»Beeindruckend«, sagte Laurus, und Elena murmelte: »Was für ein Mann!«
Nicht nur Andrej sah sie erstaunt an, auch Laurus wandte kurz den Kopf und bedachte sie mit einem missbilligenden Stirnrunzeln.
Aber Elena lachte nur noch herzhafter. »Was schaust du mich an?«, neckte sie ihn. »Wäre es dir lieber, ich würde mich für Schwächlinge begeistern?«
Laurus war klug genug, nicht darauf zu antworten, sondern es bei einem noch tieferen Stirnrunzeln und einem angedeuteten und alles andere als überzeugenden Lächeln zu belassen und sich dann wieder auf Abu Dun und das Geschehen auf der Bühne zu konzentrieren. Aber während er den Kopf drehte, streifte sein Blick flüchtig Elenas rechten Arm, mit dem sie sich bei Andrej untergehakt hatte, und Andrej spürte, wie Laurus innerlich zusammenfuhr. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich gehe, dachte er.
»Nun, ihr ungläubigen, Schweinefleisch fressenden Hunde?«, brüllte Abu Dun, während er drohend den Säbel schüttelte. »Zittert vor der Macht Abu Duns. Und messt euch mit ihm, wenn ihr es wagt!« Er versetzte dem Hackklotz einen Tritt, der ihn mitten ins Publikum stürzen ließ. Zwei oder drei Männer sprangen hastig zur Seite, irgendjemand fluchte, was von den Umstehenden jedoch mit einem Chor aus schadenfrohem Gelächter kommentiert wurde. Rason verschwand unterdessen hinter der Bühne. Nach einem kurzen Moment kehrte er wieder zurück; in der linken Hand trug er ein Holzschwert, in der rechten einen runden, aus Weidenzweigen geflochtenen Schild. Er reichte beides an Abu Dun.
»Kommt her, ihr Feiglinge!«, rief Abu Dun herausfordernd. »Wer von euch den Mut hat, sich mit mir zu messen, der soll vortreten! Wer es schafft, mich niederzuschlagen, oder mir so lange Stand zu halten, wie der Sand in dieser Uhr braucht, um hindurchzurieseln, der bekommt fünf Taler auf die Hand!«
Rason zauberte eine kleine Sanduhr unter seinem Wams hervor, die er für alle gut sichtbar über den Kopf hielt. Andrej kam zu dem Schluss, dass es kaum länger als eine Minute dauern konnte, bis die Zeit in diesem Standglas abgelaufen war. Eine trügerisch kurze Spanne für jeden, der annahm, gegen Abu Dun schon irgendwie bestehen zu können. Aber eine Ewigkeit für jeden, der sodann dem säbelschwingenden Nubier gegenüber stand.
Andrej hatte längst nicht mehr vor, zu gehen. Er war über die Maßen alarmiert. Was hatte der Freund vor? Er war immer noch nicht bereit zu glauben, dass der Nubier etwas wirklich Dummes tun könnte, aber plötzlich erinnerte er sich wieder an ihren Streit vom Vormittag, an den fast unheimlichen Ausdruck in Abu Duns Augen und an seine Worte: Dann lässt du mir keine andere Wahl!
»Wagt es keiner?«, rief Abu Dun. »Fünf Taler für jeden!« Das Publikum wurde leiser. Einige Männer lachten noch, irgendwo hatte ein Kind zu weinen begonnen, erschreckt durch Abu Duns herrische Stimme und sein finsteres Gesicht, doch allmählich machte sich betretenes Schweigen unter den Zuschauern breit.
»Was soll das?«, murmelte Laurus. »Das war nicht abgesprochen. Dieser Narr, wenn er die Herausforderung verliert, dann zahlt er den Betrag aus eigener Tasche.«
»Keine Sorge«, murmelte Andrej. »Er wird nicht verlieren.«
»Bist du da so sicher?«, fragte Laurus. Andrej nickte. »Niemand wird sich ihm stellen«, sagte er. »Oder würdet Ihr es tun?«
Laurus hob nur die Schultern, doch gerade, als Andrej dachte, dass tatsächlich niemand das Angebot des Nubiers annehmen würde und er erleichtert aufatmen wollte, löste sich ein Mann aus der Zuschauermenge und ging unter beifälligem Johlen zum Seitenaufgang der Bühne. Ein Blick genügte, und Andrej wusste, dass dies kein Gegner für Abu Dun war. Der Herausforderer war fast so groß wie der Nubier und entsprechend breitschultrig, aber er bewegte sich auf die plumpe Art eines Menschen, der vielleicht sehr stark war, mit dieser Stärke aber nicht wirklich umzugehen wusste. Außerdem war sein Gang nicht mehr sicher, und seine Wangen hatten sich gerötet. Es war offensichtlich, dass er schon zuviel vom süßen Wein getrunken hatte.
»Also ist wenigstens einer unter euch, der es wagt«, sagte Abu Dun. »Nun gut, bereite dich darauf vor, deinem Christengott gegenüberzutreten, Wurm!« Wieder brandete Gelächter auf, doch es klang nicht mehr ganz so laut und überzeugt wie bisher. Der Mann hielt einen Moment lang inne, dann schürzte er trotzig die Lippen, straffte die Schultern und trat kampflustig auf Abu Dun zu. Der Nubier reichte ihm den Schild, den der Mann geschickt anlegte. Andrej schlussfolgerte, dass dieser so etwas nicht zum ersten Mal tat. Dann funkelte er Abu Dun herausfordernd an und streckte die Hand nach dem Holzschwert aus.
Doch Abu Dun schüttelte den Kopf und reichte ihm statt dessen seinen Krummsäbel. Der Mann wirkte irritiert, fast erschrocken, und schien es nicht zu wagen, die Ehrfurcht gebietende Waffe zu ergreifen.
»Nimm nur«, sagte Abu Dun, »und hab keine Furcht. Er beißt nicht.«
Schadenfrohes Gelächter kommentierte seine Bemerkung, und in den Augen des schwarzhaarigen Burschen blitzte es auf. Wütend riss er Abu Dun den Säbel aus der Hand und trat einen Schritt zurück. Abu Dun wechselte das Holzschwert von der linken in die rechte Hand und baute sich breitbeinig und mit ausgestreckten Armen, ohne die geringste Deckung, vor seinem Kontrahenten auf.
»Dein Freund hat Mut, das muss man ihm lassen«, sagte Elena.
»Oder er ist ganz besonders dumm«, fügte Laurus hinzu.
»Worauf wartest du?«, fragte Abu Dun höhnisch. »Greif an! Oder traust du dich nicht?«
Das ließ sich sein Gegenüber sich nicht zweimal sagen. Wild schwang der Mann den Säbel und trat ungestüm auf Abu Dun zu. Der Nubier ließ ihn herankommen, trat dann im allerletzten Moment zur Seite und versetzte seinem Gegner einen derben Tritt ins Hinterteil, dass dieser an ihm vorbeistolperte. Der Mann schrie vor Wut und Überraschung auf, fand strauchelnd sein Gleichgewicht wieder und fuhr zornbebend zu Abu Dun herum. Der nächste Angriff wurde langsamer, aber in den Bewegungen auch koordinierter ausgeführt. Es war klar, dass sich der Mann nicht mehr von seinem eigenen Ungestüm zu einer zu leichtsinnigen Aktion hinreißen lassen wollte.
Natürlich nützte ihm das nichts. Abu Dun machte sich nicht einmal die Mühe, den Hieb des Krummsäbels mit seinem eigenen hölzernen Schwert zu parieren, sondern wich dem Schlag mit einer schnellen Bewegung aus, packte den Burschen blitzschnell mit der freien Hand und kniff ihm so derb in die Nase, dass der Mann vor Schmerz aufschrie und in komischen kleinen Hüpfern über die Bühne sprang. Diesmal war das schadenfrohe Gelächter lauter und es hielt deutlich länger an.
Auch Abu Dun warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend - was seinen Gegner zu einem blitzartigen und, wie Andrej zugeben musste, überraschend geschickten Angriff provozierte. Abu Dun wich der Attacke dennoch mühelos aus, drehte sich lachend herum und deutete mit dem freien Arm auf die Sanduhr, die Rason immer noch hoch über dem Kopf hielt. Fast die halbe Zeit war bereits abgelaufen.
»Du schlägst dich nicht schlecht, Ungläubiger«, spöttelte er. »Nur weiter so. Du bist deinem Gold schon nahe!«
Offensichtlich wollte er seinen Gegner damit provozieren, und das gelang ihm auch. Der nächste Angriff war so ungestüm, dass Abu Dun sich kaum bewegen musste, um ihm auszuweichen, und allmählich schien er des Spiels überdrüssig zu werden. Als der Bursche an ihm vorbeistolperte, ließ Abu Dun sein Holzschwert klatschend auf dessen Hinterteil niedersausen. Die Sanduhr war mittlerweile fast zu zwei Dritteln abgelaufen.