sehen«, sagte er.
»Vielleicht sollten wir uns ein wenig umsehen«, ließ sich Abu Dun vernehmen. Auf Andrejs fragenden Blick fuhr er fort: »Es war fast an dieser Stelle, wo der Pfaffe überfallen wurde. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber vielleicht finden wir noch Spuren.«
»Tut das«, sagte Rason. »Wir sind hier gleich fertig, und wenn wir ins Lager zurückkommen, wartet eine köstliche Mahlzeit auf uns. Elena hat gekocht, und sie hat mir gesagt, dass sie mir den Kopf abreißt, wenn ich dich und deinen Freund nicht zum Essen mitbringe.«
»Laurus wird nicht begeistert davon sein«, sagte Abu Dun, aber Rason zuckte nur mit den Schultern und trennte mit einem kraftvollen Hieb einen weiteren, handgelenkdicken Ast von einem Baum. »Die Wahrheit ist, dass es Elena noch nie sonderlich interessiert hat, was Laurus recht ist und was nicht«, sagte er. »Sucht nur nach euren Spuren. Aber kommt nicht zu spät. Sonst reißt Elena euch den Kopf ab.« Andrej war nicht wohl dabei, weiter in diesen unheimlichen Wald einzudringen. Nach zwei Tagen und bei der herrschenden Hitze war es vollkommen unmöglich, dass sie noch Spuren fanden, und das wusste Abu Dun ebenso gut wie er. Dennoch gab er dem Nubier mit einem Nicken zu verstehen, dass er mit dem Plan einverstanden war, und sie bewegten sich tiefer in das schattige Halbdunkel hinein. Erst als sie außer Hörweite der Brüder waren, blieb er stehen und drehte sich ruckartig zu Abu Dun herum.
»Was soll das?«, fragte er scharf. »Hier gibt es keine Spuren mehr, und das weißt du ganz genau.«
»Natürlich«, antwortete Abu Dun. In seiner Stimme und viel mehr noch in seinem Blick lag ein sonderbarer Ernst, der Andrej nicht nur alarmierte, sondern ihn auch schlagartig alles vergessen ließ, was er hatte sagen wollen.
»Ich wollte nur weg von den beiden.«
»Rason und Bason?«, fragte Andrej. »Warum?«
»Weil mit ihnen was nicht stimmt«, antwortete Abu Dun.
»Unsinn!«, widersprach Andrej. »Wenn es hier jemanden gibt, der wirklich harmlos ist, dann sind es diese beiden Jungen.«
Abu Dun sah ihn eine Weile grüblerisch an, dann nickte er. Aber es wirkte nicht wie eine Bestätigung von Andrejs Worten, sondern eher wie eine Bestätigung dessen, was er selbst gedacht hatte. »Ja«, sagte er. »Mir geht's genau so. Man denkt, das sind zwei nette junge Burschen, denen man einfach nichts abschlagen kann. Wenn sie dich bitten würden, dir selbst die Kehle durchzuschneiden, würdest du es vermutlich auch tun, habe ich Recht?«
»Was soll der Unsinn?«, fragte Andrej mehr verwirrt denn verärgert.
»Was ist das für ein Abkommen, das du mit Bason getroffen hast?«, fragte Abu Dun.
»Er hat mich gebeten, in seinem Stück mitzuspielen«, antwortete Andrej fast widerwillig. »Und ihm das Schwertkämpfen beizubringen.«
»Hast du ihn dabei verletzt?«
»Es war ein Unfall«, verteidigte sich Andrej. »Wir haben mit Holzschwertern geübt. Eines ist zersplittert, weil ich ungeschickt war und zu fest zugeschlagen habe. Tut mir sehr Leid.«
»Es tut dir nicht nur Leid, es macht dir zu schaffen«, stellte Abu Dun fest. »Merkst du es nicht, Andrej?«
»Was?«
»Seit wann bist du so zart besaitet?«, fragte Abu Dun. Er machte eine abwehrende Handbewegung, als Andrej protestieren wollte. »Erinnerst du dich noch an vergangenes Jahr, das kleine Fischerdorf ? Du hast einem Kerl beide Arme gebrochen, nur weil er in deiner Gegenwart ein Kind geschlagen hat. Und als sie Alessa umgebracht haben, da hast du ein ganzes Dorf niedergebrannt, und wenn ich mich recht erinnere, ohne auch nur eine Träne zu vergießen. Seit wann also plagt dich das schlechte Gewissen wegen eines verstauchten Handgelenkes ?«
»Ich hätte wissen müssen, was passiert«, antwortete Andrej. Abu Duns Worte verunsicherten ihn, und er konnte nicht sagen, warum. Irgendetwas in ihm schien zu spüren, dass der Freund die Wahrheit sagte, aber das Gefühl war zu vage, um es zu greifen. »Es war meine Schuld. Punktum.«
»Das bestreite ich auch nicht«, sagte Abu Dun. »Es macht dir nur so sehr zu schaffen, weil du diesen Jungen so magst, habe ich Recht? Leugne es nicht. Mir geht es ganz genauso. Und wenn ich noch ein paar Tage länger bleibe, dann frage ich die beiden, ob ich sie an Kindes statt annehmen darf.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Dass das alles nicht mehr normal ist«, antwortete der Nubier Er schürzte die Lippen. »Selbst jetzt fällt es mir schwer, so über sie zu sprechen, obwohl sie nicht einmal in der Nähe sind. In ihrer Gegenwart -«, er hob die Schultern und ließ den Satz unbeendet. »Was ist in ihrer Gegenwart?«
Abu Dun schwieg einen Moment, dann sagte er in einem Tonfall, der zugleich nachdenklich als auch fast grollend klang: »Ich kann mir nicht helfen, aber ich muss immer wieder an gewisse andere Kinder denken, denen ich auch nichts zuleide tun konnte, obwohl sie drauf und dran waren, mich umzubringen.«
Andrej starrte ihn fassungslos an. »Das ist jetzt nicht dein Ernst!«
»Und wenn doch? Schneidest du mir dann das Herz heraus, weil ich es gewagt habe, schlecht über die beiden zu reden? Oder begnügst du dich damit, meine Seele zu fressen?«